Rishikesh: Warten aufs Iranvisum
Mitte April. Ein Monat Nepal ist im Flug vergangen und wir fahren zum zweiten Mal in Indien ein. Bis die sehnlich erwartete DHL Express Sendung mit den Iranvisa von Berlin nach Amritsar unterwegs ist, wollen wir noch einmal ein paar Tage in der Yogawelthauptstadt Rishikesh in Nordindien verbringen. Die Stadt am heiligen Ganges ist uns seit unserem ersten Besuch im November letzten Jahres in guter Erinnerung geblieben. Bestens geeignet, um Energie für die anstehende Rückreise durch die Wüsten Pakistans und Irans aufzutanken.
Nach Überfahrt der nepalesischen Grenze am 13. April und einer Zwischenübernachtung in Kashipur düsen wir also mit den Emmen in den noch nicht so heißen Morgenstunden los nach Rishikesh. Im Umkreis der Stadt quälen wir uns durch einen irren Ameisenhaufen von blauen, ohrenbetäubenden Autorickschas bis hoch auf den Hügel, wo ein paar nette Gasthäuser und eine indische „Deutsche Bäckerei” schon auf uns warten. Es ist erst neun Uhr morgens, die Sonne erhitzt bereits die Luft und die Trockenheit der indischen Wintermonate hat der Gegend um Rishikesh fast ihre ganze grüne Farbe genommen. Nur der Ganges schimmert noch milchig grün. Immerhin hat jetzt die Mango-Saison begonnen. Darauf warten wir schon seit Beginn unseres Indienabenteuers.
Hitzewelle
Wir nutzen die Zwangswartezeit zum Recherchieren, Schreiben und Entspannen, sofern es die Hitze zulässt. Für April ist es hier viel zu heiß. Die Temperaturen steigen jeden Tag ein bisschen an – auf etwa vierzig Grad im Schatten. Die lokalen Zeitungen berichten über Todesfälle durch Hitzeschlag und der Deckenventilator wirbelt 24 Stunden lang stickige Luft durchs Zimmer. Unter dem Moskitonetz staut sich nachts die Körperwärme, so dass nur noch ein nasses Handtuch auf der Haut ein bisschen Tiefschlaf ermöglicht. Zur Abkühlung nimmt Micha tagsüber ein eiskaltes und segnendes Bad im Ganges. In Rishikesh ist der heilige Hindufluss nämlich noch (augenscheinlich) sauber. Weil Frauen nur in Kleidern baden dürfen, bleibe ich mit Schweißflecken auf dem T-Shirt am Ufer stehen.
Babaji massiert
Gleich gegenüber von unserem Gasthaus entdecken wir das winzige „Baba Massage Center“ – angeblich die älteste Massagestube in Rishikesh. Baba Balwant Singh (alias Babaji) hat es 1961 im Alter von 89 Jahren gegründet, nachdem er von einer langen Wanderschaft durch Indien mit traditionellen Ayurveda-Kenntnissen hierher zurückkam. Wir spüren auf einmal die Verspannungen im Nacken und belohnen uns mit der allerersten Massage auf unserer ganzen Reise.
Zu hundert Prozent entkleidet liege ich morgens um Neun vor einer fremden Inderin mit dem Rücken auf dem Boden. Ich schäme mich auf einmal. In den letzten Monaten habe ich mich daran gewöhnen müssen, möglichst wenig Haut zu zeigen. Die Inderin ölt nun meinen ganzen Körper bis in die Haare ein, massiert mich von den Finger- bis Zehenspitzen mit Händen und Füßen. Hinter der Wand höre ich, wie gleichzeitig ein Inder Micha ayurvedisch auf den Rücken klatscht. Nach einer Stunde stehe ich mit fettigem Strubbelkopf und total benommen, aber glücklich von der Matratze am Boden auf.
Rishikesh ist für uns ein Schlemmerparadies. Insbesondere, wenn man aus Nepal kommt und Reis mit Linsensuppe satt hat. Zusammen mit Mark und Maggi, die wir hier kennen lernen, sitzen wir ein paar mal stundenlang im kleinen Gartenrestaurant zusammen und verschlingen dunkle Yakkäsebrote und kalten Mangolassi. Die beiden Schweizer, die seit 26 Jahren in Australien leben, sind zusammen auf einer BMW in ihre alte Heimat unterwegs. Wir nehmen sie mit zu einem Spaziergang ans Gangesufer – zur allabendlichen Sonnenuntergangszeremonie der Hare Krishnas.
Mussoorie: Kühle Nächte vor der Nebensaison
20. April. Eine Woche Warten ist vergangen. Ab heute beginnt laut Einreiseantrag eigentlich unser Iranvisum zu laufen und es gibt immer noch keine Nachricht aus Berlin. Um wenigstens der Hitzewelle zu entkommen, beschließen wir, Mark und Maggi nach Mussoorie zu folgen – eine Kleinstadt in den Bergen, nur zwei Stunden Fahrt von hier. Dort soll es kühler sein und wir können den ausgehungerten Moskitos entkommen. Damit wir später auf den iranischen Wüstenhighways ein bisschen mehr Speed haben, tauscht Micha an beiden Emmen noch die Antriebsritzel aus (von 15 auf 16 und 17 Zähne). Am nächsten Morgen um sechs Uhr knattern wir hoch auf über zweitausend Meter – nach Mussoorie.
