Pakistan, zweiter Teil
3. Mai. Zurück in Pakistan, zurück in Lahore. Die Stadt kennen wir doch und zum Glück fahren wir an einem Sonntag ein. Denn heute ist mindestens die Hälfte weniger Verkehr auf den Straßen unterwegs. Wir kommen also ohne Probleme zum Zentrum durch, wo wir an bekannter Stelle Mittagspause machen, bevor wir auf den Highway gen Multan weiterfahren. Sofort merken wir wieder den Unterschied zu Indien: Die meisten Frauen sind aus der Öffentlichkeit verschwunden und die Männer zeigen sich durchweg in ihrem luftigen Zweiteiler mit den Schlafanzugfarben Weiß, Grau, Hellblau oder Braun. Ich habe ab jetzt mein Kopftuch wieder griffbereit im Tankrucksack.
Die Menschen in Pakistan haben eine eindeutig andere Art auf uns zuzugehen. Stolz begrüßen sie Reisende, die in ihr Land kommen. Wie wir schon beim ersten Besuch erlebt haben, sind die Pakistaner sowohl Micha als auch mir gegenüber offensiv, gastfreundlich und sehr hilfsbereit. Und zwar überall, wo wir bisher gelandet sind. Dass wir als (Ehe)Paar auftreten, spielt dabei bestimmt auch eine Rolle.
Von Lahore bis Quetta
Der Transit von Lahore an der Ostgrenze bis nach Quetta im Westen ist auf zwei Routen möglich. Und wir haben von anderen Reisenden gehört, die aus dem Iran nach Pakistan kamen, dass die Polizei aus Sicherheitsgründen jeden Ausländer von Quetta bis Lahore eskortiert und rund um die Uhr mit der Kalaschnikow bewacht. Um festzulegen, wie wir in den nächsten Tagen am besten an die pakistanisch-iranische Grenze kommen, sprechen wir mit unserem Freund Saeed in Rawalpindi über die zwei möglichen Wege nach Quetta. Die erste und kürzere Route über DG Khan und Loralei ist durch das Erdbeben im letzten Jahr in sehr schlechtem Zustand. Ausländer sind hier weniger gern gesehen – es gibt kaum Möglichkeiten zum Schlafen, Essen oder Auftanken. Wir nehmen die Empfehlung von Saeed ernst und damit die andere und fast doppelt so lange Strecke im südlichen Bogen über die Städte Sukkur und Sibi in Kauf.
In Lahore biegen wir auf den Highway Nummer 5 nach Süden ab. Die brandneue Fahrbahn ist eben wie eine Landebahn und wir düsen mit fünfundachtzig Kilometern pro Stunde über die wenig befahrene Doppelspur. Der Highway bringt uns laut Karte bis nach Sukkur und bleibt hoffentlich so transittauglich. Erster Übernachtungsstopp ist die Stadt Sahiwal, nur etwa drei Stunden Fahrt von Lahore entfernt. Im Indus Hotel beziehen wir ein Zimmer mit so genanntem Aircooler – die antike Variante einer Klimaanlage und ein Höllengerät, das von außen staubige, aber halbwegs gekühlte Luft über ein Wasserbecken klappernd ins Zimmer turbiniert. Egal, Hauptsache ein paar Grad weniger und hoffentlich ein bisschen Schlaf in der kommenden Nacht. Als wir zum Abendessen ins nächstgelegene Straßenrestaurant gehen wollen, fängt ein starker Sturm an. Der aufgewirbelte Staub verdunkelt die ganze Stadt, Müllreste fliegen durch die Gegend. Der freundliche Rezeptionist meint, es kündigt sich Regen an. Als wir am nächsten Morgen um sechs Uhr losfahren, bleibt die aufgehende Sonne tatsächlich hinter einer dicken Wolkendecke hängen und die Temperaturen sind endlich auszuhalten. Außer ein paar kleinen Regenschauern passiert zum Glück an diesem Tag nicht viel. Abgesehen von einem Beinahe-Crash mit Streifkontakt, weil ein pakistanischer Motorradfahrer sich nicht nach mir umdreht, bevor er ungebremst die komplette Fahrbahn schneidet.
