Kurzweilige Tour ins nächste Dorf
Unsere Motorradtour von Karimabad nach Chalt, entlang auf dem schmalen Karakorum-Highway, der sich jetzt meistens dicht an steilen Felswänden entlang schlängelt, dauert nicht mal zwei Stunden. Die ziemlich entspannte Fahrt peppen wir durch kurze Blicke nach oben und über den äußeren Straßenrand hinaus auf. Riesige Felsbrocken hängen manchmal so lose in der Bergwand oder ragen über die Straße, dass man hofft, sie mögen noch ein paar Sekunden dort bleiben. Die Wahrscheinlichkeit eines Bergrutsches oder Steinschlags ist wohl größer, als Opfer eines terroristischen Zwischenfalls zu werden. Unser Unterbewusstsein zieht den Gasgriff an. Doch Vorsicht, am äußeren Rand geht es ohne Sicherung hunderte Meter bergab in die Hunza River Schlucht. Zum Glück sind im Norden nicht viele Fahrzeuge unterwegs, denen wir in der Kurve ausweichen müssen. Immer wieder passieren wir Abschnitte, auf denen chinesische Bautrupps gerade am Rüumen und Ausbessern der Straße sind.
Chalt: Einladung zum Kaffee in adeliger Runde
Über zwei Holzspannbrücken gelangen wir nach Chalt. Das kleine Dorf ist geografisch und geschichtlich interessant: Hier in der Nähe traf vor fünfzig Millionen Jahren der indische Subkontinent auf die asiatische Platte und formte die gewaltige Himalaja Gebirgskette. Chalt war außerdem ein Teil der Seidenstraße. Und: Der Ort ist Teil der Region Nagyr, die wie das angrenzende Hunza einen König hatte und lange Zeit in Feindschaft mit dem Hunzareich lebte. Durch Zufall lernen wir bei einem Dorfspaziergang kurz nach Ankunft die royalen Nachfahren beider Königsfamilien kennen, deren Großeltern irgendwann untereinander heirateten und seitdem für Frieden sorgten. Prinz Shaldar Adam Khan, ein 23jähriger Typ in Jeans und Sweatshirt, der sich überwiegend in der Großstadt Islamabad zuhause fühlt, spricht uns auf der Dorfstraße an und lädt uns spontan zum Kaffee ins Sommerhaus seines Vaters Saeed ein. Saeed’s Großvater war der letzte König von Nagyr, seine Frau ist die Tochter des letzten Königs von Hunza. Alte Schwarz-Weiß-Fotografien im Haus zeigen, von wem das blaue Blut stammt.
Das eigentlich wenig genutzte Sommerhaus steht auf einer Wiese mit Blick auf den Rakaposhi. Es hat eine große Terrasse und ist bescheiden eingerichtet. Drinnen sitzt eine Bande Nachbarskinder vor dem Fernseher. Zwei Angestellte, einfache Männer aus dem Dorf, servieren uns Kaffee und Kuchen nach draußen. Adams Vater, ein eher europäisch wirkender Mann, begrüßt uns mit seiner rauhen Stimme, als hätte er uns bereits erwartet. Er ist viel herumgereist, besonders in Deutschland und Österreich und freut sich sehr über unseren Besuch. Er arbeitet seit langem im Tourismusgeschäft, damals für die pakistanische Regierung, heute mit seinem eigenen Unternehmen (www.travellife.com.pk). Die Geschichten, die er uns von seinen Trekkingtouren und über deutsche Bergsteiger erzählt, sind spannend und amüsant. Wir sitzen in Pakistanikleidung vor ihm und seinem Sohn und staunen mal wieder über die schnelle vertraute Atmosphäre.
Am nächsten Tag werfen wir einen Blick in die Dorfschule und stören mit unserem Erscheinen kurz den Unterricht. Der Direktor bittet uns, zum Milchtee zu bleiben und erzählt uns stolz, welche Fortschritte seit ein paar Jahren die Ausbildung der Jungen und der Mädchen macht. Falls Freunde aus Deutschland ein, zwei Wochen zu Besuch kommen und neue Impulse geben möchten, sind sie ab dem nächsten Jahr herzlich dorthin eingeladen. Dann sind die Gästezimmer nämlich fertig. Kontakt: M. Shafi von der Foundation Public School, shafitabish@yahoo.com.