Mussoorie ist ein Städtchen für frisch Verheiratete oder neureiche Inder mit verzogenen Kindern, die hier ab Mai der Hitze in Dehli und des nordindischen Flachlandes für ein Wochenende entfliehen wollen. In der Hochsaison von Mai bis Juni sind die Hotels etwa dreimal so teuer. Wir haben Glück: Jetzt ist gerade noch Nebensaison. Und das Wetter könnte nicht besser sein: 25 Grad, frische Luft, abends angenehm kühl. Endlich können wir uns draußen bewegen und nachts wieder durchschlafen. Zusammen mit Mark machen wir einen Motorradausflug zum Kempty Wasserfall. Wider Erwarten ist diese Stelle ziemlich überlaufen und wenig natürlich – ein Planschbecken für Nichtschwimmer, zugebaut mit kleinen Shops und Restaurants. Hier zeigt sich wieder: Inder fühlen sich am wohlsten unter vielen Indern.
Deutscher Besuch aus Dehli
Nach drei Tagen verabschieden sich unsere neuen Reisefreunde nach Shimla. Und da kündigt sich per E-Mail der nächste Besuch an: Uwe hat gerade unsere Webseite entdeckt und würde uns gerne treffen. Er arbeitet seit zwei Jahren in Dehli und beschließt spontan, einen Wochenendausflug nach Mussoorie zu machen. Am nächsten Nachmittag kommt er auf seiner Enfield und seine Frau Csilla auf einer brandneuen Yamaha FZS nach zehn Stunden Fahrt hier oben in den Bergen an. Die Beiden haben erst in Indien mit dem Motorradfahren angefangen.
Sie erleben dieses Land, in dem sie der Arbeit wegen hier sind, natürlich von einer ganz anderen Perspektive. Sie müssen sich jeden Tag mit den Eigenarten der Inder auseinandersetzen. Keine leichte Aufgabe, denn die Arbeitsweise und Ansichten eines deutschen Ingenieurs haben kaum Gemeinsamkeiten mit den Einstellungen indischer Angestellter. Außerdem gibt es große Unterschiede zu den wohlhabenderen Indern in Dehli. Wir teilen mit Uwe den Eindruck, dass in den höheren Kasten Understatement ein Fremdwort ist. Die Arroganz bspw. gegenüber Servicekräften, die den reicheren Indern sämtliche Dinge im Alltag inklusive Autofahren abnehmen, ist schwer zu übertreffen.
Die Tage in Mussoorie vergehen und im Hotel zählt man uns mittlerweile zum Inventar. Wir gehen jeden Morgen um etwa acht Uhr ins kleine Inderrestaurant und bestellen zum Frühstück zwei Aloo-Parantha (kartoffelpufferähnliches Fladenbrot), zwei Omelett, zwei süße Lassi und zweimal Chai für insgesamt 112 Rupies, also rund zwei Euro. Die kleine Routine beruhigt uns, wenn sich Nervosität oder Ärger über die Verzögerung der Visaangelegenheit bei uns breit macht. Am 29. April bekommen wir dann endlich die Nachricht, dass die Visa für den Iran am 4. Mai aus der Botschaft in Berlin abgeholt und per DHL nun nach Quetta in Pakistan geschickt werden können. Das ist unser Startschuss, um über Amritsar nach Pakistan zu fahren, damit wir etwa zeitgleich mit den Visa in Quetta ankommen.
Amritsar: Abschied am Goldenen Tempel
Auf dem Weg nach Amritsar an der Grenze zu Pakistan übernachten wir in einem Hotel direkt am Highway und neben der größten Honigfabrik in Asien, die uns einen Rundgang erlaubt. In Amritsar nehmen wir dann Abschied an dem Ort, wo unser Indienabenteuer vor einem halben Jahr begonnen hat. Es ist unheimlich heiß und schwül, aber der Goldene Tempel heißt uns zum zweiten Mal herzlich willkommen. Nishan und seine Familie kommen für einen letzten Tempel-Rundgang mit uns extra in die Stadt gefahren. Sie entführen uns später noch zum Abendessen in ihr Dorf. Am nächsten Morgen können wir unseren Augen kaum glauben: Regenwolken über Indien. Wir kommen allerdings trocken an der Grenzstation in Wagah an. Die Luft hat sich glücklicherweise etwas abgekühlt.
Die Halle des Immigrationsbüros ist sowohl auf indischer, als auch auf pakistanischer Seite menschenleer – keiner außer uns will nach Pakistan einreisen. Solange die Beamten unsere Pässe und Carnets bearbeiten, kommt ein komisches Gefühl in uns auf. Zum ersten Mal ist ein Grenzübergang nicht mehr aufregend und spannend, denn was hier abläuft, haben wir schon einmal erlebt. Jetzt geht es definitiv rückwärts. Ein Gefühl wie am letzten Urlaubstag, wenn die Heimreise ansteht. Nach dem unkomplizierten Prozedere besonders auf pakistanischer Seite starten wir die Emmen gen Lahore. Vor uns liegen rund zweitausend Kilometer Pakistan-Transit bis zur iranischen Grenze.
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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