Polizei- und Medienrummel in Rahimyar Khan
447 Kilometer und acht Stunden Emmenfahrt – diese Etappe ist ein Rekord. Kein Wunder, dass sich alle um uns scharen, als wir am Nachmittag in Rahimyar Khan vor dem Hotel anhalten. Auf der Straße staut sich der Moped-, Esel- und Rikschaverkehr, weil jeder sehen will, was los ist: Zwei Deutsche auf dem Motorrad sind in der Stadt! Verschwitzt wühlen wir uns mit Sack und Pack zur Hoteltür durch, wo wir herzlich empfangen werden. Wir kommen mit Abu Bakar, dem netten Manager des Hotels, ins Gespräch und reden über unsere Route nach Quetta. Unsere Frage, ob Quetta derzeit unbedenklich sei, bringt unbemerkt eine Sicherheitslawine ins rollen. Als wir uns auf dem Zimmer dem eingeübten Ankunftsprozedere widmen (Helme/Taschen entstauben, Shirt/Socken durchspülen, duschen), klopfen zwei Polizeibeamte an unsere Tür. Fünf Minuten später sitzt Micha im Sandwich zwischen zwei bewaffneten Polizisten auf einer niedlichen 125er und ich bei Abu Bakar hinten auf dem Moped. Der Manager hat es gut gemeint und sich bei der lokalen Polizei um unsere Sicherheit beworben. Nun bringt man uns kurz zur Wache und ruckzuck ist ein Begleitteam zusammengestellt. Ab jetzt haben wir immer zwei Uniformierte in der Nähe und es scheint, eine willkommene Abwechslung für die Männer zu sein.
Zurück im Hotel warten zwei Herren von der Zeitung an der Rezeption auf uns. Ein Interview, bitte! Als wir uns am Abend endlich zurückziehen wollen, klopft außerdem das Zeitungs- und Kamerateam von Express News Pakistan an die Tür. Auf dem hässlichen Sofa wird schnell ein Interview aufgenommen. Die Polizei steht daneben und genießt das Theater, bevor sie die ganze Nacht auf dem Hotelflur Wache schiebt. Vermutlich haben die Officers selbst die Journalisten informiert. Spätestens morgen weiß also jeder, dass zwei Deutsche mit dem Motorrad auf dem Weg an die afghanische bzw. iranische Grenze sind. Das zeigt doch, dass das Polizeiaufgebot wegen Ausländern derzeit wohl eher ein Statusakt statt einer ernsten Sicherheitsmaßnahme ist. Zehn nach Sechs fahren wir nach einer kurzen Nacht aus Rahimyar Khan davon – vor uns der Toyota-Pickup der Polizei mit dem Kameramann von gestern Abend auf der Ladefläche, der noch ein paar Fahraufnahmen braucht. Die Eskorte wird auf der Strecke bis nach Sukkur etwa drei, vier Mal wechseln.
Rumpelritt durch Sindh
Wir haben gerade die relativ grüne Punjab-Region verlassen und das eher karge Sindh erreicht. In der Stadt Sukkur verabschiedet sich plötzlich der Wagen der letzten Eskortablösung und verschwindet aus unseren Rückspiegeln. Zum Glück, denn sein Fahrer hat wohl noch gepennt und wir sind mit vierzig km/h durch die Gegend geeiert. Ab nun sind wir auf dem National Highway 65 in nordwestlicher Richtung unterwegs. Die Straße ist viel befahren und der Asphalt stark zerfressen. Eine echte Rumpelpiste. Der flache Boden in der Umgebung gleicht einer Mondlandschaft – eine weißstaubige und steinige Gegend. Da Frühstücken beim Frühaufstehen wegfällt, melden sich spätesten Mittags unsere Mägen. Als wir in Shikarpur an einer Kreuzung Pause machen und gleichzeitig nach dem richtigen Weg fragen, haben wir sofort wieder neue freundlich-neugierige Polizisten zur Stelle, die uns bis vor die Zimmertür des Greenland Hotels im zugestaubten Jacobabad manövrieren.