Die Schattenseiten bleiben uns allerdings auch nicht verborgen. Die Familien in Chalt sind oft arm und leben in sehr einfachen Häusern. Iqbal, ein gebildeter und engagierter Mann, erzählt uns, dass es keine leichte Aufgabe ist, die Region zu entwickeln. Nach drei Tagen, an denen wir andere Männer im Dorf dabei beobachtet haben, wie sie sich mit Nichtstun die Zeit vertreiben, haben wir den Eindruck, als wollten manche gar nicht viel ändern.
Gilgit: Polospiel und Buddha
Unser nächstes Ein-paar-Tage-Zuhause ist Gilgit – die südlichste Stadt der nördlichen Landesregion. Um dorthin zu kommen, müssen wir vom Karakorum-Highway abbiegen und bei Dainyor über den Hunza River fahren. Die lange, schwankende und schmale Holzbrücke über den Fluss ist ein Nadelöhr. Polizisten arrangieren daher die Überfahrt: einmal fährt die eine, dann die andere Seite. Im wirbeligen Gilgit angelangt, flüchten wir erst einmal ins Madina Guesthouse – eine Ruheoase und Treffpunkt vieler Karakorum-Reisender. Einige von ihnen kennen wir schon. Das achtköpfige Personal behandelt jeden Gast wie einen Freund und macht es uns leicht, sich wohl zu fühlen. Uns fehlt es an nichts.
Auf der Straße vor dem Gasthaus können wir uns langsam wieder an chaotisches Gewusel gewöhnen. Alles spaziert, fährt und hupt durcheinander. In der etwas dreckigen Innenstadt reihen sich hundert kleine Geschäfte aneinander, dazwischen schlachten Männer in verschmierten Pakistanikleidern Hühner und Rinder. Ein langsamer Übergang zu indischen Verhältnissen, denken wir. In dieser Stadt hören wir auch wieder deutlich die Gebetsgesänge, die fünfmal täglich aus verschiedenen Lautsprechern gleichzeitig über die Dächer hallen. Ein islamischer Kanon, der uns besonders früh morgens zum Sonnenaufgang das Gefühl vermittelt, in einer anderen Welt zu sein.
In der ersten Novemberwoche findet in Gilgit jedes Jahr ein großes Polo-Tournier statt. Darum treffen sich derzeit fast jeden Nachmittag um vier Uhr Männer mit ihren Pferden auf dem alten Polofeld zu einem Trainingsspiel. Das ist unsere Chance, das erst Mal Polo zu erleben. Zwölf Männer zu Pferd, also zwei Sechser-Teams, haben sich auf dem Platz eingefunden. Jetzt geht es zweimal eine halbe Stunde darum, den Holzball ans jeweils andere Ende übers schmale und staubige Feld zu schlagen. Mehr Regeln gibt es nicht. Wir sitzen zwischen anderen Zuschauern am Rand und merken schnell, dass es nicht nur für die Pferde und Spieler gefährlich werden kann. Ein paar Mal fliegt der harte Ball zu uns rüber. Wenn sich die Reiter darum scharen, knallen die Polostöcke durcheinander, bis ab und zu einer bricht. Die Beine der Pferde bleiben nicht immer verschont. Polo ist eine große Sache in Nordpakistan, aber auch ein hartes Los für die Tiere.
Am anderen Tag, irgendwann nach dem Frühstück im Garten, steigen wir nahe des Basars mit einundzwanzig anderen Fahrgästen auf einen abgeruckelten Toyota Helux auf, der uns hoch in Richtung Baseen bringt. Unglaublich, in welchen Klappercheesen wir manchmal herumgefahren werden. Und noch unglaublicher ist, über welche Pisten sie der Fahrer treibt. Vom Dorf Baseen aus wandern wir noch ein paar Minuten bergauf, bis wir die etwa 1300 Jahre alte Kargah Buddha-Statue im Felsen bewundern können – ein Überbleibsel aus Zeiten, in denen die Menschen hier noch Hindus und Buddhisten waren, bevor sie zum Islam konvertierten. Danach geht’s gemütlich zu Fuß wieder runter nach Gilgit.
Nanga Parbat (8126m): Am Fuße des German Killermountain
Der Berg ruft. Und zwar ein legendärer Achttausender: der Nanga Parbat. Der Name bedeutet in der Landessprache Urdu „Nackter Berg“. Er hat besonders an der Südseite so steile Wände, dass der Schnee dort kaum hängen bleibt – darum nackt.
