Gulmit: Entspannte Menschen und spannende Brücken
Wir sind in Hunza – eine unglaublich schöne Bergregion im Norden Pakistans, in der vor vielen, vielen Jahren das Polospiel erfunden wurde. Das behaupten zumindest die Hunzeraner. Wir bleiben als erstes eine Woche im Zweitausend-Seelen-Dorf Gulmit. Schnell merken wir: Hunza ist wohl die spektakulärste Entdeckung unserer Reise. Pakistan bleibt nicht länger nur ein Transitland auf unserem Weg nach Indien, sondern hier werden wir ein Weilchen bleiben.
In Nordpakistan haben sich Menschen unterschiedlichen Ursprungs angesiedelt: Tadschiken, Chinesen, Kirgisen… Der Einfluss verschiedener Gewohnheiten ist heute unverkennbar: bei der Religion, dem Essen, in der Sprache, in den Häusern. Die Menschen im Norden haben eine besondere Mentalität. Sie sind neugierig und sehr offenherzig gegenüber Reisenden entlang des Karakorum-Highways, die ihnen neue Impulse geben. Reden und Ideen austauschen, das eigene Dasein neu betrachten – Pakistaner in Hunza haben eine positive Einstellung zum Leben.
Die Frauen in Gulmit sind kaum verschleiert, sie schlendern fröhlich und entspannt durchs Dorf. Jeder hier begrüßt uns mit einem Lächeln und auf Englisch – egal, ob Jung oder Alt. Wir werfen einen gespannten Blick in die moderne Schule. Nazir Ahmed Bulbut, der Direktor der ismaelischen Al-Amyn School, hat erreicht, dass heute die Hälfte seiner 350 Schüler Mädchen sind. Er lässt fünf Fächer in Englisch unterrichten, ein neues Schulmodell in Pakistan. Die moderne Bildung aller Kinder ist seiner Ansicht nach der Schlüssel für eine offene, tolerante Sichtweise und gute Zukunft in der globalisierten Welt. Wir freuen uns über solche Worte und wünschen ihm viel Erfolg.
In Gulmit ist bereits Nebensaison, obwohl September und Oktober die schönsten Monate zum Reisen sind: das Laub der Bäume in den Tälern färbt sich, das Wetter ist meistens klar und angenehm. Wir sind fast die einzigen Gäste im kleinen Hotel mit dem großen Namen “Gulmit Continental”, das Zahir, erst 22 Jahre alt, gehört. Er hat genügend Zeit, sich aufmerksam um uns zu kümmern. Er macht uns das Frühstück und zeigt uns danach sein Heimatdorf. Zweimal nimmt er uns mit auf eine herausfordernde Tour durch die umliegenden Berge, über die beiden großen Gletscher und am Borit-Lake vorbei. Er springt wie eine junge Bergziege über die Steine – unmöglich für uns Flachtiroler, ihm dicht zu folgen. Stolz zeigt er dabei mit seinem Finger auf die teilweise über siebentausend Meter hohen Gipfel, deren Namen wir nicht behalten können. Auf den steilen Schiefersteinpfaden bleibt uns die dünne Luft weg, da ist Zahir schon nicht mehr zu sehen. Ein echter Bergjunge eben. Zum Abschluss zwingt er uns zu einem fast lebensbedrohlichen Abstieg am felsig-sandigen Talabhang (sozusagen tiefschwarze Piste). Und dann ist da noch der spannende Weg über eine Holzbrücke, die mehr Lücken, als Bretter hat. Nach dieser Tagestour will man nur noch deftig Essen und ins Bett.
Der Ramadan ist jetzt beendet. Jeder im Dorf feiert diesen Tag. Zahir nimmt uns auf schmalen Staubwegen und an Felssteinmauern entlang mit in sein Elternhaus weiter oben im Dorf. Hier ist er geboren und aufgewachsen. Die Familie wohnt, isst und schläft in nur einem Raum. Fenster gibt es nicht. Der starke Sonnenstrahl fällt durch zwei Dachluken in die Raummitte, dort wo der kleine Blechofen qualmt. Zahirs zierliche, liebe Mutter backt auf dem Ofen Graal für uns: warme Fladenbrote aus Vollkornmehl, die vor dem Verzehr mit aromatischem Aprikosenöl und Maulbeer-Sirup bestrichen werden. Unheimlich lecker und sehr sättigend.
