Nepal – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Wed, 13 Feb 2019 07:46:07 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Nepal – eMMenreiter 32 32 Nepal: In Motorradstiefeln um den Manaslu (2/2) /nepal-manaslu-trekking-teil2/ Sun, 04 Jun 2017 10:17:01 +0000 /?page_id=13874 < zum ersten Teil

360° Bergpanorama in Shyala auf 3.500 Metern © emmenreiter.de

Samagaun: Tibeter-Olympiade vor dem weißen Riesen

12. April 2017 – der neunte Wandertag. „Ab jetzt nur noch Lunch-Camp“, freut sich unser Bergführer Bhim. Damit meint er, dass wir bis zum Ende der Manaslu-Runde jeden Tag nur noch bis mittags unterwegs sind. Das heißt allerdings auch, dass wir weniger Pausen machen werden. Denn: „Many Pausi, many cold!“, lächelt Bhim.
Um halb zwölf haben wir heute bereits Samagaun (3.520 m) erreicht. Der Ort liegt am Ende einer weiten Hochebene. Mit jeder Stunde umhüllen immer mehr Wolken die Spitze des Manaslus, bis er an diesem Nachmittag ganz und gar hinter einem kalten Nebelvorhang verschwunden ist. Damit wir uns besser an die Höhenluft anpassen, werden wir zwei Nächte in Samagaun bleiben. Am nächsten Tag brechen wir zu einem Ausflug zum Pungen Gompa auf. Das abgeschiedene, tibetische Bergkloster versteckt sich auf 4.120 Metern in Richtung Manaslu und ist umringt von imposanten, schneeweißen Gebirgsketten. Bhim ist ebenfalls noch nie dort gewesen. Als wir zu dritt an Murmeltieren, Blauschafen und Yaks vorbei über das flache Gras einer Hochalm dem Kloster entgegenlaufen, hören wir ein neues deutsches Wort aus Bhims Mund: „Waaaahnsinn!“ Die Ostseite des Manaslus schlägt in voller Pracht vor uns auf. Wir sind dem Achttausender so nah, dass der Weg zum Gipfel nicht so weit erscheint ­– dabei liegt er immer noch 4.000 Höhenmeter über uns.
Als wir am frühen Nachmittag wieder nach Samagaun absteigen, haben sich die Menschen aus den umliegenden Dörfern auf der Weide zu einem Fest versammelt. Die Männer haben ihre stumpfen Fellmäntel gegen schimmernde Umhänge getauscht und tragen farbenprächtige, schmückende Gürtel und Mützen. Sie sitzen in einem weiten Kreis auf dem Gras. Ihre Frauen und Kinder sitzen etwas abseits ebenfalls auf der Erde und beobachten die traditionellen Wettkämpfe, die gleich starten werden: Bogenschießen, Tauziehen und Pferderennen. Wir hocken uns mit an den Rand und müssen aufpassen, dass wir nicht zu nah an die Schusslinie der langen Pfeile geraten. Die Sonne ist schon eine Weile im grauen Himmel verschwunden und durchgefroren, noch bevor der wilde Pferdewettlauf losgeht, laufen wir vom Tibeterfest zur Lodge zurück.

Neuschnee in Samdo

14. April 2017. Happy New Year! Heute beginnt das nepalesische Neujahr 2074. Ich nehme unsere steifgefrorenen Socken von der Wäscheleine und lege sie in die wärmende Morgensonne, solange wir frühstücken gehen. Wir fühlen uns fit und bis mittags steigen wir an einem türkisblauen Gletschersee vorbei nach Samdo auf. Das kleine Tibeterdorf (3.875 m hoch) ist noch sehr ursprünglich. Statt knallblauer Wellblechdächer decken schwere, dunkelgraue Steinplatten die Häuser ab, in denen die Menschen dicht bei ihren Tieren leben. Nicht alle Bewohner bleiben den strengen Winter über im Dorf. Sie kehren erst jetzt im Frühjahr mit beladenen Pferden und Maultieren über den Larke-Pass aus tieferen Ebenen zurück.
Bhim besorgt einen Eimer heißes Wasser aus der Küche und Micha und ich nehmen nacheinander im engen, niedrigen Klohäuschen eine schnelle „Dusche“ über der Hocktoilette. Durch die scheibenlose Fensterluke weht die kalte Luft auf meine nasse Haut und bibbernd rubbel ich mich so schnell es geht trocken. Jetzt noch zügig die lange Unterwäsche überstreifen, ohne das etwas ins Hockklo fällt, und raus hier.
Mir ist nachmittags etwas übel von der Höhe und wir ziehen uns mit einer großen Thermoskanne heißen Zitronentee in die winzige Schlafkammer zurück. Die Nachmittagswolken türmen sich heute viel stärker auf als sonst. Beide Teebecher dampfen und wir beobachten vom Schlafsack aus, wie das Bergwetter vor unserem Fenster immer ungemütlicher wird. Der Wind pustet durch die Ritzen am Holzfensterrahmen herein. Plötzlich klatschen feuchte, dicke Schneeflocken gegen die Scheibe. Das Yak da draußen am Hang sucht weiterhin völlig unbeeindruckt nach Gras, während der Schnee auf sein schwarzes, dickes Fell weht. Meine Nasenspitze ist ganz kalt. Obwohl es in unserer Kammer kaum wärmer ist als draußen, macht sich ein uriges Gefühl von Geborgenheit breit.
Nach dem Abendessen – Bratkartoffeln mit Yakkäse bestreut – huschen wir schnell zurück auf die schmalen Betten und schlafen bald ein. Bhim verbringt den Abend wie immer mit den Bergführern anderer Wanderer, die sich in der Lodge meistens auch ein Zimmer teilen.
Wir müssen diese Nacht viel öfter zum Pinkeln raus, als uns lieb ist – ein ganz normales Phänomen im Hochgebirge. Genau wie die Schlafstörung, unter der Micha jetzt leidet. Er kommt fast gar nicht zur Ruhe und steht fünfmal mit der Taschenlampe auf.
Die aufgehende Sonne schiebt sich endlich langsam über die Berge und bald hebt sich eine strahlend weiße Winterlandschaft vor einem knallblauen Himalajahimmel ab. Ich laufe in Badelatschen durch den angefrorenen Neuschnee zur Toilette. Eiszapfen hängen vom Überdach herunter und sogar auf der Wäscheleine balanciert eine Schicht Schnee. Die schwarzen Yakherden des Dorfes heben sich wunderschön von dieser verwandelten, windstillen Landschaft ab.
Die Bergsonne wird schnell kräftiger und bald tropft es überall von den Steindächern. Bis zum frühen Nachmittag hat sich fast das ganze Weiß in der Sonne aufgelöst. Zusammen mit Ursula und Marc, die genau wie wir erst morgen weiterwandern, setzen wir uns mit einer Schachtel Buntstifte nach draußen und malen gekochte Eier an. Morgen ist Ostersonntag. Und außerdem sind wir dann genau ein Jahr lang im bunten Asien unterwegs.
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Höhenrausch: Im Mondschein zum Larke-Pass

Am Ostersonntag brechen wir nach Daramshala auf – ein einfaches Camp auf 4.460 Metern, von dem aus wir übermorgen den Larke-Pass angehen. Wir sind heute nur drei Stunden lang unterwegs, aber in dieser Höhe bin ich schnell außer Atem. Das Herz boxt regelrecht gegen die Brust , aber es beruhigt sich auch schnell wieder, sobald ich eine kurze Verschnaufpause einlege.
In Daramshala haben wir die Wahl, im Zelt oder in einer Felssteinkammer zu übernachten, die einem kleinen Viehstall gleicht, in den man drei Pritschen gestellt hat. Wir entscheiden uns für letzteres. Ich muss wieder einmal gegen Übelkeit ankämpfen, bis sich mein Körper an die neue Höhe gewöhnt hat. Wir überbrücken die Zeit bis zum Abend mit Würfelspielen. Andere Wanderer, die mit uns im Camp sind, sitzen mit Büchern in der Sonne oder laufen derweil zur besseren Akklimatisierung auf die umliegenden Hügel hinauf. Irgendwann fühle ich mich besser. Gleichzeitig steigt die Aufregung. Heute Nacht um drei Uhr wird der Wecker klingeln. Um vier laufen wir los, hat Bhim gesagt. Hoffentlich spielt das Wetter mit und wir haben einen freien Blick auf die Berge, wenn wir am Pass ankommen.
Es ist duster und arschkalt, als wir aufstehen müssen. Unsere Köpfe sind sofort wach, aber unsere Körper wollen noch schlafen und wir spüren beide ein flaues Gefühl im Bauch. Im Licht der Taschenlampe packen wir die Sachen zusammen, versuchen dann, noch etwas zu frühstücken und los geht’s. Ein paar Wanderer sind schon vorgegangen und ihre Stirnlampen bewegen sich in der Dunkelheit langsam aufwärts. Wir knipsen ebenfalls die Lampen an und sind froh, dass der Mond zusätzlich etwas Licht spendet.
Bhim hat diesmal seine Winterjacke, Winterhose und Halbstiefel angezogen. Motiviert läuft er voraus. Etwas zu schnell, wie ich finde. Der Anstieg hat es anfangs in sich und mir bleibt sofort die Puste weg. Man sagt, ein Berg erscheint Menschen dann besonders steil, wenn sie müde sind, einen schweren Rucksack tragen oder Angst haben.
Hinter uns ändert der Himmel allmählich seine Farbe von schwarz zu blau. Das ist ein schöner Anblick und ein schönes Gefühl. Bald wird die Sonne aufgehen. Wir laufen weiter und kommen langsam in den richtigen Rhythmus. Micha fühlt sich gut. Mir dagegen ist schwindelig und ich fühle mich betrunken. Wir laufen über mehrere Schneefelder, aber die Steigung und der Weg sind jetzt angenehmer. Beim Larke-Pass handelt es sich nämlich nicht um eine Spitze, sondern um eine Ebene, der man stetig entgegenläuft. Es ist etwa halb acht, als wir auf einmal an Gebetsfahnen vorbeikommen. Sind wir oben? Bhim, der vorangegangen ist, hat seinen Rucksack abgesetzt und winkt uns entgegen. „Wir sind am Pass – da steht das Schild!“ sage ich erleichtert zu Micha. Die Sonne scheint längst grell und präsentiert die schneeweißen Himalajagipfel ringsum in perfektem Licht. Eisige Windböen zerren an den bunten Gebetsfahnen. Wir drei schießen unsere verdienten „Gipfelfotos“ und nehmen einen köstlichen Schluck von dem einheimischen Rum, den Bhim aus seiner Jackentasche hervorgezaubert hat. Mir ist immer noch etwas schwindelig, aber jetzt fühlt es sich gut an. „Let`s go!“ fordert uns Bhim zum Abstieg auf – und der hat es in sich.
Ein steiler, steiniger Pfad schlängelt sich weit nach unten. Schnee und Eis machen die Sache stellenweise sehr rutschig. Mir ist nicht wohl dabei und ich muss an die leichten Steigeisen denken, nach denen uns Madan in Kathmandu gefragt hatte. Aus dem Tal steigt heute außerdem eine Karawane zum Pass auf. Der Trampelpfad ist schmal und wir müssen zusehen, dass wir den beladenen Pferden rechtzeitig Platz machen. Eines der Pferde fängt trotzdem an zu scheuen und flüchtet vor uns auf den verschneiten Berghang. Bhim wird hektisch und fordert uns auf, weiter zu klettern. Er hat Angst, das Pferd könnte jeden Moment an uns vorbei abstürzen.
Irgendwann haben wir den rutschigen Teil des Abstiegs geschafft. Danach laufen wir stundenlang über steinige Wege nach unten. Am frühen Nachmittag, als meine kraftlosen Beine vom endlosen Bergab nur noch dahin stolpern, erblicken wir endlich die Dächer von Bhimtang. Wir lassen an der ersten Lodge, die wir passieren, unsere Rucksäcke fallen. Marc und Ursula sind kurz vor uns eingetroffen und nun sitzen wir gemeinsam da und genießen das zufriedene Gefühl, es geschafft zu haben. Ich zerre an meinen Stiefeln und Socken und befreie endlich meine Füße. Nach einer fließenden, heißen – ja, einer heißen – Dusche fallen wir gelähmt in einen wenig erholsamen Mittagsschlaf. Wir sind heute etwa 1.500 Höhenmeter abwärts gelaufen und an diesen Unterschied muss sich der Körper auch erst zurück gewöhnen. Nachts haben wir glücklicherweise den besten Schlaf, den man sich vorstellen kann, und nach dem Frühstück setzen wir die Manaslu-Runde munter fort. Ab jetzt geht es nur noch bergab.
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In ein paar Stunden ist Frühling