Ein öffentlicher Minibus fährt uns morgens am 20. Oktober von Gilgit zur Raikot-Brücke weiter südlich am Karakorum-Highway. Dort treffen wir Alam, der mit seiner Familie in Tato lebt – eine kleine Siedlung auf etwa 2300 Metern am Fuße des Nanga Parbats. Er hat seit zwei Jahren einen kleinen Campingplatz weiter oben auf Fairy Meadow (Märchenwiese). Unglaublich, dass Alam ein Jahr jünger ist als ich. Vielleicht ist es seine tiefe Stimme oder der wuschelig-schwarze Schnauzer, der ihn mindestens vierzig Jahre alt aussehen lässt. Egal, er ist jedenfalls ein unheimlich guter Gastgeber, der sich die nächsten drei Tage mit viel Feingefühl um uns kümmert. Von der Raikot-Brücke aus geht es in einem alten Jeep fünfzehn Kilometer zusammen mit anderen Einheimischen hoch auf 2666 Meter, und zwar auf einem der spektakulärsten Jeeptracks der Welt. Zum Glück haben wir die MZ in Gilgit gelassen, denn der Weg ist gerade mal so breit wie der Wagen selbst. Schottiger Untergrund, enge Kurven und krasse Felswände machen die Auffahrt wirklich abenteuerlich. Manchmal ist der Abgrund am Rand so tief, dass sich das Ende nicht einsehen lässt. Am Ende des Jeeptracks steigen wir etwas blass geworden aus und wandern zusammen mit Alam zwei Stunden zum Fairy Meadow Camp. Der Campingplatz liegt auf 3333 Metern, schnell kriegen wir wieder Farbe ins Gesicht. Das Atmen geht beim Laufen irgendwann in Keuchen über, der Rucksack wird immer schwerer und die Sehnsucht nach Ankunft immer größer. Auf dem steinigen, schmalen Fußpfad kommen uns zu dieser Jahreszeit bereits die Dorfbewohner mit Sack und Pack auf Eseln entgegen. Ihre bescheidenen Habseligkeiten sind in Decken und Tierleder verstaut. Das Huhn halten sie an den Flügeln in der Hand. Der Winter steht bald vor der Tür und sie verlassen ihre Sommerhütten und Weideplätze oben in den Bergen, um wieder ins mildere Tal zurück zukehren.
Endlich am Camp angekommen, bringt uns Mamanua frischen Bergtee zur Begrüßung. Der kleine alte Mann mit grauem Bart und dunkler sonnenherber Haut hält hier die Stellung. Außer uns sind keine Touristen da um diese Zeit. Wir bauen unser kleines Zelt mit unfassbarem Blick auf den Raikot Gletscher und Nanga Parbat auf und richten uns ein. Alam bringt noch eine dickere Matratze, als er unsere schmalen Isomatten sieht. Kaum ist die Sonne hinterm Berg verschwunden, wird es eisig. Zum Abendessen kochen wir uns passend zum Ambiente, die noch übrig gebliebenen Käsespätzle aus der Hüttenschmaus-Tütenserie von Knorr.
Die erste Nacht ist gut überstanden, unser Atem hat sich in der Früh als zarte Eisschicht an die Innenwand des Zeltes gelegt. Wir wagen den Blick nach Draußen. Das erste Bild vor Augen ist der Weiße Riese, der in der Morgensonne leuchtet. Unter der Wassertonne neben der Duschholzhütte flackert bereits das Feuer und wir gönnen uns gleich eine kurze, heiße Dusche. Danach servieren uns Alam und Mamanua ein perfektes Frühstück mit frisch gebackenem Fladenbrot, Kaffee, Ei und süßem Haferflockenbrei. Wir fühlen uns herrlich. Während ich noch akklimatisiere, gehen Micha und Alam auf kurze Tour vorbei an Seen und versteckten Bergdörfern. Hier gibt es noch Wölfe, die den Schaf- und Ziegenherden gefährlich werden. Die Menschen in dieser Gegend leben dem Anschein nach zufrieden in ihrer Abgeschiedenheit. Im Sommer, wenn die Frauen die kleinen Terrassenfelder bewässern, dürfen Touristen nicht in die Dörfer kommen. Die Frauen hier mögen es nicht, fotografiert zu werden.
Wir haben den ganzen Tag lang klaren Himmel, warme Sonnenstrahlen und beste Aussicht auf die Umgebung. Doch sobald um halb fünf die Sonne hinterm Berg untergeht, ist es Zeit für ein warmes Abendessen, dampfenden Tee und ein Feuerchen. Spätestens um acht krabbeln wir mit langen Unterhosen in den Schlafsack und ziehen unser kleines Zelt von innen zu. Am dritten Tag sind wir fit für den weiteren Aufstieg zum Aussichtspunkt auf etwa 3600 Metern. Alam kommt mit. Der Weg dorthin führt uns durch einen echten Zauberwald, über und vorbei an vereisten Bergbächen und verlassenen, kleinen Blockhütten. Dieser Ort könnte die Kulisse sämtlicher Grimm-Märchen sein. Wir können an manchen Stellen des Pfades tief nach unten ins schmale Indus Tal gucken. Nach zweieinhalb Stunden bergauf kommen wir schniefend am höchsten Punkt unserer Wanderung an. Beim weiten Blick auf Gletscher und Gipfel atmen wir tief durch und genießen still.