Karimabad: Ein Ort zum Verlieben
Am Samstag, den 4. Oktober geht es 45 Kilometer weiter südlich, nach Karimabad. Die alte Hauptstadt von Hunza war 750 Jahre lang bis ins letzte Jahrhundert hinein der Sitz der regionalen Königsfamilie. In diesem Ort stimmt einfach alles, angefangen von der Lage mit königlichem Blick auf Tal und Berge bis zur sonnigen Unterkunft und den netten, unkomplizierten Bewohnern. Es gibt gemütliche Essstuben, kleine Läden und sogar ein Café. Zugang zum WorldWideWeb erhält Karimabad direkt über Satellit. Auf der Straße trifft man andere Abenteurer. Aus der Dusche kommt grau gefärbtes Gletscherwasser. Es ist ein kleines Paradies. Ein Basislager, von dem aus wir täglich neu entscheiden können, worauf wir als nächstes Lust haben. Die Tage hier sind kein Abenteuer, endlich machen wir mal richtig Urlaub. Wir schlafen uns aus, spazieren herum und treffen die Leute, stillen unseren Kommunikationsdurst im bestgelegenen Internetcafe der Welt, freuen uns auf das häusliche Abendessen um acht. Micha macht Fotos, blättert durch die deutsche Koran-Version und nascht Kekse vom Hunza-Bäcker. Ich schreibe Geschichten, erkundige mich über nächste Reiseschritte und genieße guten Cappuccino mit richtigem Milchschaum. Nordpakistan hat so viele einmalige Orte und landschaftliche Höhepunkte im wahrsten Wortsinn, dass es schwer fällt zu entscheiden, was wir bis zu unserer Einreise nach Indien noch unbedingt sehen möchten.
Die Erde bebt – oder: Der Gefahr entkommen
Unsere erholsame und friedliche Stimmung wird eines Abends durch eine Nachricht im Fernsehen erschüttert. Das kleine kirgisische Bergdorf Nura, in dem wir vor zwei Wochen noch bei einer Familie übernachtet haben, bevor wir nach China ausgereist sind, ist durch das Erdbeben am 6. Oktober völlig zerstört, heißt es da. Das Epizentrum lag etwa 60 Kilometer südöstlich von Sary-Tasch. Die Meldung schockt uns und wir fragen uns, was mit den Menschen passiert ist. Wir kommen ins Grübeln darüber, dass wir auf unserer Reise natürlich neuen Gefahren ein ganzes Stück näher sind. Allerdings, ob in Deutschland oder woanders in der Welt: Bei Risiken, denen wir allein durch unseren Verstand nicht aus dem Weg gehen können, müssen wir auf unserem Schicksal vertrauen. Das intensivere Lebensgefühl auf dieser Reise ist eine große Erfahrung für uns. Die Tage beginnen mit Spannung und Ungewissheit und enden oft mit einmaligen Erlebnissen.
Ausflug in die Geschichte: Baltit Fort
Wir besuchen Baltit Fort, den über siebenhundert Jahre alten Hunza-Königsitz weit oben im Dorf, der damals noch nach tibetanischem Stil errichtet und durch mehrere Herrschergenerationen erweitert und verändert wurde. In den Siebziger Jahren hat Pakistan alle Könige abdanken lassen. Der königliche Nachfahre in Hunza – Mir Muhammad Jamal Khan II – lebt heute in seinem alten Palasthaus in Karimabad und besitzt hier ein größeres Hotel. Sein ältester Sohn – Prinz Sha Salim Khan IV – lebt mit seiner Frau Sadia in Islamabad. In den Neunziger Jahren hat man die heute öffentliche Burg aufwendig und originalgetreu restauriert. Ähnlichkeiten mit dem Pottala-Palast in Lhasa sind unverkennbar. Edles Ambiente und Luxus finden sich hier nicht. Der König wohnte in der Festung eher bescheiden, nur die Lage und Aussicht sind unbezahlbar.
Kleider machen Leute
Heute haben wir beim Schneider “Abbas” im Nachbardorf Aliabad unsere pakistanischen Kleider abgeholt. Ein Pakistani-Outfit inklusive Stoff und Maßschneidern kostet maximal eintausend Rupi, also nicht mal zehn Euro. Die Männer in der Schneiderei haben breit gegrinst, als wir die traditionellen Sachen sofort an uns zur Schau gestellt haben. Die Herren tragen in Pakistan gedeckte Farben: grau, weiß, hellblau, beige oder braun. Den Frauen stehen traumhaft viele Farben und Muster zur Auswahl. Das Pakistani-Outfit, bestehend aus einer etwas weiter geschnittenen Hose und einem knielangen Hemd, ist extrem bequem. In Hunza tragen Männer außerdem eine Wollkappe in weiß oder braun.
Langsam nähern wir uns der Grenze nach Hindustan
12. Oktober. Wir verabschieden uns morgen Vormittag aus Karimabad. Leider! Die Tage hier waren einfach schön. Zum Abschied wandern wir noch elf Kilometer nach oben zum Aussichtspunkt bei Duikar – dem höchsten Dorf in Hunza. Von hier aus können wir das ganze Tal mit den Dörfern Garnish, Karimabad und Altit überblicken. Wir sehen die Schlucht des Hunza Rivers, die teilweise schon abgeernteten Feldterassen der Bauern und natürlich die unwirklichen siebentausender Gipfel Diran und Rakaposhi. Solange der Herbst mit milden Temperaturen und klarem Himmel aufwartet, genießen wir jetzt noch an ein paar anderen Stellen im nördlichen Pakistan die stille Gebirgsnatur. Bevor wir Ende Oktober nahe Lahore über die indische Grenze knattern, gönnen wir uns bei Fairy Meadow noch einen Blick auf den weißen Nanga Parbat, dem 8125-Meter-Bergriesen, auf dem einige deutsche Bergsteiger beim ehrgeizigen Versuch eines Aufstiegs ihr Leben lassen mussten. Von dort aus geht es auf dem Karakorum-Highway zügig weiter nach Süden, vorbei an Islamabad nach Lahore mit Übernachtungsstopps in Besham, Abottabad und Rawalpindi. In diesen Orten ist es besser, wenn wir nach dem Absteigen von unseren Motorrädern jedesmal in die traditionelle Kleidung schlüpfen und ich meinen Kopf bedecke. Nicht nur eine Frage des Respekts, sondern auch der Lebensart. Die (neu)gierigen Blicke der Männer auf mich sind damit etwas angenehmer.