Mit jeder Stunde, die wir talwärts laufen, wird es frühlingshafter. Sträucher haben jetzt Knospen. Dann kleine Blüten. Bald kommen wir durch urwüchsige Wälder, in denen prachtvolle Rhododendronbäume in voller Blüte stehen: weiß, pink und rot. Der Weg bis Surki (2.700 m) ist ein entspannter Spaziergang durch eine wunderschöne Berglandschaft, durch die ein von Gletschersedimenten milchig gefärbter Fluss strömt. Langurenaffen klettern an den Hängen umher.
Kurz vor Dharapani (1.963 m), wo die Manaslu-Runde auf die Annapurna-Runde trifft, wird gerade eine neue Jeepstraße in die Berge gesprengt. Sie soll irgendwann Bhimtang erreichen. Was den abgelegenen Bergdörfern eine Hilfe ist, wird vielen Wanderern allerdings nicht gefallen. Mit jeder Straße geht erfahrungsgemäß bald auch die besondere Ursprünglichkeit einer Region verloren, die den Wandertourismus überhaupt erst reizvoll macht.
In Dharapani steigen wir in einen Jeep um – eine Rüttelto(rt)ur der schlimmsten Sorte. „Do you like Nepali Highway?“, lacht uns Bhim während der Fahrt von der Rückbank zu. Die Räder des Wagens poltern im ersten Gang über unglaubliches Geröll. Die Reifen sind soweit abgefahren, dass bereits die Karkasse durchschimmert. Micha und ich halten uns irgendwo fest, so gut es geht. Trotzdem stößt mein Ellenbogen und Bein immer wieder ruckartig gegen die Jeeptür. Das gibt blaue Flecken. Nach fünf Stunden steigen wir genauso erschöpft wie nach einer langen Tageswanderung in Besisahar (760 m) aus. Wir sind zurück im Hochsommer und nur noch eine elfstündige „Deluxe“-Busfahrt von Kathmandu entfernt. Dort warten schon ein privates Badezimmer, ein leckeres Restaurant und ein weiches Bett auf uns.

Unsere Manaslu-Umrundung in Zahlen

Höhenprofil Manaslu-Trek

  • Anreise von Kathmandu bis Arughat (608 m): 7,5 Stunden nepalesische Busfahrt
  • Arughat (1) bis Pokhori (Bhims Heimatdorf, ca. 1.500 m): 7,25 Stunden
  • Pokhori (2) über Armala und Dorba bis Lapubesi (884 m) : 9,25 Stunden
  • Lapubesi (3) bis Khorlabesi (970 m): 5 Stunden
  • Khorlabesi (4) bis Jagat (1.340 m): 7,25 Stunden
  • Jagat (5) bis Pewa (1.800 m): 7,5 Stunden
  • Pewa (6) bis Namrung (2.630 m): 9 Stunden – mit Pausentag in Namrung
  • Namrung (7) bis Lho (3.180 m): 4 Stunden
  • Lho (8) bis Samagaun (3.520 m): 3,5 Stunden – mit extra Tag in Samagaun für Tagestripp zum Pungen Gompa (4.120 m): 5,5 Stunden
  • Samagaun (9) bis Samdo (3.875 m): 4,25 Stunden – mit Pausentag in Samdo
  • Samdo (10) bis Dharamsala (4.460 m): 3 Stunden
  • Dharamsala (11) über Larke Pass (5.106 m) bis Bhimthang (3.590 m): 8,75 Stunden
  • Bhimthang (12) bis Surki/Kharche (2.700 m): 4 Stunden
  • Surki/Kharche (13) bis Dharapani (1.963 m): 4 Stunden
  • Dharapani (14) bis Besisahar (760 m): 5 Stunden Rüttelfahrt im Jeep
  • Besisahar (15) bis Kathmandu (1.355 m): 9,5 Stunden im nepalesischen „Deluxe“-Bus
Unsere Zeitangaben beruhen auf einem eher gemächlichen Tempo mit Pausen zum Luftholen, Abschwitzen, Trinken, Mittagessen, Staunen und Fotografieren. Alle Genehmigungen (Permits) und unseren Begleiter Bhim haben wir über Madan Neupane (Touch The Himalaya Treks and Expedition) in Kathmandu (Thamel) arrangiert – können wir zu 100% weiterempfehlen! Bei der Auswahl und Vorbereitung hat uns die gemeinnützige Info-Website zu diesem Trek sehr geholfen.

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Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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Nepal: In Motorradstiefeln um den Manaslu (1/2) /nepal-manaslu-trekking-teil1/ /nepal-manaslu-trekking-teil1/#comments Fri, 05 May 2017 11:33:24 +0000 /?page_id=12990 MANASLU von Osten

Blick auf den Himalaja-Bergriesen MANASLU von Osten, Nepal 2017 © emmenreiter.de

Aufwachen in Kathmandu

31. März 2017. „Guten Morgen Kathmandu!“ Wir sind gestern erst spät abends hier angekommen und hatten uns schon auf diesen Moment gefreut: Die erwachende Stadt breitet sich vor unserem kleinen Balkon im Avalon Guesthouse aus. Das Meer aus schmalen und vorwiegend maroden Häusern reicht bis an die Berge. Ein schlanker Hund liegt unten an der Kette und winselt herzzerreißend. Lichtblick ist der saftiggrüne Gemüsegarten – in Nachbarschaft zu unserem kleinen Hotel. Wir sind jetzt schon zum dritten Mal in Nepal und immer wieder erschüttert und gleichzeitig fasziniert von dieser unverwechselbaren, fremden Welt.
Kambodscha rückt genauso schnell in den Hintergrund wie uns das Flugzeug an den Himalaja gebracht hat. Es war öde, in der Troposphäre zu reisen. Flughäfen sehen doch alle gleich aus. Aber nun sind wir im Land der Gipfel und Götter, die Temperaturen sind sehr angenehm und wir können unser nächstes Abenteuer anpacken.
Das wahre Nepal erreicht man nur zu Fuß. Und wir haben uns diesmal vorgenommen, den Manaslu zu umrunden – mit 8.163 Metern der achthöchste Berg der Erde. Diese Route ist noch nicht so populär und kommerzialisiert wie die quasi nebenan verlaufende Annapurna-Runde. Erst seit ein paar Jahren braucht man dafür keine Zeltausrüstung mehr. Man startet im suptropischen Tiefland und läuft über eine alte Handelsroute in zwei bis drei Wochen gegen den Uhrzeigersinn um den Bergriesen herum. Die ersten Tage geht es durch eine gewaltige Schlucht am Budi Gandaki Fluss entlang nach und nach bergauf. Gegen Ende der Wanderung muss der eingeschneite Larke-Pass überwunden werden. Wie hoch der Pass ist, scheint keiner genau zu wissen. Die Angaben liegen irgendwo zwischen 5.100 und 5.200 Metern. Noch nie sind wir so lange und so hoch gewandert.
Am dritten Tag in Kathmandu sitzen wir im winzigen, fensterlosen Büro von Madan inmitten des Touristenviertels Thamel. Wir treffen Madan zum allerersten mal. Er hat eine unglaublich freundliche Ausstrahlung und empfängt uns wie einen Freund. Wir hatten ihn im Vorfeld übers Internet damit beauftragt, alle Genehmigungen zu besorgen, die wir für die Manaslu-Wanderung vorweisen müssen. Außerdem hat er den gesetzlich vorgeschriebenen Bergführer für uns engagiert. „Lasst uns zusammen Tschai trinken!“ lädt er uns herzlich ein. Bis die heißen Tassen auf seinem Schreibtisch stehen, erzählen wir ihm vorfreudig, dass wir unsere Rucksäcke, die wir in Thamel ausgeliehen haben, bereits gepackt haben. Ob wir auch „crampons“ dabei hätten, will Madan wissen. Er meint leichte Steigeisen. „Äh… nein.“ So eine spezielle Ausrüstung kam uns nicht in den Sinn. „Aber wir haben gestern unsere Motorradstiefel beim Schuhputzer aufpimpen lassen.“, sage ich. „Um diese Zeit wird es auch ohne Steigeisen gehen.“, schiebt Madan schnell hinterher. Falls nicht, wisse unser Bergführer an Ort und Stelle ganz sicher eine Lösung. „Wie ist denn derzeit das Wetter am Manaslu?“ frage ich etwas verunsichert. Bisher sei es ungewöhnlich schlecht gewesen. „Die meisten Leute mussten umkehren.“, erzählt Madan. Erst vor ein paar Tagen seien die ersten Wanderer über den Pass gekommen. „Macht Euch keine Sorgen. Ihr werdet Glück mit dem Wetter haben!“ verabschiedet uns Madan, als die Teetassen leergetrunken sind. Und aus seinem Munde glauben wir es sogar.
Morgen früh um 7:15 Uhr wird uns also Bergführer Bhim am Hotel abholen. Bhim Gurung – in Nepal trägt man seine Volksgruppe als Nachnamen. Wir hatten ihn schon kurz bei Madan im Büro getroffen. Er ist 27 Jahre alt, stammt aus einem Bergdorf am Anfang der Manaslu-Runde und wird uns die nächsten 19 Tage als zertifizierter Trekkingguide begleiten. Außerdem wird er einen Großteil meines Gepäcks tragen, etwa zehn Kilogramm. Mein Tagesrucksack wiegt dann nur etwa fünf, sechs Kilo – je nachdem, wie viel Wasser gerade in unseren Trinkflaschen ist. Micha trägt einen Rucksack, der etwa doppelt so schwer ist wie meiner.

