Back to Kathmandu
Die Tiefenmuskulatur hat sich – zurück in Kathmandu – von den neun Tagen Bergwanderung wieder ganz gut erholt. Wir haben scheinbar viel Energie verbraucht, denn das Bedürfnis nach Nahrung ist eindeutig gewachsen. Jeden Morgen und Abend freuen wir uns auf den Besuch ins drei Minuten entfernte und lieb gewonnene Yak Restaurant, in dem wir schon vor der Helambu-Auszeit Stammgast waren. Es gehört einer tibetischen Familie, darum ist es auch so ungewöhnlich sauber. Milch, Butter, Joghurt und Lassi schmecken zwar immer eine Spur nach Yakfell, aber der Darm verträgt`s. Der älteste Kellner in der Runde ist leider nicht fähig, nur das geringste Lächeln auszudrücken. Erst nach dem zehnten Besuch taut er auf und weiß genau, was wir wollen: Nämlich immer einen Reispudding zum Schluss. Solche kleinen Wiederkehrungen und temporären Rituale sind unterwegs schon lange automatisch wichtig geworden. An jedem neuen Ort sind wir froh über Dinge, die wir wenigstens für ein Weilchen für uns entdecken und die Ruhe geben vor dem stets neu Anpassen und Orientieren.
Wenn wir nicht Essen, zurren wir die letzten Fäden unseres Rückreiseplans zusammen. Vier Monate sind dafür noch übrig. Der Entschluss steht fest, mit den Emmen über Indien, Pakistan und Iran zurück nach Europa zu fahren. Probleme an den Grenzen zu Pakistan und Iran sollte es nicht geben.
Wir beschaffen für zwanzig Euro in der Deutschen Botschaft in Kathmandu das benötigte Empfehlungsschreiben für unsere Pakistanvisa und düsen durch die ganze Stadt zur pakistanischen Botschaft. Wir füllen die Anträge aus, in denen wir auch Auskünfte über Eltern und Geschwister sowie eventuelle Beziehungen zu einflussreichen Leuten in Pakistan geben. Danach müssen wir noch auf ein Interview mit dem Botschafter warten. Der lässt sich Zeit. Irgendwann bittet uns die Assistentin in sein Büro, wo wir auf einen gut aussehenden, netten Pakistaner im modischen Anzug treffen. Weil es unser zweiter Besuch in seinem Land ist, geht alles schnell von statten. Wie bei allen Pakistanern glänzt der Stolz in seinen Augen, als wir erzählen, wie gut uns Pakistan gefällt. In drei Tagen sind die Visa abholbereit. Und solange können wir uns noch im religiösen Kathmandu herumtreiben.
Dubar Platz: Tempeldächer und religiöse Schätze
Schon vor dem Trekking haben wir angefangen, den Dubar Platz in der Nähe unseres Viertels zu durchstreifen. Hier kann man Tage verbringen und hat immer noch nicht alle Schätze entdeckt. Buddhismus und Hinduismus haben in dieser alten Stadt überall ihre Spuren hinterlassen. Kathmandu ist darum eine Pilgerhochburg für beide Religionen. Wie seit Ewigkeiten wird hier Religion auch heute zwanglos und jeden Tag gelebt. Die Menschen gehen auf dem Weg zur Arbeit, zum Basar oder nach Hause in einen oder mehrere der vielen Tempel, umrunden die Stupa im Lauf der Sonne, legen frische Blüten an einer alten Gottesstatue in der Gassenhauswand nieder, verbeugen sich vor Shiva, opfern Reis und zünden Butterlampen an. Sogar für Zahnprobleme gibt es in einer der vielen kleinen Gassen um den Dubar Platz eine unkenntliche Gottesstatue aus verschlungenem Holz, der schmerzgeplagte Menschen Geldmünzen aufnageln. Nebenan reihen sich ein paar Zahnkliniken oder besser Zahnläden, in deren Schaufenster Gebisse ausgestellt sind.
Im Kumari Ghar – ein dreistöckiges, quadratisches und mit alten Holzschnitzereien verziertes Gebäude am Dubar Platz – residiert die lebende Göttin Kumari. Das junge Mädchen gilt als Reinkarnation der Göttin Taleju und lebt dort abgeschieden von der Außenwelt bis zu ihrer Pubertät. Letztes Jahr hat Nepal die dreijährige Matina Shakya in einem alten Ritual nach zweiunddreißig Kriterien zur neuen Kumari auserwählt. Hinduistische und buddhistische Priester begleiten die neue Kindgöttin bei ihrer Aufgabe.
Die Ganesha-Geschichte
Warum hat der wohl beliebteste Hindu-Gott Ganesha eigentlich einen Elefantenkopf? Als sein Vater Shiva von einer langen Reise zurück zu seiner Frau Parvati nachhause kam, die vor Männern geschützt in einer Höhle auf ihn wartete, stieß er auf einen jungen Mann, der ihm den Einlass verwehrte. Wütend schlug er ihm den Kopf ab, unwissend dass es sein Sohn war, der seine Mutter beschützte. Um dieses traurige Missgeschick wieder gut zu machen, widmete Shiva seinem Sohn den Kopf des ersten Lebewesens, dem er begegnete: ein Elefant. Wieder am Leben, aber unzufrieden mit dem Elefantenkopf auf seinem göttlichen Körper versprach Shiva seinem Sohn Ganesha, dass er in jedem Hindutempel stets der erste Gott sei, vor dem sich die Menschen verbeugen würden. Jeder Hindu wendet sich daher im Tempel mit seiner Verehrung immer als erstes Ganesha zu.
