Bloß nicht die E68
Wir befahren Rumänien über die ungarische Grenzstadt Chisineu-Chris. Als wir noch einen Tankstopp einlegen, schnappt sich der junge Tankwart sein Handy, um seinen Bruder anzurufen. Plötzlich kommt dieser stolz mit seiner gut gepflegten MZ ETZ 250 um die Ecke. Er guckt sich unsere Umbauten genauestens an und würde am liebsten mitfahren. Wir legen unsere Tagesroute entlang einer Nebenstraße über Ineu und Sebis fest. Auf den gut ausgebauten Europastraßen kämen wir zwar besser voran, aber die Fahrt auf der E68 ist einfach nur schrecklich: ein stinkender, rasender LKW-Korso und etliche Baustellen statt entspannter Fahrt durchs Land. Ich fühle mich total bedrängt, zumal ich mich immer noch auf das Fahren mit Gepäck und Überbreite gewöhnen muss. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 90 kmh stelle ich auf der Fernstraße ein Hindernis dar und habe ständig einen Drängler im Rückspiegel. Auf den Nebenstraßen schlängeln wir dagegen gemütlich durch die rumänischen Dörfer, immer ein konzentrierter Blick auf den Flickenasphalt, damit die Schlaglöcher uns nicht aus der verträumten Fahrt reißen. Die Menschen pfeifen und lachen uns zu. Auf den sonnigen Feldern sind ganze Familien mit Pferdewagen und Hacke bei der Arbeit; die Männer mit freiem Oberkörper, die Frauen im Kleid und Kopftuch. Mich erinnert das an alte Geschichten meiner Oma. Hier ist – im Gegensatz zu den Städten mit sämtlichen deutschen Supermärkten – die Zeit stehen geblieben. Wir als Beobachter genießen die Romantik, gleichzeitig ahnend, wie hart das reale Landleben sein muss.
Rumänische Herzlichkeit: 5-Sterne-Unterkunft in Avram Iancu
Es sind 30 Grad und wir sind nach ein paar Stunden im Sattel schon wieder fix und fertig. Als wir durch eine saftgrüne Hügellandschaft fahren, über die die Bauern gerade ihre Kühe zurück ins Dorf treiben, halten wir an, um nach einer Möglichkeit zum Campen zu fragen. Wir sind im kleinen Dorf Avram Iancu angekommen. Georgia, der hier ein Sägewerk und eine Holzwerkstatt betreibt, guckt erst schüchtern übers Tor, als wir vor seinem Haus anhalten und weist uns gleich darauf mit seiner Hand und einem Lächeln den Weg auf sein Gehöft. Er lädt uns herzlich ein, zu bleiben. Wir sind froh und trinken mit ihm auf seiner selbst gebauten Holzschaukelbank am Fischteich entspannt ein Becks und verständigen uns mit Gestiken und dem Bildwörterbuch. Als wir sein Vertrauen gewonnen haben, zeigt er uns stolz das Gelände und sein großes, frisch renoviertes Wohnhaus mit drei Bädern, das frisch nach Parkett riecht. Es ist neu möbliert, aber unbewohnt; er selbst und seine Frau leben im kleineren Bauernhaus auf der anderen Seite des Firmengeländes. Die beiden Töchter studieren in Abrud und wohnen nicht mehr zuhause. Wir haben nun also das große Haus für uns allein und schlafen bereits in der Dämmerung im Doppelbett glücklich ein. Am nächsten Morgen bekommen wir noch Besuch von einer Frau aus dem Dorf, die sich ein bisschen mit uns auf Deutsch unterhalten möchte. Der Besuch aus Deutschland hat sich herumgesprochen, nachdem wir am Vorabend im Dorfladen (Magazin) Bier und was zu Essen eingekauft hatten. Viele der Rumänen, die wir treffen, sprechen unsere Sprache. Ihre Vorfahren gehören zu den deutschen Einsiedlern, von denen der größte Teil mit dem Fall der Mauer wieder zurück nach Deutschland auswanderte.
Hundsgebell am Salzsee von Ocna Sibiului
Wir übernachten am 28. Mai auf dem Zeltplatz auf einem Hügel am kleinen Salzsee bei Sibiu (Hermannstadt). Das Gelände sieht von hier oben wie eine mit Biergärten belagerte Baggerlandschaft aus. Wir ziehen die schwere Motorradkluft aus und machen uns unter den Freiluftduschen frisch. Jeder der Biergärten spielt laut die eigene, nervige Musik, obwohl kaum Gäste da sind. Als wir nach ein paar Zeilen aus den mitgenommenen Motorradzeitschriftberichten endlich eingeschlafen sind, werden wir in der Nacht durch das Gebell der obdachlosen Hunde geweckt, das mindestens eine halbe Stunde ununterbrochen über den See hallt. Am nächsten Morgen begrüßen uns andere Reisende aus Kalifornien und Ulm, mit denen wir uns kurz unterhalten.