Pokhori: Bhim nimmt uns mit in sein Heimatdorf

3. April 2017. Heute soll es losgehen. Beim Aufwachen grummelt es verdächtig in meinem Bauch. „Das kann nicht wahr sein!“ fluche ich. Vor uns liegen acht Stunden Busfahrt und ich renne dank Durchfall gleich mehrmals zum Klo. Die nächste Toilette, die ich heute morgen aufsuchen muss, ist der öffentliche Notdurft-Verschlag am Busbahnhof – eine dunkle, stinkende Hütte in einer modrigen Ecke hinter den parkenden Bussen. Dieses Örtchen hat sogar meinen Darm davon abgehalten, sich nochmals zu melden.
Unser Langstreckenbus ist außen der Länge nach mit einem großen Flugzeug bemalt. Das verspricht eine rasante Fahrt. Aufkleber an der Heckscheibe versprechen außerdem Komfortsitze, ABS, Wifi und LED-TV. Nichts davon ist wahr. Wir steigen ein und lassen uns in die ausgesessenen Sitze plumpsen – gar nicht mal so unbequem. Die Fensterscheibe lässt sich aufschieben, falls einem schlecht wird. Am Stadtrand von Kathmandu, an dem wir über eine Stunde später angekommen sind, ist unser Bus vollgepackt mit Menschen und Gepäck. Micha und ich bleiben die einzigen Touristen.
Je näher wir unserem Ziel entgegenfahren, desto kurviger und spannender wird die Route und immer mehr Plastiktütchen für Kotze werden verteilt. Die fliegen während der Fahrt, sobald sie voll sind, im hohen Bogen durch die offene Bustür nach draußen. Zum Glück haben Micha und ich eine Reisetablette geschluckt, die außerdem schön schläfrig macht. Am späten Nachmittag hält der Bus endlich in Arughat an. Unsere Körper sind schlaff, wir stolpern aus dem Bus und wanken Bhim hinterher zur ersten Unterkunft.
Am nächsten Morgen um 7:45 Uhr sind wir Drei ausgeruht und startklar für die Manaslu-Umrundung. Der kleine Ort Arughat liegt niedriger als Kathmandua, auf etwa 550 Metern, und das Wetter ist hier hochsommerlich warm. Wir tragen leichte T-Shirts und haben die Hosenbeine unserer Wanderhosen am Kniereißverschluss abgetrennt. Nach einer halben Stunde auf ebener Strecke biegen wir im nächsten Ort Arket nach oben auf die Berge westlich des Budhi Gandaki Flusses ab. Hier liegt der Gorkha-Distrikt, von dem sich auch der Name der berühmten Gurkha-Soldaten ableitet.
Bhim zeigt auf ein entferntes Dorf in der Höhe: „Das ist Pokhori. Und dort ist mein Haus!“ Das sieht nicht unbedingt weit aus. Von jetzt an geht es allerdings stundenlang etwa 900 Höhenmeter bergauf – über Steintreppen und schmale Pfade. Wir kommen alle schnell ins Schwitzen. Bhim legt zum Glück immer wieder eine „Trinken-Pausi“ ein. Und ab und zu auch eine „Pippi-Pausi“. Er mag unsere Sprache und hat von anderen deutschen Wandertouristen ein paar Wörter aufgeschnappt.
Die winzigen Dörfer, die wir auf dem Weg bis zu Bhims Zuhause passieren, sind durch das landesweite Erdbeben im April 2014 komplett zusammengefallen. Provisorische Behausungen mit dünnen, blauen Wellblechplatten als Dach haben die traditionellen Stein- und Lehmhäuser ersetzt. „Diese Dörfer waren vorher sehr schön!“ sagt Bhim. Genau wie sein Dorf Pokhori – das Epizentrum des Bebens lag nur einen kurzen Spaziergang von dort entfernt.
Bhim hat seine Frau und seinen vierjährigen Sohn seit einem Monat nicht gesehen. Je näher wir seinem Dorf kommen, desto gelöster wirkt er. Als wir in Pokhori einlaufen, bringt er uns zu einer kleinen Hütte, in der Micha und ich übernachten dürfen. Dann stellt er uns einen Kanister Quellwasser vor die Tür, damit wir uns nach dem schweißtreibenden Anmarsch in Ruhe frisch machen können. Bhims junge Frau Kopila bringt kurze Zeit später einen Teller frisch gekochte Pellkartoffeln und schwarzen Tee zur Stärkung vorbei. Sie spricht ebenfalls etwas Englisch und so können wir ein paar Worte austauschen.
Als uns Bhim durch sein Dorf führt, folgt uns eine fröhlich kichernde Kinderschar. Ihre dunkelbraunen Augen funkeln vor Neugier. In ihren Badelatschen hüpfen sie wie Bergziegen über Stock und Stein.
Eine Gruppe Männer häutet und zerlegt gerade einen gewaltigen, geschlachteten Wasserbüffel auf einer Plastikplane auf dem Gras. Heute ist ein hinduistischer Festtag und das Fleisch wird unter den Dorfbewohnern aufgeteilt. Kopila hat ebenfalls etwas für das Abendessen abgeholt. Mit Reis, Linsensuppe und Büffelgulasch im Bauch legen wir uns später dankbar in unserer kleinen Lehmhütte schlafen. Nachts poltern die Ratten über das Wellblechdach. Jetzt leuchtet uns auch ein, warum Bhim auf das traditionelle Strohdach schwört.
Morgens steht Bhims kleine Nichte Alisa vor der Tür und wartet gespannt darauf, dass wir endlich aufstehen. Sein Sohn hat sich traurig in Kopilas Schoß zurückgezogen – er möchte nicht, dass Papa schon wieder geht.
Nach einem kräftigen Frühstück mit Bratkartoffeln, Omelette und Brot verabschieden wir uns von der Familie und den Kindern, zeigen uns erkenntlich und freuen uns auf einen weniger anstrengenden Wandertag als gestern. Noch merken wir keinen Muskelkater in den steifen Waden, aber ich ahne, dass der noch kommen wird.

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„Gehn` ma langsam!“

Heute geht es nach Lapubesi, das wir in vier, fünf Stunden über einen Pfad mit eher sanftem Auf und Ab erreichen – hätte nicht vor ein paar Tagen ein gewaltiger Erdrutsch den Weg blockiert. Das erfahren wir aber erst im übernächsten Dorf. Dort findet Bhim außerdem heraus, dass wir einen langen Umweg gehen müssen: Erst ganz runter zum Fluss, auf der anderen Seite wieder mehrere hundert Höhenmeter herauf, später wieder steil zum Fluss hinab und nochmal auf der anderen Seite nach oben. Meine Beine fühlen sich zwischendurch wie Gummi an. Wir sind unterwegs so durchgeschwitzt und durstig, dass wir kaum noch den Chlorgeschmack wahrnehmen, den die Wassertabletten in unseren Trinkflaschen hinterlassen.
Als wir vor der zweiten langen Hängebrücke des Budhi Gandaki Flusses stehen und hinüber auf die andere Uferseite mit den allerletzten, unerbittlich steilen Höhenmetern blicken, ist mir nicht klar, wie wir dort am Berg hinauf gelangen sollen. „Wo ist denn der Pfad nach oben?“ frage ich Bhim, noch bevor ich die Brücke betrete. Bhim weiß es auch nicht so genau und deutet mit dem Zeigefinger eine grobe Zickzacklinie an. Der Berghang ist unwegsam und viel zu steil. „Wenn das der Weg nach Lapubesi sein soll, dann kehre ich an dieser Stelle um!“ sage ich zu Micha. Bhim und er laufen los über die Brücke. Ich folge ihnen zögerlich. Auf der anderen Seite sehen wir erleichtert, dass rechter Hand ein schmaler, steiniger Pfad abzweigt. Der ist immer noch schwierig und ich keuche vor mich hin, aber wir sind alle drei froh, dass wir es fast ans Tagesziel geschafft haben.
Nach insgesamt über neun Stunden Berg-auf-Berg-ab beziehen wir eine hübsche einfache Lodge in Lapubesi (970 Meter). Kurz darauf braut sich ein erfrischend kühles Gewitter über uns zusammen. Die Anstrengung des Tages hat nicht nur unsere Körper, sondern auch unseren Geist erschöpft und grinsend wie Betrunkene genießen wir unseren wohlverdienten Feierabend.
Am nächsten Morgen ist es dann soweit: Fieser Muskelkater hat unsere Waden im Griff und nach dem Aufstehen laufe ich wie eine alte, kranke Frau zum Klohäuschen. Nach Omelette und einer Schale Haferbrei, die mir nur beim Wandern in Nepal schmeckt, fordert uns Bhim mit dem deutschen Satz „Gehn` ma langsam!“ munter zur dritten Etappe auf. Aua, die ersten Schritte schmerzen.
Und wieder ist es ein herrlich sonniger Tag. Mehrere bepackte Muli-Karawanen kommen uns auf dem schmalen Weg entgegen. Sobald man die Glöckchen des Leittieres hört, heißt es, schnell auf die Bergseite auszuweichen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Tiere jemanden versehentlich den Abhang hinunterschubsen. Etwa tausend Mulis gibt es in der Gorkha-Region, die überwiegend den Warentransport in die Dörfer übernehmen. Trotzdem begegnen wir noch so einigen Männern und auch Frauen, die riesige Lasten nach oben buckeln: zusammengerollte Wellblechplatten, türgroße Spanplatten, Bretter, Metallgefäße… nichts scheint ihnen zu sperrig zu sein.
Die Route führt heute ein Stück durch das halbtrockene Flussbett. Zweimal müssen wir durch das eiskalte Schmelzwasser des Manaslus waten. Den Füßen, die stundenlang in den Stiefeln stecken, tut es gut. Um halb zwei haben wir bereits das Tagesziel erreicht: Kholabesi. Nach dem Wäschewaschen am Fluss haben wir kaum noch Lust, uns zu bewegen.
Auf der vierten Tagesetappe nach Jagat – ein hübsches Steinhausdorf auf 1.340 Metern – quälen uns die Waden immer noch. Der frühe Morgen ist wie der Abend mittlerweile ziemlich frisch und die Fleecepullis werden aus dem Rucksack gekramt. Das Leder meiner Schuhe ist an manchen Stellen rissig und ich fette sie wenigstens mit etwas Sonnencreme ein. Geduldig laufen wir dem Manaslu entgegen – noch drei Tagesetappen, bis wir ihn das erste Mal erblicken können.
Unsere nächste Schlafstätte, Pewa (1.800 Meter), liegt mitten in einer dicht bewaldeten Schlucht. Unten rauscht der Fluss. Ein Felsbrocken stürzt vor unseren Augen vom Abhang ins Wasser und der Aufprall kommt einer kleinen Explosion gleich.
Unsere heutige Schlafkammer in der Lodge riecht wunderbar nach Holz. Die breiten Dielen knarren und von unten steigt etwas Feuerrauch durch die Ritzen zu uns hoch. Durch die Spalten der Holzbretterwände schimmert das schwächer werdende Tageslicht. Die Unterkunft ist spärlich, aber urgemütlich. Nach einer heißen Dusche aus dem Eimer über dem Hockklo serviert uns der Koch der Lodge das beste Dal Bhat, das wir je gegessen haben. Auch Bhim ist sehr glücklich darüber. Wie bei vielen seiner Landsleute landet das hiesige Nationalgericht täglich mit den Fingern der rechten Hand in seinem Mund. „Nur wenn ich Dal Bhat esse, habe ich Energie!“, schwärmt er.
11. April 2017. Bhim hat sich trotz des guten Essens leider etwas erkältet. Er lässt sich nichts anmerken und trägt den Rucksack tapfer über die Berge. „Heute haben wir noch mal einen langen Weg vor uns.“ sagt er. Kurz hinter Pewa beobachten wir eine große Gruppe Languren, die am Berghang herumklettert und sich in der wärmenden Morgensonne gegenseitig laust. Hier und dort stürzen rauschende Wasserfälle in den wilden Fluss. Obwohl wir heute neun Stunden unterwegs sind, begegnen wir nur ganz wenigen Mulis und fast gar keinen anderen Leuten. Allerdings entdecken wir zum ersten Mal ein Blauschaf, das eigentlich eine große Ziege ist. Es ist unglaublich, welche Felswände diese Himalaja-Vierbeiner ruckzuck hinaufklettern können.