Pashupatinath: Zum Sterben an den heiligen Bagmati-Fluss
Nawin Hareshwar, ein alter Mann, den wir am Pashupatinath Tempel treffen, stellt sich einen ganzen Vormittag lang unseren neugierigen Fragen. Nicht-Hindus dürfen den berühmten Pashupatinath Tempel am heiligen Bagmati Fluss nicht betreten, aber uns ist erlaubt, vom anderen Flussufer aus eine interessante Beobachtung zu machen: An dem Platz, wo einst Angehörige der Königsfamilie und wichtige Personen kremiert wurden, findet an diesem Vormittag eine der traditionellen Feuerbestattungen statt. Viele Hindus möchten an diesem heiligen Ort verbrannt werden. Manche kommen sogar bereits zum Sterben hierher.
Der Bagmati in Kathmandu ist ein Ort für die traditionellen Verbrennungszeremonien Verstorbener. Beobachten (und sogar Fotografieren) sind erlaubt, solange die Bestattung nicht gestört wird. Der hergerichtete Verstorbene wird zunächst am heiligen Ufer gereinigt, danach auf eine Bambus-Barre gelegt und mit orangenen Seidentüchern bedeckt. Ringsum reihen sich die Angehörigen auf – Männer und Frauen getrennt. Wir sehen die Männer in hellen Tüchern verhüllt – eine alte Tradition bei den Newaris, den Urbewohnern des Kathmandu-Tals.
Nach einiger Zeit des Wartens tragen Männer den Leichnam auf der Barre je nach Wichtigkeit des Toten drei bis sieben Runden lang um den vorbereiteten Holzstapel. Die engsten Angehörigen folgen und streuen Essen als Wegzehrung für die bevorstehenden 199 Tage Seelenwanderung über die Leiche. Der wichtigste Angehörige steckt Kerzenwachs und eine Bronzemünze in den freigelegten Mund des Toten, um die Seelenwanderung einzuleiten. Dann zündet er das Stroh um den Holzstapel an. Das jämmerliche Weinen der Frauen schallt derweil zu uns herüber. Sie ziehen sich noch vor den Männern vom Ghat zurück, sobald die Leiche Feuer gefangen hat und langsam verbrennt. Die Leichentücher und Aschereste wirft man zu anderen Resten in den heiligen Fluss. Eine Hand voll Asche nimmt die Familie später mit nachhause.
Sadhus: Falsch oder echt?
Pashupatinath ist außerdem Aufenthaltsort vieler Sadhus, also heiliger Männer, die allem Materiellen entsagen und sich auf eine religiöse Wanderung begeben. Sie haben bei den Hindus einen hohen Stellenwert und gelten als Menschen, die den Göttern sehr nahe sind. Wir fragen unseren Begleiter Narwin, ob er uns zum bekannten Milch Baba bringen kann – ein alter Sadhu, der sich nur von Milch ernährt. Leider ist sein Platz leer. Er lebt jetzt in den USA. So wie alle berühmt gewordenen Sadhus, wie Narwin spöttisch bemerkt. Plötzlich hören wir, wie sich ein paar vermeintliche Sadhus über Geld lautstark in die langen, verfilzten Haare kriegen. „Unechte Sadhus – Bettler, Haschischsüchtige und Säufer,“ sagt Narwin, die hier mit bemalten Gesichtern rumlungern und auf das Geld von Touristen für Fotos abzielen. Narwin führt Micha noch in den Fruchtbarkeitstempel und zeigt ihm die erotischen Holzschnitzereien. Frauen kommen hierher, um für eine Schwangerschaft zu beten. Auf dem Weg zurück zu unserem Motorrad weist uns Narwin noch auf eingeritzte Zeichen in Marmorplatten, auf Steintreppen und an Wänden hin: „Suche!” stehe da – nach Gott, nach Erleuchtung. So erklärt er uns die Bedeutung der Schriftzeichen, die überall in Kathmandu zu finden seien.
Juden in Kathmandu: Angeblich der größte Pesach außerhalb Israels
8. April 2009. Heute feiern die Juden ihre Befreiung aus Ägypten. Und ausgerechnet in Kathmandu findet der größte Pesach außerhalb Israels statt. Über tausend junge Israelis kommen dafür nach Nepal und gehen anschließend zum Trekking in den Himalaja. Amit, den wir im Helambu kennengelernt haben, nimmt uns mit aufs Fest, das vor allem in Verbindung mit Essen steht. Neugierig (und hungrig) wie wir sind, gehen wir um fünf Uhr abends mit ins gut bewachte Radisson Hotel. Wir setzen uns in den Bereich für Englischsprachige und gehen mindestens zwei Stunden lang Passagen zur Pesach-Geschichte durch. Mit jeder neuen Seite bekommen wir etwas mehr von dem traditionellen Essen gereicht, das in enger Verbindung zum damaligen Geschehen steht. Erst ist es ein Stückchen Kartoffel, dann trockenes Brot und zum Schluss eine Art Drei-Gänge-Menü. Als der jüdische Vorsprecher auf der Bühne nach der Eröffnungsrede mit scharfem „ch“ mehrmals „Michael“ durch den Saal ruft, befürchtet Micha sofort, er müsse jetzt als Ehrengast aus Deutschland ein paar Worte an die Gemeinde richten. Amit geht nach vorn und kommt mit einem Brief an unseren Platz zurück. Micha hat in der Tombola gewonnen: einen Sherpa als Porter für sieben Tage Trekking. Micha fällt ein Stein vom Herzen und er verschenkt den Gewinn an Amit weiter, da wir morgen Kathmandu verlassen und weiter westwärts durchs Terai davon düsen werden.
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Hallo Suse und Micha,
schön, wunderschön Euer Bericht. Danke dafür.
Grüße von janus