Endlich: Auszeit vom Fahren im schönen Brasov (Kronstadt)
Kilometerstand 3113 km (Start: 1111 km). Etwa 200 Kilometer vor Bulgarien gönnen wir uns endlich zwei, drei Tage ohne Sachenpacken und Weiterfahren. Auf dem fast leeren Darste Campingplatz in Brașov mieten wir uns am Mittwochabend nach 6 Stunden Fahrt und geschafften 200 Kilometern einschließlich Serpentinen durch die Berge und einer Irrfahrt durch die Stadt für 15 Euro pro Nacht eine Finnhütte. Den nächsten Tag nehmen wir uns Zeit zum Wäschewaschen, für die Motorradwartung (Michas MZ verbraucht zu viel Sprit), zum Bloggen und natürlich für die Stadt. Hier sitzen wir draußen im Straßenrestaurant in der Innenstadt und nutzen wieder mal freien WLAN-Zugang.
Als wir in Rumänien sind, steht das Land kurz vor den Kommunalwahlen am 1. Juni. Die Parteien in grün, gelb und orange geben noch mal alles und fahren heiße Geschütze auf: In Brasov fährt ein Techno-LKW mit tanzenden, heißen Mädels auf der offenen Ladefläche vor uns durch die Straßen. In der Altstadt beschallt die Gegenpartei mit Clubmusik aus Riesenboxen den kompletten Marktplatz. Die Sonne scheint und wir gucken amüsiert den alten Leuten in Shirts ihrer Partei zu, die überhaupt nicht zum jungen Sound passen, aber völlig entspannt auf dem Platz zusammengekommen sind. Die ganze Stadt ist in den Farben ihrer Partei unterwegs und alle machen Wahlkampf in den letzten Zügen.
Noch am Anfang: Resümee nach 10 Tagen
Beim Frühstück stellen wir fest, dass sich bei uns Beiden immer noch keine innere Ruhe eingestellt hat. Der Luxusgedanke, dass uns ein ganzes Jahr Auszeit bevorsteht, ist immer noch nicht richtig durchgedrungen. Vielleicht, wenn wir in ein paar Tagen Istanbul erreicht und dort pausiert haben, bevor wir Europa hinter uns lassen? Immerhin hat sich so langsam eine Art Arbeitsteilung bei allen Dingen eingestellt. Mit den MZ kommen wir auch gut zurecht. Wir telefonieren noch jeden Tag nach Deutschland, um unseren neuen Standpunkt durchzugeben. Das Garmin-GPS haben wir übrigens immer noch nicht (und auch keine Lust mehr auf blöde Ausreden am Telefon). Für gute Fotos und den richtigen Umgang mit der Kamera hatten wir bisher leider kaum Zeit. Den Kocher lassen wir auch meistens noch im Koffer, weil wir abends zu müde/faul zum Essen machen sind. Die Schlafausrüstung bewährt sich bestens. Andere Gegenstände befinden sich natürlich noch im Test.
MZ: Echt ein Renner!
„Ahhh! Emm Se!“ … Wir hatten es vermutet und merken schon nach zwei Wochen unserer Reise: Mit den alten MZ-Motorrädern haben wir die Sympathie auf unserer Seite. Ob bei der Verabschiedung in unserer Heimat, beim Zwischenstopp in Tchechien, bei den Slowaken, in Ungarn, den rumänischen Karpaten oder an der Schwarzmeerküste in Bulgarien: die Emmen erregen Aufsehen. Oft sprechen uns junge und alte Männer direkt auf die Motorräder an und so finden wir über nur zwei Buchstaben schnell Kontakt zu den Leuten: „Emm Se (MZ), good Maschina!“ Als (Motorrad)Reisende wird uns während der Fahrt oft zugewunken, zugelacht, gehupt oder alles gleichzeitig. In Brasov in Rumänien werden wir sogar gefilmt.
Oft bemerken die Leute erst beim zweiten Hingucken, dass es sich um ein Motorrad handelt, dass sie selbst noch aus alten Zeiten kennen, in denen ihr Heimatland und die DDR noch sozialistische Bruderstaaten waren. Bei der Abreise vom Restauranthof in Ungarn kam der eher reservierte Gastwirt regelrecht herausgestürmt, als er die vertrauten Klänge (oder war es doch der Geruch) hörte. Er strahlte uns aus der blauen Dunstwolke an wie ein kleiner Junge, hielt beide Daumen nach oben und wünschte uns im Vorbeifahren eine gute Reise.
Auch Vasili vom Zeltplatz nahe Sibiu hatte früher selbst eine MZ 175er ES. Leider war die Ersatzteilversorgung in Rumänien bescheiden und so wurde oft improvisiert. Bei seinem Zschopauer Eisenschwein musste bspw. ein Trabikolben als Ersatzteil herhalten – mit dem Nebeneffekt, dass seine MZ nun mehr 300 ccm Hubraum hatte, erzählte er uns grinsend. Ein paar hundert Kilometer weiter in Ploiestri hielt ein roter VW neben uns. Der Fahrer guckt auf die beladenen Emmen und fragt erstaunt: „You are Globetrotter?“ Als wir beide nicken, erzählt er uns, dass er selbst Motorrad fährt, heute eine Yamaha, und als Mechaniker arbeitet. Aus Zeitgründen sei er leider nur ein „Sunday Biker“. Als wir unsere geplante Reiseroute zeigten, konnte er es kaum glauben: „I have no words!“ Nach kurzem Fachsimpeln mit Händen, Füßen und ein paar Brocken Englisch verabschieden wir uns. Für den Fall, dass wir Hilfe brauchen, drückt er uns noch schnell einen Zettel mit seiner Adresse und Telefonnummer in die Hand.
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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