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Namrung: Ein Dorf, wie aus der Zeit gefallen

Namrung (2.630 Meter) ist das erste tibetisch geprägte Dorf auf unserer Manaslu-Umrundung, dessen Dächer wir gegen halb fünf erleichtert erblicken. Mit jedem Tag gehen wir weiter zurück in die Vergangenheit. Namrung erscheint uns wie eine lebendige Kulisse aus dem Mittelalter. Die Familien leben in einfachen Felssteinhäusern in einem großen Raum zusammen. Das Herzstück ist die Feuerstelle. Unten im Haus befindet sich der Stall fürs Vieh. Wasser gibt es nur außerhalb. So leben die Menschen hier schon seit Ewigkeiten.
Wir legen einen wohlverdienten Pausentag ein und spazieren am nächsten Tag durch Namrung. An der buddhistischen Gebetsmauer hält ein älteres Ehepaar gerade eine kleine Zeremonie ab. Dabei verbrennen sie Wacholderzweige. Der dichte Rauch soll böse Geister beschwichtigen. Wir begegnen einem Großvater im traditionellen Wintermantel. Er deutet uns an, ihm zu folgen. Neugierig laufen wir hinterher. Er öffnet ein Holztor. Dahinter liegt der alte Gompa des Dorfes – ein kleiner, tibetischer Tempel. Immer noch wortlos kramt der Alte einen großen Schlüssel hervor, öffnet damit die bunt verzierte Tür des Gompas und bittet uns hinein. Ein großer Sonnenstrahl fällt durch ein eingestaubtes Fenster in den dunklen Raum. Die Staubkörner tanzen in seinem Licht. Es riecht nach einer Mischung aus Räucherstäbchen und antikem Kleiderschrank. Der geschmückte Buddha-Altar, die Holzbänke der Mönche, die länglichen Gebetsbücher in den Regalen, die große Ledertrommel, die verblassten Malereien an Decke und Holzwänden – alles wirkt mystisch und hunderte Jahre alt.
Als wir unseren Spaziergang fortsetzen, laufen wir an einer Tibeterin vorbei, die vor dem Haus im Schneidersitz mit ihren kräftigen, bloßen Händen Schafwolle zu einem Faden spinnt. Wir folgen einer jungen Frau, die mit einem geflochtenen Korb auf dem Rücken zügig zwischen den steingrauen Häusern dorfabwärts läuft. In einer kleinen Wassermühle sitzt ein Mann und röstet Maiskörner über einem Feuer, bevor er sie von den drehenden Mühlsteinen zermahlen lässt.
Auf einer Ebene etwas oberhalb des Dorfes sind Familien gerade dabei, mit Hilfe ihrer starken Bergrinder die dunkelbraunen Terrassenfelder zu pflügen und neuen Mais auszusähen. Der Wind weht die ausgetrocknete Erde hinter den altertümlichen Holzflügen in die Luft. Der düngende Viehmist wird in Körben auf die Felder getragen. Die Bauern und ihre Kinder freuen sich, als wir sie auf dem Feld besuchen.
Am späten Nachmittag treffen wir Lakpa. Er hat 16 Jahre lang als erfolgreicher Geschäftsmann in Singapur gearbeitet und kehrte nach mehreren Jahrzehnten in sein Heimatdorf zurück. Er war erschrocken, wie arm die Menschen in Namrung noch immer leben. Nichts habe sich geändert, seitdem er als verarmter Junge sein Zuhause verließ. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, der Region zu helfen, stärker vom Berg- und Wandertourismus zu profitieren. Gleichzeitig möchte er den Spagat schaffen, die besondere Kultur und Identität zu bewahren. Nach dem zerstörerischen Erdbeben vor zwei Jahren fiel der historische Dorfkern von Namrung, in dem vor etwa 700 Jahren das Oberhaupt des Hochtals lebte und regierte, in sich zusammen. Lakpa hat die Geschichte des königähnlichen Herrschers rekonstruiert, viele noch erhaltene Gegenstände aus dieser Zeit in der Region zusammengetragen und den „Königspalast“ mit seinem Geld wieder mühsam aufgebaut. In einem halben Jahr wird dieser Teil des Dorfes als Museum eröffnet.
Wir stehen jetzt mit Lakpa in der damaligen Wohnstätte des Königs – ein bescheidenes Steinhaus wie alle anderen, an dem nichts prunkvolles erkennbar ist. Der flache, fensterlose Raum ist voller Schätze, die Lakpa hier noch unter einer Plane und in Holzregalen aufbewahrt. Plötzlich halte ich die Filzschuhe des damaligen Königs in meiner Hand. Dann eine verzierte Silberkanne. Eine 2000 Jahre alte Teekanne aus Stein. Jetzt bloß nichts fallen lassen! Zwischen der Sammlung liegt außerdem ein Teil der Ausrüstung von der Erstbesteigung des Manaslus vor über 60 Jahren. Das müsse erst noch alles restauriert werden, sagt Lakpa, der in seinem Projekt, von dem bald alle Bewohner profitieren sollen, unermüdlich ist. Woher haben Leute wie Lakpa diese unglaubliche Energie? Neben dem Dorfmuseum errichtet er außerdem gerade ein kleines, stilvolles Ressort. Die Bauarbeiten sind in vollem Gange. Damit möchte er Touristen, die sich für die Region interessieren und auf Komfort nicht verzichten wollen, nach Namrung locken. Wahrscheinlich hat Lakpa einen guten Weg für seine Heimat gefunden. Er liebt dieses Dorf, hat eine klare Vision und konnte auch die skeptischen Bewohner davon überzeugen.

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Welcome to Manaslu – der Berg des Geistes

Als wir uns am nächsten Morgen auf den Weg nach Lho (3.520 Meter) machen, hat Micha ein Dauergrinsen im Gesicht. Wir haben riesiges Glück mit dem Wetter und durchwandern diese fantastischen Landschaften und Bergdörfer – entlang an tibetischen Gebetsmauern und durch reich verzierte Chörten. Wir sehen den Menschen bei ihrem so anderen Alltag zu. Die raue Trockenheit und scharfe Sonne hat Spuren in ihren freundlichen, tibetischen Gesichtern hinterlassen.
Und dann taucht er vor unseren Augen auf: Der perfekt geformte „Berg des Geistes“. Der Manaslu mit seinen zwei Gipfelspitzen ist komplett verschneit und sein strahlendes Weiß zeichnet sich wie ein Scherenschnitt vom tiefblauen Himmel ab. Von unserer Lodge in Lho können wir direkt auf diesen Berg gucken – sogar vom Bett aus. Und Tibet ist von hier aus auch ganz nah, nur zwei Kilometer entfernt.
Im Zimmer nebenan haben Marc und Ursula ihre Wanderrucksäcke abgestellt. Sie sitzen jetzt mit einer Kanne Tee auf dem Holzbalkon in der warmen Nachmittagssonne und genießen diesen besonderen Ausblick. Wir kommen schnell ins Gespräch und von nun an werden wir uns bis zum Ende dieser spannenden Wanderung immer wieder begegnen.

Der Morgen ist kalt in Lho. Ich krabbel nur sehr ungern aus meinem warmen Schlafsack. In der langen Merinounterwäsche haben sich ein paar kleine Daunen verfangen. Ich ziehe mich schnell an und schnappe mir meine kalten, steifen Stiefel. Es ist, als würde man in Skischuhe steigen. Meine Augen tränen von der kalten Luft. Meine ausgetrocknete Haut ist faltig, rau und schuppig. Zum Frühstück bestelle ich mal wieder Bratkartoffeln – die Kartoffeln stammen von den Feldern ringsum. Sie schmecken köstlich und geben mir Energie. Micha genießt wieder einen Haferbrei und Bhim wartet bereits auf unseren Startschuss: Gehn` ma langsam!

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Fotostrecke: Nepal – Neujahr im Himalaja /nepal-2014-fotos/ Fri, 02 May 2014 17:42:49 +0000 /?page_id=2178 See image gallery at www.emmenreiter.de]

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Nepal: Steine auf der Straße im westlichen Terai /nepal-westliches-terai-2009/ /nepal-westliches-terai-2009/#respond Sun, 19 Apr 2009 17:29:56 +0000 /?page_id=2663 Nepal_Blockade

Von Kathmandu nach Pokhara: Die Emme zickt rum

9. April 2009 in Kathmandu. Um 11 Uhr müssen wir in der Pakistanischen Botschaft im Norden der Hauptstadt die Pässe mit den Visa entgegen nehmen. Bevor wir losknattern, laden wir alle Sachen auf die Mopeds, denn von der Botschaft aus soll es gleich weiter nach Pokhara gehen. Namasté, Kathmandu!
Mit den Pakistanvisa im Tankrucksack und zweimal 36 US Dollar leichter tanken wir noch die Emmen randvoll und reihen uns in den Verkehr auf die Ring-Road ein. Die Straße umkreist ganz Kathmandu in einem großen Bogen und im Südwesten angekommen, biegen wir auf die Landstraße nach Pokhara ab. Das Stück auf dem Ring kostet bereits anderthalb Stunden. Schuld sind volle Kreuzungen, chaotische Bushalteplätze auf der Straße und lahmarschige Lastwagenschlangen, die sich nicht so einfach überholen lassen. Endlich ein paar Kilometer aus der vollen Hauptstadt raus, wird der Verkehr langsam entspannter. Ich allerdings werde unruhiger und gucke skeptisch auf die Armatur. Auf meinem Drehzahlmesser strahlt seit ein paar Minuten das rote Licht der Batterieladekontrollleuchte. Wir halten an, Micha kontrolliert den Spannungsregler unter der Sitzbank und säubert die ölverschmierten Kontakte an der Zündung. Das Problem scheint behoben. Vier, fünf Kilometer weiter flackert das verdammte Lämpchen schon wieder auf. Noch mal Stopp in der Hitze am Straßenrand, Werkzeug auspacken und gucken. Wie immer hocken sich gleich wieder ein paar neugierige Nepalesen hinter Micha und beobachten jeden Handgriff. Diesmal tauscht Micha einfach den Spannungsregler aus, den wir zum Glück als Ersatzteil ganz unten im Alukoffer haben.
Weiter geht’s. Es ist schon zwei Uhr nachmittags. Hoffentlich kommen wir noch vor dem Dunkelwerden in Pokhara an. Wir drehen am Gasgriff, fliegen an den Bussen auf der Straße vorbei und wollen mindestens sechzig km/h Durchschnittsgeschwindigkeit halten. Dann schaffen wir die Strecke. Kurz nach dem Überholmanöver geht meine Emme einfach aus. Heute wohl ein Zickentag! Na gut, sie ist ansonsten ja ein braves Mädchen und aller guten Dinge sind eben drei. Micha hat schon vor dem Auspacken des Werkzeugs Schweißperlen auf der Stirn. Bitte lass es nichts Ernstes sein.
Der Fehler-Teufel steckt mal wieder im Detail. Es ist nur ein abgebrochener Kabelschuh an der Zündanlage und der ist in einer Viertelstunde repariert. Halb drei – ab jetzt wird nicht mehr angehalten. Und tatsächlich, wir kommen ohne Murren zum Sonnenuntergang in Pokhara an. Die Strecke wurde immer besser, insbesondere nach Mugling: saftgrüne, aufblühende Nepalidörfer und kaum Verkehr auf der asphaltierten Kurvenstraße. Wie man uns in Kathmandu vorgewarnt hatte, fuhren wir an ein paar Unfällen auf dem Weg vorbei. Busse, die in den Regenwassergraben gerutscht oder Jeeps, die in der Kurve gegen Laster geknallt sind.
In Pokhara steigen wir geschafft und glücklich am etwas abgelegenen View Point Gasthaus mit bestem Ausblick auf den Lewa Tal See ab. Die Besitzer sind sehr aufmerksam und hilfsbereit. Sie geben den Emmen sogar einen Garagenplatz und wir ziehen in ein kleineres Zimmerchen mit Blick auf den tollen Bergsee ein. Ein wirklich schönes Plätzchen am Rande der zweitgrößten Stadt Nepals. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Karfreitag in Pokhara