Auf unsere Zeit in Indien und Nepal sind wir schon sehr, sehr gespannt! Wir haben gestern Olga und Monica – zwei viel gereiste Spanierinnen – getroffen, die beide Länder schon lange kennen und uns einige Tipps gaben.
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Hallo Tina, danke 🙂 wir hoffen, Du schlaegst Dich auch wacker!!! Wir wuenschen Dir jedenfalls viel Power. Druecker nach Berlin – Micha und Suse.
Hunza, Gulmit … das hört sich an wie aus den Zamonien Romanen von Walter Moers!
Nach langer Zeit habe ich es endlich wieder geschafft, Eure Abenteuer zu lesen und bin wie immer begeistert. Wünsche Euch weiterhin viel Durchaltevermögen und nen robusten Magen. Ganz liebe Grüße Tina
Bin absolut Fränkys Meinung!
Wir lechzen mal wieder nach ’ner Fotoseite.
Allein Micha Khan und seine Prinzessin sind einfach klasse, ahnt ihr überhaupt wieviel großer Respekt euch gebührt?
Wir träumen, ihr lebt es. Nur weiter so, wir versuchen, mit euch zu fühlen.
😉
Martin
Hallo,
gigantische Landschaft – herrliche Bilder, die zum Träumen anregen. Ist sicher nicht so einfach sich von einer liebgewonnenen Gegend zu verabschieden.
Aber freut Euch auf neue Eindrücke – ich warte schon mal auf Eure Indien-Erfahrungen. Machts gut, fahrt vorsichtig und schont die Emmen.
Bei uns war heute nochmal ein Sommertag mit 21 Grad.
Gruß
Fränky
Da macht man hier wochenlang im Fernsehen Ausscheidungsrunden, dabei steht für uns längst fest: Ihr seid Germany`s next Topmodels. Wir gratulieren und umarmen euch. Heiko und Tante Eva
Hi Ihr Zwei,
das Neue Outfit von Micha steht Ihm gut – nur ob das so ganz Motorradtauglich ist??
Die Schneider habens aber einfach, alles eine Größe XXXXXL…… Erholt Euch gut gönt auch den zwei Emmen ein bischen Ruhe.
Denkt immer dran – wir sind bei Euch. Und natürlich immer einen mitfahrenden Schutzengel.
ciaoFränky
Hallo Martin,
danke fuer die beiden Kommentare. Haben gerade eben erst im lokalen TV etwas von dem Erdbeben gehoert. Wir haben hier in Karimabad gluecklicherweise nichts davon gemerkt, aber gleich recherchiert. Das Epizentrum lag in Nura, dem letzten Dorf auf kirgisischer Seite vor der Grenze zu China. Dort haben wir vor zwei Wochen noch bei einer Familie mit fuenf kleinen Kindern uebernachtet. Nun lesen wir, dass dieses kleine Dorf voellig zerstoert ist. Wir koennen es kaum glauben!
bis bald, Suse und Micha
Au weia, ich hätte noch auf die Unbilden der Natur eingehen sollen.
Kaum seid ihr aus Tadschikistan, Kirgistan und Westchina raus, gibt es dort ein Erdbeben! Habt ihr auch etwas davon mitbekommen?
Hoffentlich hat es Sary Tash nicht zu sehr erwischt; dort soll ja in etwa das Epizentrum des Bebens gelegen haben.
Möge es euch gut gehen!
Martin
Hallo Ihr Abendteurer
Es sind wieder sehr beeindruckende Bilder die ihr gemacht habt.
Am beeindruckensten finde ich die Brücke ,über die ich nicht hätte gehen wollen.
Aber auch die anderen Bilder sind sehr schön und imposant.
Ich freue mich mit und für euch wenn eure Reise so läuft wie ihr es euch vorgestellt
habt.
Ich wünsche euch weiterhin alles Gute und viel Glück für euren Weg
Norbert
Na, das habt ihr ja fein hinbekommen!
Ich habe vorgestern (Tag der deutschen Einheit) sehr intensiv an euch gedacht und hoffe sehr, dass euch auf eurer Tour nicht irgendwelche engstirnigen politischen Setzungen in die Quere kommen. In Georgien habt ihr ja viel Glück gehabt mit eurem Timing.
Karimabad hat bei mir in Google Earth jetzt eine neue Positionsmarke bekommen; natürlich mit Motorrad-Symbol 😉
Lasst uns weiter an euren Erlebnissen teilhaben, es macht immer viel Spaß!
Martin