Diese Etappe war anstrengend. Uns fehlt Schlaf. Die Luft im fast fensterlosen Hotelzimmer ist zum Zerschneiden dick und aus dem Wasserhahn läuft nur warmes Wasser. Wir legen uns mit nassen Lappen auf dem Kopf auf die Matratze und stellen für heute jede Bewegung ein. So wie die drei blassen Gekkos, die an der Wand auf Insekten lauern. Auf dem Hotelflur sitzt die neue, örtliche Mannschaft der Polizeieskorte und steht Spalier, sobald wir uns bewegen. Natürlich möchte sich jeder persönlich bei uns vorstellen: „How are you, Mister? How is your wife? Most welcome to Pakistan!” Diesmal verlassen wir das Zimmer erst wieder, als wir am nächsten Morgen weiter wollen.
Balutschistan: Durch die Mondlandschaft nach Quetta
Kurz hinter Jacobabad passieren wir die Grenze zu Balutschistan und der Highway ist wieder im Tip-Top-Zustand. Mit der Eskorte vorweg brausen wir durch die Steinwüste Balutschistans davon. Ein paar Mal zwingt uns der Polizeiwechsel zur Pause – meistens irgendwo im Nichts. Jetzt sind sogar manchmal zwei Polizisten auf einer 100ccm Yamaha unsere nett gemeinte Sicherheitsgarantie. Wir können auf der ganzen Strecke keine Bedrohung wahrnehmen. Nicht nur die Polizei, auch alle anderen auf der Straße oder in den Dörfern vermitteln eine gelassene Atmosphäre. Nach drei Stunden passieren wir Sibi und biegen ab auf eine wellige Fahrbahn durch die vegetationslose Hügellandschaft, die uns nach Quetta bringt. Fast unbemerkt knattern wir in den nächsten drei Stunden Fahrt über die 87 Kilometer des legendären Bolan-Passes. Hier haben seit vielen Jahrhunderten Nomaden, Händler und Soldaten zwischen Zentralasien und Indien verkehrt. Stellenweise rollen unsere Emmen über Schotterabschnitte und sammeln den weißen, balutschistanischen Wüstenstaub ein.
Quetta ist voller Polizei und Militär. Bei Einfahrt in die wuselige Stadt sirent der Toyota Hilux der Eskorte den Weg frei. Hinter uns fährt ein zweiter Wagen mit drei weiteren bewaffneten Männern auf der Ladefläche. Naja, immerhin hat das ganze Aufgebot plötzlich was Gutes, als Michas Vorderrad beim leichten Bremsen auf dem glatt geschliffenen Asphalt zur Seite rutscht und Emme plus Reiter zum Erliegen bringt. Die Eskorte regelt sofort den Verkehr und verhindert die obligatorische Menschentraube ums Geschehen. Mit leicht verbogenen Alukofferträgern und schiefem Lenker fährt Micha ganz schön bleich im Gesicht weiter bis zum Hotel. Der linke Daumen hat was abgekommen und schwillt an. Der rechte Fuß, der zwischen Alukoffer und Asphalt eingeklemmt war, genauso. Wir gehen am besten gleich zum Röntgen ins Krankenhaus.
Daumen hoch!