Der frühe Morgen gehört uns. Nach einem guten Frühstück auf der Dachterrasse gehen wir die Treppe runter zum Seeufer, wo wir in ein einfaches, kleines Holzboot steigen und auf den Lewa Tal See hinaus paddeln. Der blaue Himmel spiegelt sich im klaren Wasser, ein leichter Wind treibt das Boot. Im Hintergrund luken die Schneegipfel des Annapurna Massivs über die nahen Berge. Zwei Stunden vertreiben wir so am Vormittag. Ab und zu ein paar sportliche Paddeleinlagen im Duo, dann wieder treiben lassen. Dieser Tag hat so entspannt begonnen, ein besonders herrlicher Tag. Und erfasst von der Magie dieses Tages stellen wir uns auf einmal die Frage: Ist jetzt nicht irgendwann auch Ostern in Deutschland? Ist heute vielleicht sogar Freitag? Karfreitag? Nach dem Bootsausflug gehen wir gleich in ein Internetcafè und googeln nach Karfreitag. Heute ist Karfreitag! Und Deutschland hat wie wir bestes Wetter. Über unsere Webseite verschicken wir eine blitzschnelle Ostergrußkarte nachhause. Wir genießen das Gefühl, dass unsere Lieben daheim und wir hier – zwar tausende Kilometer entfernt, aber im selben Moment – echte Frühlingsstimmung und eine tolle Zeit haben.
Am Ostersonntag feiert Pokhara mit einem Rummelplatz das Neujahr 2066, wie der Gastwirt uns erzählt. Das erklärt auch die extrem lange Haltbarkeit der Kekse, die wir letztens gekauft haben. Hier in Pokhara am idyllischen See ist es wirklich auszuhalten. Wir wollen gar nicht weg und bereuen die Hetze. Aber leider laufen unsere Nepalvisa in drei Tagen aus. Wir wissen noch nicht mal, ob wir es bis dahin tatsächlich zur Grenze schaffen. Falls nicht, lassen wir die Immigrationsbaracke, wo die Visa mit einem Ausreisedatum versehen werden, einfach aus und lassen im Zollschuppen nur unsere Carnets abstempeln. An den nepalesischen Grenzen im Osten und Westen ist so was unbemerkt möglich – es sind die unscheinbarsten Grenzposten der ganzen Reise.

Warten auf Regen

Am nächsten Morgen heißt es Abfahrt nach Bhutwal – ein paar Stunden Fahrt durch die Berglandschaft nach Süden ins Flachland. Zurück im Terai strahlt die Sonne eine ermüdende Hitze ab. An der breiten, belebten Straße in der Kleinstadt am Mahendra-Highway finden wir zum Glück schnell ein Hotel, in dem wir beide sofort unter den Deckenventilator aufs Bett fallen. Scheiß Stromausfall! Wir liegen leblos da bis uns irgendwann der Luftzug des Ventilators endlich aus dem Delirium holt. Eine gute Vorbereitung auf die nächsten zwei Monate, in denen wir die Frühsommerhitze Indiens, Pakistans und Irans aushalten müssen.
Von Bhutwal geht es am nächsten Tag immer auf gut asphaltierter und fast leerer Landstraße geradewegs zur Westgrenze. Die Gegend wirkt oft sehr ausgedörrt. Alles durstet nach Regen. Wir müssen uns zu dieser Zeit nicht ärgern, wenn wir den Bardin Nationalpark nicht besuchen können. Kaum vorstellbar, dass sich die breiten, ausgetrockneten Flussläufe, die wir auf neu gebauten Brücken überqueren, bald mit Mengen an Monsunwasser füllen, ganze Landesteile überschwemmen und die Straße unpassierbar machen.

Steine im Weg

Nach einer letzten Zwischenübernachtung nahe Chisapani, etwa vier Stunden vor der Grenze, kommen wir morgens um Sieben an einer Straßenblockade zum Stehen. Die Menschen haben Steine quer über den Mahendra-Highway gelegt, um auf frühere Gewalttaten der Maoisten aufmerksam zu machen. Sie demonstrieren mit Transparenten. Reisebusse und Laster werden nicht durchgelassen. Die Stimmung ist allerdings entspannt. Keiner regt sich auf. Die Menschen hier sind solche Streikblockaden schon aus der Zeit der Maoistischen Rebellion gewohnt. Mopedfahrer und Touristen auf MZ dürfen sich an den Steinhaufen vorbeidrängeln. Stundenlanges Warten bleibt uns erspart.
Bei der Fahrt durchs westliche Tiefland Nepals erkennen wir, dass sich das Leben der Menschen hier seit Ewigkeiten nicht verändert hat. An der Straße reihen sich kleine Dörfer aus einfachen Lehmhütten mit Strohdächern. Die Behausungen erinnern an die von Urvölkern aus Südamerika oder Afrika. Mittags und pünktlich am letzten Aufenthaltstag laut Visum erreichen wir nahe Mahendranagar die Grenze. Wie auch schon im Osten Nepals ist die Grenzschranke kaum erkennbar. Im Hin und Her von Fahrradfahrern, Fußgängern und kleinen Bussen merken die Beamten im Immigrationsstübchen noch nicht einmal, ob wir gerade aus Nepal gekommen sind oder ins Land einreisen wollen. In einer Viertelstunde sind Pässe und Carnets abgestempelt und es geht auf einer groben, staubigen Schotterstraße rüber zum indischen Teil. Hier sieht es nicht anders aus. Der Immigrationsbeamte langweilt sich zu Tode und ist dankbar über jeden sofort erkennbaren Touristen, den er von seinem Freiluftbüro aus zur Passkontrolle heranwinken kann. Inder und Nepalesen dürfen die Grenze ohne Visum passieren. Darum hält er nur nach Leuten wie uns Ausschau.
Wie immer sind alle sehr höflich. Die Herren vom Zoll lassen uns sogar von den indischen Süßwaren probieren, die zur Abwechslung von einem Springer ins Zollbüro beordert wurden. Für die Zollkontrolle sind vier Männer angestellt. Und typisch für eine indische Beamtenstube reicht die Arbeit eigentlich für Einen. Darum bleibt Zeit für süßes Gebäck, Tee und einen Plausch mit den Motorradabenteurern, während man unsere Carnets ausfüllt. Spätestens am 8. Mai müssen wir Indien den Rücken kehren. Dann sind sechs Monate vergangen und länger dürfen die Motorräder nicht im Land bleiben. Diese Information des netten Beamten war uns neu. Wir steigen zurück auf die extrem aufgeheizten Emmen, die draußen in der prallen Mittagssonne solange gewartet haben, und knattern auf vollen Straßen nach Kashipur…

Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Kathmandu: Buddha, Shiva und ein Rabbi /kathmandu-buddha-shiva-und-ein-rabbi/ /kathmandu-buddha-shiva-und-ein-rabbi/#comments Thu, 16 Apr 2009 17:09:31 +0000 /?page_id=2655 Pashupatinath

Back to Kathmandu

Die Tiefenmuskulatur hat sich – zurück in Kathmandu – von den neun Tagen Bergwanderung wieder ganz gut erholt. Wir haben scheinbar viel Energie verbraucht, denn das Bedürfnis nach Nahrung ist eindeutig gewachsen. Jeden Morgen und Abend freuen wir uns auf den Besuch ins drei Minuten entfernte und lieb gewonnene Yak Restaurant, in dem wir schon vor der Helambu-Auszeit Stammgast waren. Es gehört einer tibetischen Familie, darum ist es auch so ungewöhnlich sauber. Milch, Butter, Joghurt und Lassi schmecken zwar immer eine Spur nach Yakfell, aber der Darm verträgt`s. Der älteste Kellner in der Runde ist leider nicht fähig, nur das geringste Lächeln auszudrücken. Erst nach dem zehnten Besuch taut er auf und weiß genau, was wir wollen: Nämlich immer einen Reispudding zum Schluss. Solche kleinen Wiederkehrungen und temporären Rituale sind unterwegs schon lange automatisch wichtig geworden. An jedem neuen Ort sind wir froh über Dinge, die wir wenigstens für ein Weilchen für uns entdecken und die Ruhe geben vor dem stets neu Anpassen und Orientieren.
Wenn wir nicht Essen, zurren wir die letzten Fäden unseres Rückreiseplans zusammen. Vier Monate sind dafür noch übrig. Der Entschluss steht fest, mit den Emmen über Indien, Pakistan und Iran zurück nach Europa zu fahren. Probleme an den Grenzen zu Pakistan und Iran sollte es nicht geben.
Wir beschaffen für zwanzig Euro in der Deutschen Botschaft in Kathmandu das benötigte Empfehlungsschreiben für unsere Pakistanvisa und düsen durch die ganze Stadt zur pakistanischen Botschaft. Wir füllen die Anträge aus, in denen wir auch Auskünfte über Eltern und Geschwister sowie eventuelle Beziehungen zu einflussreichen Leuten in Pakistan geben. Danach müssen wir noch auf ein Interview mit dem Botschafter warten. Der lässt sich Zeit. Irgendwann bittet uns die Assistentin in sein Büro, wo wir auf einen gut aussehenden, netten Pakistaner im modischen Anzug treffen. Weil es unser zweiter Besuch in seinem Land ist, geht alles schnell von statten. Wie bei allen Pakistanern glänzt der Stolz in seinen Augen, als wir erzählen, wie gut uns Pakistan gefällt. In drei Tagen sind die Visa abholbereit. Und solange können wir uns noch im religiösen Kathmandu herumtreiben. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Dubar Platz: Tempeldächer und religiöse Schätze

Schon vor dem Trekking haben wir angefangen, den Dubar Platz in der Nähe unseres Viertels zu durchstreifen. Hier kann man Tage verbringen und hat immer noch nicht alle Schätze entdeckt. Buddhismus und Hinduismus haben in dieser alten Stadt überall ihre Spuren hinterlassen. Kathmandu ist darum eine Pilgerhochburg für beide Religionen. Wie seit Ewigkeiten wird hier Religion auch heute zwanglos und jeden Tag gelebt. Die Menschen gehen auf dem Weg zur Arbeit, zum Basar oder nach Hause in einen oder mehrere der vielen Tempel, umrunden die Stupa im Lauf der Sonne, legen frische Blüten an einer alten Gottesstatue in der Gassenhauswand nieder, verbeugen sich vor Shiva, opfern Reis und zünden Butterlampen an. Sogar für Zahnprobleme gibt es in einer der vielen kleinen Gassen um den Dubar Platz eine unkenntliche Gottesstatue aus verschlungenem Holz, der schmerzgeplagte Menschen Geldmünzen aufnageln. Nebenan reihen sich ein paar Zahnkliniken oder besser Zahnläden, in deren Schaufenster Gebisse ausgestellt sind.
Im Kumari Ghar – ein dreistöckiges, quadratisches und mit alten Holzschnitzereien verziertes Gebäude am Dubar Platz – residiert die lebende Göttin Kumari. Das junge Mädchen gilt als Reinkarnation der Göttin Taleju und lebt dort abgeschieden von der Außenwelt bis zu ihrer Pubertät. Letztes Jahr hat Nepal die dreijährige Matina Shakya in einem alten Ritual nach zweiunddreißig Kriterien zur neuen Kumari auserwählt. Hinduistische und buddhistische Priester begleiten die neue Kindgöttin bei ihrer Aufgabe.

Die Ganesha-Geschichte

Ganesha

 

Warum hat der wohl beliebteste Hindu-Gott Ganesha eigentlich einen Elefantenkopf? Als sein Vater Shiva von einer langen Reise zurück zu seiner Frau Parvati nachhause kam, die vor Männern geschützt in einer Höhle auf ihn wartete, stieß er auf einen jungen Mann, der ihm den Einlass verwehrte. Wütend schlug er ihm den Kopf ab, unwissend dass es sein Sohn war, der seine Mutter beschützte. Um dieses traurige Missgeschick wieder gut zu machen, widmete Shiva seinem Sohn den Kopf des ersten Lebewesens, dem er begegnete: ein Elefant. Wieder am Leben, aber unzufrieden mit dem Elefantenkopf auf seinem göttlichen Körper versprach Shiva seinem Sohn Ganesha, dass er in jedem Hindutempel stets der erste Gott sei, vor dem sich die Menschen verbeugen würden. Jeder Hindu wendet sich daher im Tempel mit seiner Verehrung immer als erstes Ganesha zu.