Das Nanga Parbat Basecamp (3.967m), von dem aus Messner und Co. ihre Gipfel-Exkursionen starten, ist von hier aus nicht mehr weit. Alam würde uns dorthin bringen, aber für noch mal vier Stunden weiterlaufen sind wir einfach nicht mehr fit genug. Dabei ist dieses Basislager das Einzige, das auch für Flachlandtiroler ohne große Erfahrung und Spezialausrüstung zu erreichen ist. Alam, der Reinhold Messner einmal als einheimischer Bergführer begleitet hat, erzählt uns, dass weit über hundert Bergsteiger ihr Leben am Killer Mountain gelassen haben. Der letzte Unfall passierte im Juli, als drei Italiener den Aufstieg versuchten und einer dabei ums Leben kam. Die Rettungsaktion der anderen beiden konnte man in den Medien verfolgen.
Der Abstieg zurück zum Fairy Meadow Camp ist erholsamer. Noch eine kalte Nacht im Zelt und dann heißt es auch schon wieder Abschied nehmen. Wir sind irgendwie benommen von unserem Aufenthalt in den Bergen, so dass wir die aufregende Abfahrt nach unserem Abstieg zum Jeeptrack sogar genießen. Tschüß Nanga Parbat! Eines Tages kommen wir vielleicht zurück, um Dich drei Wochen lang zu umrunden.
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
nächste Reisegeschichte >
< zurück zur Karte
Hallo,
suuupertolle Gegend. Finde ich echt toll, dass Ihr die Motorradstiefel mal gegen Wanderschuhe getauscht habt – in der Gegend sicher mehr als Lohnenswert.
Macht weiter so und sucht Euch demnächst eion warmes Winterdomizil…….
Weiterhin much fun!!!!
Gruß
Fränky
Hallo Ihr 2!
Habe den Bericht vom Anfang bis hierher in 2 Zügen durchgelesen und bin beeindruckt. Selbst seit 20 Jahren MZ-2-Takt-Fahrer weiß ich die Zuverlässigkeit dieser Mopeds zu schätzen. Ausgedehnte Touren durch Skandinavien haben mir das immer wieder bestätigt. Und auch Ihr beweist mit Eurer Reise, daß mit einer gut vorbereiteten MZ auch lange Fahrten durch unwegsames Gelände und Gipfel mit über 4000 Metern Höhe kein Problem sind. Sehr interessant finde ich die Berichte und Geschichten über Land und Leute. Mit der beschriebenen Gastfreundschaft kann ganz Europa nicht mithalten. Daß Ihr Euch trotz der ungewohnten Umgebung und den beschriebenen Gefahren sicher fühlt ist erfreulich und steigert den Wert der Reise um ein Vielfaches.
Ich wünsche Euch weiterhin Gute Reise, viele interessante Begegnungen und pannenfrei arbeitende Mopeds.
Herzliche Grüße,
Klaus aus Bad Bramstedt
Einfach begeistend, was ihr zu berichten habt.
Aber es ist schon richtig, wenn ihr auch die Gefahren und Risiken sauber abschätzt. Ob es ein Fels, eine Gewehrkugel oder ein hart geschlagener Poloball ist, alles keine angenehmen Partner für einen direkten Kontakt!
Hauptsache, eure Hunza-Kleidung wird nicht in anderen Gegenden als Affront aufgefasst. Ich könnte mir vorstellen, dass sowas bei verfeindeten Clans… auch mal schlecht ankommt.
Ich wünsche euch jedenfalls weiterhin ein gutes Gelingen bei eurer Form des angepassten Reisens. Und dass euer Schutzengel immer in eurer Nähe bleibt!
Beste Grüße aus dem herbstlichen Hamburg
Martin
Hallo Ihr zwei,
Nanga Parbat, da werde ich meinem Leben nie mehr hinkommen – schön dass es Euch gut geht und Ihr es Euch gut gehen lasst. Bei uns herrliches Herbstwetter aber schon mit Nachtfrösten. Wollt Ihr überhaupt nochmal heim?
Weiterhin vieeeel Spass, viel Glück und gutes Essen
Ciao
Fränky