Im Sandeman Zivil Hospital von Quetta sind Ausländer nicht oft zu Besuch. Der rauchende Typ an der Rezeption der Notaufnahme tippt „Patient: Maikal” in den Computer. Wir bezahlen 20 Rupien (etwa 15 Cent) Gebühr. Dann führen uns irgendwelche Männer voller Freude in den Röntgenraum. Micha in seinem weißen Pakistani-Hemd ist der Einzige im ganzen Hospital, der wie ein Arzt aussieht. Keiner der fünf Typen verlässt den Raum, als Michas Hand bestrahlt wird. Neugier geht über eine Strahlendosis. Der Ring bleibt auch erstmal am Finger. Solange wir auf dem Flur auf die Röntgenbilder warten, möchte irgendwer Micha gerne eine Injektion verpassen. Die Ampulle und Nadel hat er schon in der Hand. Wozu die allerdings gut sein soll, kann er uns nicht verständlich machen. Micha lehnt freundlich und dankend ab. Die anschließende Diagnose ist eindeutig: glatter Bruch am Daumen. Knöchel zum Glück nur verstaucht. Sofort kommt das nächste Team zum Einsatz. Drei Männer gleichzeitig drücken Michas Daumenknochen in die richtige Position zurück. Ich muss dabei zugucken, wie Michas Schmerz verzerrtes Gesicht immer weißer wird und sein Kreislauf schlapp machen will. Hoffentlich wissen die, was sie tun! Mit frischem Gips und Daumen hoch an der Hand verlassen wir nach einer halben Stunde erleichtert das Hospital und hoffen, dass Kuppeln weiterhin möglich ist.
Zum Wunden lecken ist das Hotel, in dem wir untergekommen sind, ein guter Ort. Es hat einen grünen, herrlich ruhigen Innenhof. Die Schweizer Jan und Karin sind außer uns die einzigen Gäste hier. Mit den Beiden verbringen wir zwei schöne erste Tage, bevor sie in ihrem Toyota Landcruser nach Lahore abhauen.
Vom Visaagenten in Berlin haben wir trotz Betteln um ein Zeichen nicht erfahren, ob die Iranvisa wie versprochen unterwegs nach Quetta sind. Als wir telefonisch nachhaken, heißt es nur, dass Herr Haase gerade in Nepal ist. Na toll! Immerhin hat er eine kompetente Kollegin, die uns am 8. Mai endlich die Dokumente per DHL Express nach Quetta schickt und uns erstmals korrekt informiert, ab wann und wie lange die Visa gültig sind. Sobald wir die Grenze in den Iran überschreiten, haben wir volle dreißig Tage Zeit fürs Land. Eine gute Nachricht. Der Schneider um die Ecke näht Micha einen langen Reißverschluss in den Ärmel der Motorradjacke, damit sie über den Gipsarm passt. Am 11. Mai soll die DHL-Sendung im Hotel sein und am nächsten Morgen wollen wir dann auf die letzten beiden Etappen zur iranischen Grenze nach Taftan aufbrechen. Den glücklichen Pakistaner vorm Hotel mit seiner knallgelben Brille nehmen wir als gutes Omen für die Weiterreise gen Heimat.
Neugier auf Persien
Wir sind neugierig auf den Iran. Wahrscheinlich das i-Tüpfelchen auf unserer Reise entlang der alten Seidenstraßen – auch wenn wir ein paar lange, einsame Streckenabschnitte auf den Wüstenhighways der persischen Hochebene zurücklegen müssen. Iran wird mit Sicherheit seinem schlechten Ruf in der westlichen Welt nicht gerecht. Wir wollen uns ein eigenes Bild machen: von der höflichen, herzlichen Art der Perser, vom altorientalischen Flair in Isfahan und Yazd, vom noch irreren Fahrstil der Iraner und vielleicht einen Blick hinter die Kulissen der Metropole Teheran werfen. Wie werden wir das Land der Arier erleben?
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Hallo Ihr Zwei,
Ihr lasst es ja richtig krachen in der Ferne. Toll zu lesen und Spitzenbilder. Passt auf Euch auf wenn ihr mal „ohne“ Eskorte unterwegs seid. Daumen hoch (aua!) für Eure Reise.
Grüßle
Fränky
Is‘ ja gut, ich höre ja schon auf mit meiner bedenklichen Miene und den vorsichtigen Bemerkungen.
Daumen hoch, ihr macht das schon!
Beste Grüße und alle guten Wünsche an Euch
Martin