Pashupatinath: Zum Sterben an den heiligen Bagmati-Fluss

Nawin Hareshwar, ein alter Mann, den wir am Pashupatinath Tempel treffen, stellt sich einen ganzen Vormittag lang unseren neugierigen Fragen. Nicht-Hindus dürfen den berühmten Pashupatinath Tempel am heiligen Bagmati Fluss nicht betreten, aber uns ist erlaubt, vom anderen Flussufer aus eine interessante Beobachtung zu machen: An dem Platz, wo einst Angehörige der Königsfamilie und wichtige Personen kremiert wurden, findet an diesem Vormittag eine der traditionellen Feuerbestattungen statt. Viele Hindus möchten an diesem heiligen Ort verbrannt werden. Manche kommen sogar bereits zum Sterben hierher.
Der Bagmati in Kathmandu ist ein Ort für die traditionellen Verbrennungszeremonien Verstorbener. Beobachten (und sogar Fotografieren) sind erlaubt, solange die Bestattung nicht gestört wird. Der hergerichtete Verstorbene wird zunächst am heiligen Ufer gereinigt, danach auf eine Bambus-Barre gelegt und mit orangenen Seidentüchern bedeckt. Ringsum reihen sich die Angehörigen auf – Männer und Frauen getrennt. Wir sehen die Männer in hellen Tüchern verhüllt – eine alte Tradition bei den Newaris, den Urbewohnern des Kathmandu-Tals.
Nach einiger Zeit des Wartens tragen Männer den Leichnam auf der Barre je nach Wichtigkeit des Toten drei bis sieben Runden lang um den vorbereiteten Holzstapel. Die engsten Angehörigen folgen und streuen Essen als Wegzehrung für die bevorstehenden 199 Tage Seelenwanderung über die Leiche. Der wichtigste Angehörige steckt Kerzenwachs und eine Bronzemünze in den freigelegten Mund des Toten, um die Seelenwanderung einzuleiten. Dann zündet er das Stroh um den Holzstapel an. Das jämmerliche Weinen der Frauen schallt derweil zu uns herüber. Sie ziehen sich noch vor den Männern vom Ghat zurück, sobald die Leiche Feuer gefangen hat und langsam verbrennt. Die Leichentücher und Aschereste wirft man zu anderen Resten in den heiligen Fluss. Eine Hand voll Asche nimmt die Familie später mit nachhause.

Sadhus: Falsch oder echt?

Pashupatinath ist außerdem Aufenthaltsort vieler Sadhus, also heiliger Männer, die allem Materiellen entsagen und sich auf eine religiöse Wanderung begeben. Sie haben bei den Hindus einen hohen Stellenwert und gelten als Menschen, die den Göttern sehr nahe sind. Wir fragen unseren Begleiter Narwin, ob er uns zum bekannten Milch Baba bringen kann – ein alter Sadhu, der sich nur von Milch ernährt. Leider ist sein Platz leer. Er lebt jetzt in den USA. So wie alle berühmt gewordenen Sadhus, wie Narwin spöttisch bemerkt. Plötzlich hören wir, wie sich ein paar vermeintliche Sadhus über Geld lautstark in die langen, verfilzten Haare kriegen. „Unechte Sadhus – Bettler, Haschischsüchtige und Säufer,“ sagt Narwin, die hier mit bemalten Gesichtern rumlungern und auf das Geld von Touristen für Fotos abzielen. Narwin führt Micha noch in den Fruchtbarkeitstempel und zeigt ihm die erotischen Holzschnitzereien. Frauen kommen hierher, um für eine Schwangerschaft zu beten. Auf dem Weg zurück zu unserem Motorrad weist uns Narwin noch auf eingeritzte Zeichen in Marmorplatten, auf Steintreppen und an Wänden hin: „Suche!” stehe da – nach Gott, nach Erleuchtung. So erklärt er uns die Bedeutung der Schriftzeichen, die überall in Kathmandu zu finden seien.

Juden in Kathmandu: Angeblich der größte Pesach außerhalb Israels

8. April 2009. Heute feiern die Juden ihre Befreiung aus Ägypten. Und ausgerechnet in Kathmandu findet der größte Pesach außerhalb Israels statt. Über tausend junge Israelis kommen dafür nach Nepal und gehen anschließend zum Trekking in den Himalaja. Amit, den wir im Helambu kennengelernt haben, nimmt uns mit aufs Fest, das vor allem in Verbindung mit Essen steht. Neugierig (und hungrig) wie wir sind, gehen wir um fünf Uhr abends mit ins gut bewachte Radisson Hotel. Wir setzen uns in den Bereich für Englischsprachige und gehen mindestens zwei Stunden lang Passagen zur Pesach-Geschichte durch. Mit jeder neuen Seite bekommen wir etwas mehr von dem traditionellen Essen gereicht, das in enger Verbindung zum damaligen Geschehen steht. Erst ist es ein Stückchen Kartoffel, dann trockenes Brot und zum Schluss eine Art Drei-Gänge-Menü. Als der jüdische Vorsprecher auf der Bühne nach der Eröffnungsrede mit scharfem „ch“ mehrmals „Michael“ durch den Saal ruft, befürchtet Micha sofort, er müsse jetzt als Ehrengast aus Deutschland ein paar Worte an die Gemeinde richten. Amit geht nach vorn und kommt mit einem Brief an unseren Platz zurück. Micha hat in der Tombola gewonnen: einen Sherpa als Porter für sieben Tage Trekking. Micha fällt ein Stein vom Herzen und er verschenkt den Gewinn an Amit weiter, da wir morgen Kathmandu verlassen und weiter westwärts durchs Terai davon düsen werden.

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Helambu: 9 Tage zu Fuß über Berge /helambu-trekking-2009/ /helambu-trekking-2009/#respond Tue, 07 Apr 2009 15:48:00 +0000 /?page_id=2638 Familie im Helambu, Nepal 2009 (c) emmenreiter.de

Himalaja, wir kommen – und zwar zu Fuß

Immer nur auf den Emmen reiten? Nö! In den Bergen Nepals haben wir auch gar keine andere Wahl. Es sei denn, wir steigen auf Yak oder Esel um. Obwohl wir keine Trekkingprofis sind, wollen wir unbedingt ein paar Tage die Umgebung und das Leben des Sherpavolks im nepalesischen Himalaja aus eigener Kraft entdecken. Die Helambu-Region ist dafür perfekt: Der Ausgangspunkt des Treks ist von Kathmandu aus mit dem Bus in nur einer Stunde erreichbar. Bei gutem Wetter hat man tolle Aussichten auf die hohen Schneegipfel der Langtang-Bergkette und kommt auf dem Weg durch die typischen, tibetisch geprägten Dörfer. Im Helambu sind außerdem nur wenige Touristen unterwegs, was die Bergreise mit dem Rucksack halbwegs authentisch macht. Auf einen Bergführer oder Träger sind wir in dieser Gegend glücklicherweise auch nicht angewiesen.
Insgesamt 42 Stunden und 15 Minuten Fußmarsch, geschätzte 100 Kilometer Wegstrecke, 3.100 Höhenmeter bergauf und 4.700 Höhenmeter bergab liegen vor uns. Wir werden beide zusammen 45 Liter Bergwasser unsere Kehle runterspülen und wieder ausschwitzen, ein paar Gramm Fett verlieren und die Tiefenmuskulatur aus dem Dornröschenschlaf holen. Unser Himalaja-Abenteuer beginnt…

Helambu-Trek

Tag 1: Aller Anfang ist schwer

Strecke: von Sundarijal (1460m) nach Chisopani (2215m)
Anstieg: 960 Höhenmeter, Abstieg: 205 Höhenmeter
Marschdauer: 5 Stunden, 30 Minuten
Gefühlslage: gespannt, optimistisch – später kurzatmig, überhitzt und gut durchblutet

25. März, 6 Uhr. Der Wecker klingelt. Unsere gepackten Rucksäcke warten schon die ganze Nacht am Bett. Noch ein letztes großes Frühstück im Yak Restaurant und um halb Neun sitzen wir im Bus nach Sundarijal. Eine Stunde später sind wir an der Endstation – unser Ausgangspunkt für die Trekkingtour. Von nun an geht es nur noch zu Fuß weiter. Neun Tage lang. Die Rucksäcke sitzen perfekt und sofort beginnt eine Felstreppe – natürlich schön steil aufwärts. Heute müssen wir fast einen Kilometer Lufthöhe erklettern. Wir hoffen, dass die Puste reicht, um unser erstes Etappenziel vorm Dunkelwerden zu erreichen. Micha sucht im Unterholz nach zwei guten Wanderstöcken, an denen wir uns seelisch und körperlich festhalten können. Nach einer Stunde Treppe-Non-Stop stehen wir mit roten Gesichtern am Eingang des Shivapuri Nationalparks und dürfen ein bisschen verschnaufen, solange wir die zweimal 250 Rupien Eintrittsgeld bezahlen. „Wenn das weiter so steil nach oben geht, dann schaffen wir das niemals bis nach Chisopani!” Aller Anfang ist eben schwer. Das Aufwärts nimmt kein Ende. Die Sonnenstrahlen sind kräftig und heizen uns zusätzlich ein. Ich motiviere mich mit dem Sprichwort, das ich aus einer Bergsteigerdokumentation behalten hat: Wer andere besiegt, hat Muskelkraft. Wer sich selbst besiegt, ist stark.
Wir klettern weiter und suchen unseren Weg durch Wälder, vorbei an Kornfeldern an den Hängen, über die Höfe der Bergbauern und durch kleine Felsschluchten. Nach Wegweisern braucht man nicht zu suchen, es gibt keine. Wir nutzen jede Gelegenheit, um uns bei den Einheimischen über den richtigen Weg zu versichern, denn für Umwege reicht die Energie heute nicht aus. Endlich hat sich die Atmung auf das Dauerklettern eingestellt. Immer wieder machen wir einen kurzen Halt, wischen uns den Schweiß von der Stirn und schütten Wasser nach. Der hoffnungsvolle Blick auf die nepalesische Wanderkarte hilft uns leider wenig. Wir haben keine Ahnung, wie weit wir auf den Felsentreppen schon gekommen sind. Als wir nach drei Stunden an einem Häuschen Pause machen, heißt es: Nur noch zwei Stunden bis nach Chisopani! Das hört sich wirklich gut an. Das Ziel rückt auf einmal so nah.
Wir werfen einen stolzen Blick zurück ins Tal. Nach viereinhalb Stunden geht es dann auch endlich mal bergab. Eine letzte Stunde später sehen wir dann ein paar Häuser am Horizont: Chisopani! Mit weichen Knien erreichen wir die erste Lodge. Dicke Wolken haben sich gerade über uns zusammengerauft. Es blitzt und donnert und wir treten gerade noch rechtzeitig vor dem heftigen Gewitterregen über die Schwelle. Die Unterkunft ist perfekt: eine kleine Stube mit Ausblick. Nach einer lauwarmen Dusche schlüpfen wir in die lange Unterwäsche, bestellen uns Kräutertee und genießen auf der Veranda nebenan das kräftige Gewitter, das bis spät in den Abend immer wieder ein tiefes, lautes Donnergraulen über die Berge schickt. Die Stimmung ist urgemütlich, es gibt keine bessere Belohung am ersten Tag!

Tag 2: Regenjacke an, aus, an

Strecke: von Chisopani (2215m) nach Joghin Danda (2450m)
Anstieg: 680 Höhenmeter, Abstieg: 445 Höhenmeter
Marschdauer: 6 Stunden, 30 Minuten
Gefühlslage: Rucksack schwer, Beine schwer, alles schwer

Wir hatten eine gute erste Nacht und krabbeln um halb Sieben ausgeschlafen aus dem Schlafsack. Zum Frühstück essen wir Omelett, Bratkartoffeln und tibetisches Brot – eine ordentliche Menge neuer Energie. Immer noch ist es draußen wolkig. Als wir losgehen, müssen wir unsere Motorradregensachen überstreifen, denn es fängt an zu regnen. Fünf Minuten später scheint dann plötzlich die Sonne und wir pellen uns wieder aus der Kombi heraus. Wir laufen etwa eine halbe Stunde bergab bis nach Tati Banyang (1.770 m). Die Höhenmeter von gestern sind damit hin. Kaum ausgesprochen geht es nach einem kleinen Marsch auf gleicher Ebene auf den nächsten Gipfel mit 2450 Metern – aufwärts für den Rest des Tages. Auf dem steinigen Pfad nach oben wechseln sich Sonnenstrahlen und Regenschauer ab. Wenn es zu heftig wird, setzen wir uns kurz unter die Vordächer der Sherpahütten am Wegesrand. Wir blicken beim Verschnaufen hinter uns auf die Terrassenfelder im Tal, in denen die Saat gerade erst aufgeht. An den Hängen nutzen die Bauern jeden Platz, um Kartoffeln oder Reis anzubauen. Manchmal messen einzelne Terrassen gerade mal zwei Quadratmeter.
Nach einer langen, kräftezehrenden Felsentreppe landen wir mit dem letzten Stufenschritt auf dem Hof einer Familie kurz vor Chipling. Eine gute Gelegenheit, sich bei einer dampfenden Tasse schwarzen Tees eine Weile zu erholen. Wenn die Wanderkarte richtig ist, haben wir noch ein ganzes Stück vor uns. Kurz nachdem wir die drei, vier Häuser von Chipling passieren, stehen wir mal wieder wie ein Ochse vorm Scheunentor an einer Gabelung, die in der Karte nicht eindeutig erkennbar ist. Der linke Weg sieht etwas breiter und öfter begangen aus. Der Rechte ist kaum als solcher zu erkennen. Eine Stunde später stehen wir wieder an derselben Stelle und haben endlich verstanden, dass die eher unscheinbaren Pfade viel öfter die richtigen sind. Der vermeintlich Richtige hatte uns in einem Bogen anstatt nach Norden weiter nach Westen gebracht. Der rechte Pfad entpuppt sich zwei Minuten später als eine Reihe von Felsbrocken, über die wir nach oben krabbeln. Ich schniefe und schnaube und stütze mich auf meinem derzeit besten Freund – den Wanderstock. Die Fußsohlen brennen und der Rucksack schnürt sich in die Schultern. Es ist schon kurz vor Drei und unser Tagesziel Gul Banyang liegt noch geschätzte anderthalb Stunden Wanderung entfernt auf der anderen Seite vom Pass. Dann endlich setzen wir den letzten Schritt nach oben: Wir stehen jetzt in Joghin Danda am Pass auf 2.450 Metern. Die Sonne scheint seit einer ganzen Weile, der Himmel klart auf. Die friedliche Stimmung an diesem Ort ist herrlich, ringsum der weite Blick auf Täler und Berge. Wir entscheiden uns, die Wanderstöcke in die Ecke zu stellen und diese Nacht hier zu verbringen. In einem der drei Häuser aus Felsstein und Lehm ist eine junge Familie mit drei Kindern zuhause. Micha fragt die junge Mutter mit dem Baby auf dem Rücken, ob wir eine Kammer in ihrer Lodge beziehen dürfen. Kurze Zeit später, trifft noch ein anderer Wanderer über die Schwelle: Ashley aus Australien – groß, sportlich, trekking-erprobt, der heute aus Sundarijal bis hierher gestiefelt ist.
Erstaunt von seiner Energie tauschen wir an unserem gemeinsamen Feierabend die unterschiedlichen Erfahrungen aus, während die süßen Mädchen, Dolma und Diki, unsere Aufmerksamkeit suchen. Nach Sonnenuntergang wird es sofort kalt. Während die Mädchen immer noch im T-Shirt und barfuß über den Lehmboden laufen, dürfen wir uns drinnen mit der Familie auf Matten an die gemütliche Feuerstelle setzen. Der Rauch verteilt sich im kleinen, dunklen Raum. Solange die Mutter frischen Dhal Bhat für uns kocht, beobachten wir, wie sich Dolma um ihren fünf Monate alten Bruder kümmert. Wenn er weint, steckt sie ihm ihren Finger zum Nuckeln in den Mund. Sie legt ihn in ein kleines Körbchen, wackelt ihn in den Schlaf, deckt ein Tuch darüber und schiebt alles zusammen unters nahe stehende Küchenregal. Nach einer Stunde steht unser warmes Abendessen auf drei kleinen Holzbänkchen vor uns. Mit brennenden Augen vom Feuerqualm gehen wir um Neun die Außentreppe hinauf in unsere Schlafkammern. Schon wieder beginnt ein starkes Gewitter. Ich muss leider noch mal raus aufs Plumpsklo, ein kleiner Bergdurchfall. Der Regen prasselt laut aufs Wellblechdach. Wir hoffen, dass der Sturm die dünnen Bleche nicht runterreißt und wir auf einmal direkt in die Gewitterwolken gucken. Etwas mulmig zu Mute, aber eingekuschelt im Trockenen fallen wir ohne Zwischenfälle in den verdienten Schlaf.

Tag 3: Abschied von Dolma und Diki

Strecke: von Joghin Danda (2450m) nach Kutumsang (2470m)
Anstieg: 490 Höhenmeter, Abstieg: 470 Höhenmeter
Marschdauer: 4 Stunden, 30 Minuten
Gefühlslage: morgens glücklich, mittags totmüde, abends satt

Früh am Morgen wecken uns Kinderstimmen: „Good morning, Suzan! Good morning, Michel!” Dolma und Diki sind schon hellwach auf den Beinen und warten darauf, dass wir raus in die Sonne treten. Zügig steigen wir mit muffigen Socken in die Stiefel, werfen das Gepäck auf den Buckel und nehmen zusammen mit Ashley Abschied von der kleinen Sherpafamilie in Joghin Danda.
Der Regen der letzten Nacht hat den Staub aus der Luft gewaschen und vor uns erstreckt sich über den gesamten Horizont die beeindruckende Bergkette des Langtangs. Belohnt mit diesem Anblick beginnen wir die dritte Etappe. Mal sehen, wie weit und hoch wir es heute schaffen. Ashley wandert mit Meilenschritten voraus. Es geht auf einem breiten Waldweg runter nach Gul Banhyang (1.770 m). Das nasse Laub auf dem Boden riecht nach Herbst und frische Luft füllt unsere Lungen. Hinterm Dorf im Tal wartet wieder ein Anstieg über Wiesen und Steine, auf dem wir uns zweieinhalb Stunden mit sportlichem Ehrgeiz aufwärts quälen. Ashley ist schon längst überm Berg verschwunden. Sein Tempo ist nicht zu toppen. Oben am Gipfel suchen wir nach seinen Fußspuren, denn schon wieder stehen wir vor mehreren Pfaden und müssen raten, wo lang.
Ein Stück weiter bergab treffen wir Ashley mittags im Dorf Kutumsang wieder. Er hat seine Pause gerade beendet und schreitet nach einem Kaffee in Richtung Mangen Goth davon. Wir wollen ihm später dorthin folgen und nochmals gemeinsam Feierabend machen. Doch als wir so in der warmen Sonne sitzen und merken, wie schwer und müde unsere Glieder sind und wie lang noch der vor uns liegende Anstieg wäre, gönnen wir uns den Luxus, den Wandertag für heute zu beenden. Das Gasthaus ist reizend und hat sogar eine richtig heiße Dusche auf dem Hof. Wir haben alles richtig gemacht und genießen frisch gewaschen die sportfreien Stunden. Später gehen wir noch rüber ins Holzhaus, wo wir beim Wachmann für je tausend Rupien unsere Tickets für den Langtang Nationalpark besorgen, den wir morgen betreten werden. Abends schlachten die Männer und Söhne mit einem für die Bergregion typischen Nepalidolch eine Ziege. Interessant zu beobachten, aber unser Appetit wird nicht angeregt. Wir müssen an das strenge Hammelfleisch aus Usbekistan denken, das auf keinen Fall eine Delikatesse ist. Wie schon so oft füllt vegetarisches Dhal Bhat bestens unsere hungrigen Bäuche. Gemeinsam mit einer agilen Maus in unserem Zimmer legen wir uns zur Nachtruhe in die Holzbetten.

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Tag 4: So riecht der Winter

Strecke: von Kutumsang (2.470 m) nach Tharepati (3.510 m)
Anstieg: 1.140 Höhenmeter, Abstieg: 100 Höhenmeter
Marschdauer: 7 Stunden, 15 Minuten
Gefühlslage: pures Winterfeeling bei Kieferngeruch und Schnee

Weil wir so früh schlafen gehen, wachen wir auch ohne Weckerklingeln früh genug auf. Die Socken und T-Shirts, die wir gestern in der Blechschüssel endlich mal durchgespült haben, tragen sich gleich viel angenehmer. Nach Haferbrei zum Frühstück begeben wir uns gut gelaunt auf die schwierigste Etappe. Tagesziel ist Tharepati – der höchste Ort unseres Helambu-Abenteuers. Die Leute erzählen uns, dass es dort gestern kräftig gestürmt und geschneit hat. In Kutumsang ist es windstill und leicht bewölkt. Eine Viertelstunde hinterm Ort beginnen wir einen laaaangen Aufstieg, für den wir etwa sechs bis sieben Stunden einplanen.
Die ersten Meter sind jedes Mal die Schwierigsten, solange sich der Körper mit der Anstrengung abgefunden hat. Anfangs umgeben uns urige Laubwälder. In dieser Gegend könnte scheinbar jeden Moment der Yeti um die Ecke biegen. Das Wetter wird langsam ungemütlicher und keine Menschenseele ist in Sicht. Außer ein paar Krähenschreie ist es sehr still. Weiter oben angelangt schleichen Nebelwolken über unseren Pfad. Die Luft ist kalt und feucht. Auf dem Boden erkennen wir eine mysteriöse Schleifspur, die uns den Weg weist. An den in Wolken liegenden Rhodedendren vorbei beginnt bald ein felsiger Pfad, der uns bis nach Mangen Goth auf 3.220 Meter bringt. Die Luft wird dünner und der Atem schneller. Kurz vor der kleinen Siedlung löst sich das Rätsel der Schleifspur auf: Uns kommt ein Nepalese entgegen, der einen großen Holzbalken im Schlepptau ins Tal hievt. Hier in den Bergen wird alles aus eigener Kraft transportiert.
Es ist mittags. Nach einer Teepause in der Gaststube in Mangen Goth geht’s schnell weiter, bevor uns die Trägheit überkommt. Jetzt liegt hier und da schon mal ein größerer Flecken Schnee im Wald. Wir stiefeln brav gen Tharepati und bald löst eine dichte Schneedecke die Flecken ab. Kiefernadeln duften und erinnern uns an Weihnachten. Der Nebel ist auf einmal so dicht, dass wir kaum noch die Umgebung erkennen. Zum Glück können wir den Spuren anderer Leute auf dem rutschigen Pfad durch den Schnee folgen.
Nach sieben Stunden seit Aufbruch gucken wir auf die Uhr und noch immer ist kein Haus in Sicht. Unmut macht sich breit. Unsere Energie ist für heute fast aufgebraucht. Drei Minuten danach tauchen im Nebel plötzlich ein paar Berghütten auf – und ein Schild: Welcome to Tharepati! So ähnlich müssen sich Tenzing und Edmund gefreut haben, als sie den Mount Everest bestiegen haben!
In der ersten Hütte treffen wir auch endlich unseren Australier Ashley wieder. Sein übereilter Aufstieg hat sich leider gerächt und er liegt schwach und übel auf der Bank am Kaminofen. Wir gesellen uns zu ihm und noch zwei anderen Wanderern. Bis zum Schlafengehen rücken wir nicht mehr von der wärmenden Ofenstelle ab. Draußen verharrt der dichte Nebel und drinnen ist es schön gemütlich. In den einfachen Schlafkammern, in denen die Fenster nur mit Folie verschlossen sind, ist es allerdings so kalt, dass wir unseren Atem sehen können. Auf dem höchsten Punkt unserer Wanderung ist das Wasser im Eimer neben dem Draußenklo mit Eis bedeckt. Der Lodgebesitzer kocht uns ein gutes Essen und danach kriechen wir sekundenschnell in unsere tollen Schlafsäcke, um stolz in den Winterschlaf zu fallen: „Gute Nacht, Tenzing!“, „Gute Nacht, Edmund!”

Tag 5: Bergab ist es auch nicht leichter

Strecke: von Tharepati (ca. 3.700 m) nach Melamchigaon (2.530 m)
Anstieg: 0 Höhenmeter, Abstieg: 980 Höhenmeter
Marschdauer: 4 Stunden
Gefühlslage: hoch konzentriert, wenig motiviert

In den ersten vier Tagen zu Fuß im Himalaja sind wir vom Sommer in den Frühling, in den Herbst und kalten Winter geklettert. Nach einer Schneeballschlacht auf dem höchsten Gipfel unseres Helambu-Marsches geht es jetzt wieder runter in den Bergfrühling, wo die Rhododendren blühen und die Hühnerküken schlüpfen.
Die Nacht in Tharepati war ruhig und warm genug. Wir haben beim Einschlafen gemerkt, dass sich unsere Körper erst noch akklimatisieren und an die dünnere Höhenluft gewöhnen müssen. Als wir um sechs Uhr aus den Federn kriechen, strahlt draußen schon die Sonne über den blendenden Schnee. Die Nebelwolken von gestern haben sich in klare Luft aufgelöst. Der Himmel ist tiefblau und die Sicht auf die Berge frei. Ein perfekter Start in den fünften Tag. Mit kleinen Augen und fröstelnd machen wir den Schritt vor die Tür zur Morgenwäsche. Nach vielen Monaten im Sommer stehen wir in Tharepati auf einmal mitten im Winter.
Nach mühevollen Tagen bergauf ist heute endlich ein Bergab-Tag! Mit Mütze und Handschuhen sagen wir Tschüss zu Ashley, der heute zusammen mit den beiden anderen Wanderern versucht, über einen Viertausenderpass in die Langtang-Region zu kommen. Diesmal geht er es jedoch langsamer an. Auf unserer Etappe steht hingegen ein ganzer Höhenkilometer abwärts an. Etwa dreihundert Höhenmeter rutschen wir auf den Sohlen über den steilen, steinigen Pfad nach unten. Konzentration ist gefragt und wir merken bald, dass der Abstieg auch nicht viel leichter ist. Keine Sache der Puste, aber der Gelenke und Wadenmuskulatur. Irgendwie haben wir auch das Gefühl, dass es nichts mehr zu erreichen gibt, obwohl noch so viel Strecke mit neuen Eindrücken vor uns liegt.
Der Schnee hört irgendwann auf und die Landschaft geht in einen feuchten Laubwald über. Die Sonne verschwindet immer öfter hinter Wolken. Die Bäume sind mit einer dicken Schicht Moos bewuchert und manchmal sieht es so aus, als hingen Affen in den Ästen. Ein paar Schritte weiter, hinter einem der buddhistischen Chorten auf dem Weg, scheuchen wir tatsächlich ein paar große, weißbärtige Langurenaffen auf. Elegant springen sie davon und beobachten uns aus dem Gebüsch. Heute sind wir die Einzigen, die ihr Revier durchwandern.
Nach drei Stunden erreichen wir dann die Hängebrücke über den Chhyandi-Fluss und können die Häuser von Melamchigaon auf dem kleinen Hügel vor uns sehen. Es fängt an zu nieseln, als wir unsere Füße über die Holzschwelle der Himalaya Lama Lodge setzen. Ringsum im Garten baut die Familie des kleinen Gasthauses Kartoffeln und Zwiebeln an. Alles im Hof sieht so ordentlich aus. Auch drinnen, im typisch tibetischen Haus, glänzen der polierte, dunkle Holzfußboden und das aufgereihte Edelstahlgeschirr in den mit Schnitzereien verzierten Regalen.
Der Abstieg hat uns ganz schön geschlaucht. Wir essen zu Abend und gehen mal wieder früh ins Bett. Diesmal um siebzehn Uhr. Wir sind die einzigen Gäste. Draußen kracht ein neues Gewitter und lässt den Gemüsegarten gedeihen. Hofhund Struppi liegt auf der kleinen Veranda vor unserer Tür und verteidigt sein und unser Revier gegenüber anderen Hunden aus dem Dorf. Gute Nacht, Struppi!

Tag 6: Das Tagesziel vor Augen

Strecke: von Melamchigaon (2.530 m) nach Tarkeghyang (2.740 m)
Anstieg: 850 Höhenmeter, Abstieg: 640 Höhenmeter
Marschdauer: 5 Stunden
Gefühlslage: neue Kräfte nach 13 Stunden Schlaf

Halb sieben, aufstehen! Die Frühstückseier liegen schon im Topf und der Chapati-Teig wird gerollt. Wir setzen uns an die Kochstelle in der Küche auf den Boden und beobachten, wie unsere erste Mahlzeit des Tages zubereitet wird. Die Sonne scheint hell durch die offene Tür. Unsere Sherpa Gastgeberin, deren komplizierten Namen wir leider vergessen haben, spricht ein bisschen Englisch und wir nehmen uns die Zeit für ein langes Frühstück mit ihr. Wir kaufen ihr ein handgefertigtes Nepali-Messer ab – dasselbe Modell, mit dem in Kutumsang die Ziege geschlachtet wurde. Als wir uns dann um Neun endlich auf die Socken machen, hängt sie uns buddhistische Seidenschals als Glücksbringer um den Hals. „Dort müsst ihr hin, nur drei Stunden Weg!” Sie zeigt mit ihrem Finger auf ein Dorf auf der anderen Bergseite des Tals. Wir haben Dorf Tarkegyang also schon vor Augen. Mit dem Tagesziel in Sichtweite starten wir voller Kraft in den sechsten Helambutag.
Vorbei an einem großen Tempel beginnt der Abstieg ins Tal, bis wir an die kleine Hängebrücke über den Melamchi Khola kommen. Eine Stunde und fünfundvierzig Minuten sind bis hier vergangen. An einem Bergbach pumpt Micha frisches Quellwasser in unsere leeren Trinkflaschen und danach machen wir uns auf den Weg nach oben. Das Dorf Tarkegyang versteckt sich jetzt hinter Bäumen und Felsen. Die Luft ist sehr feucht und wir haben Schweißränder an den Sachen. Geduldig setzen wir einen Fuß vor den anderen und quälen den Wanderstock. Meine Waden sind hart und wir merken mal wieder, das Trekking in den Bergen kein Spaziergang ist. Irgendwann vorm Ziel treffen wir auf zwei Jungs, die jeweils vierzig Kilogramm schwere Sandsäcke gebückt zur Baustelle am Tempel schleppen. Sie sind kaum langsamer als wir. Unglaublich, welche Lasten Kinder und Erwachsene in den Bergen herumtragen. Zur Stärkung gibt es einen Müsliriegel und wir wandern mit ihnen weiter. Mit Gänsehaut an den Armen erreichen wir um zwei Uhr bei Regenschauer das Gasthaus in Tarkeghyang. Nach einer heißen Dusche aus dem Eimer belohnen wir uns mit einem Riesenteller Bratkartoffeln, Yak-Käse, Dhal Bhat und heißem Zitronentee neben dem gemütlichen Feuer im Haus. Morgen ist Ruhetag und wir genießen die Aussicht auf marschfreie sechsunddreißig Stunden.

Tag 7: Mönch, Riesengebetsmühle und tibetischer Buttertee

Strecke: Spaziergang durch Tarkeghyang (2.740 m)
Anstieg: 8 Höhenmeter, Abstieg: 8 Höhenmeter
Marschdauer: 1 Stunde
Gefühlslage: endlich ein Ruhetag

In Tarkeghyang tauchen wir ein bisschen ins Sherpaleben ein. Morgens kocht die Familie Kichererbsen und reicht uns eine Schale vom lecker, aber sauscharf gewürzten Frühstück. Als unsere Augen tränen und Micha die Schweißperlen auf der Stirn stehen, streut uns die Köchin lächelnd Reisflocken zur Entschärfung in die Schalen.
Mit dem jungen buddhistischen Mönch, der neben uns in der Gaststube sitzt, machen wir einen Spaziergang zu den heiligen Stätten im Ort. Er erzählt uns, dass er gerade drei Jahre und drei Monate Meditation und Schriftenstudium im Kloster absolviert hat. In dieser Zeit sind die Mönche von der Außenwelt völlig abgeschottet. Micha dreht mit ihm zusammen an der Riesengebetsmühle im Tempel – für gutes Karma.
Wie in den anderen Dörfern der Helambu-Region leben die Menschen hier sehr bescheiden, traditionell und sind sich ihrer tibetisch-buddhistischen Wurzeln sehr bewusst. Religion und Familie stehen im Mittelpunkt des Bergdorflebens, in dem Männer wie eh und je kleine Felder bewirtschaften, die Frauen mit dem Haushalt beschäftigt sind und die Kinder den Alten früh zur Hand gehen.
Eine typische Sherpafamilie lädt uns auf dem Rückweg zum Gasthaus zum salzigen Buttertee in ihre Stube ein. Wie immer brennt das Feuer, an das wir gebeten werden. Im Hintergrund hören wir den Vater Passagen aus heiligen tibetischen Schriften im Sprechgesang vor sich hinmurmeln. Seine beiden Söhne toben aufgeregt um die Fremden aus Germany herum. Der Buttertee wird reichlich nachgeschenkt und wir lassen uns nicht anmerken, dass er uns nicht schmeckt.
Nach einem Faulenzernachmittag in der Sonne sehen wir den Israeli Amit im Gasthaus ankommen. Zusammen sitzen wir am Abend in der Stube und lernen neben dem Buddhismus auf einmal auch was über die jüdische Kultur dazu.

Tag 8: Frischer Bohnenkaffee aus Israel

Strecke: von Tarkeghyang (2.740 m) nach Sermathang (2.590 m)
Anstieg: 0 Höhenmeter, Abstieg: 150 Höhenmeter
Marschdauer: 4 Stunden
Gefühlslage: immer munter, hoch und runter

Beim Aufstehen in Tarkeghyang spüren wir immer noch die Wadenmuskeln. Der Nacken hat sich durch den gestrigen Ruhetag zum Glück etwas entspannt. Meine Augen tränen ständig, vielleicht sind sie vom Feuerqualm im Haus gereizt.
Heute geht es auf eine relativ leichte Hoch-und-runter-Etappe bis nach Sermathang. Amit läuft vor uns los. Auf dem Weg überholen uns Einheimische, die zu einer Beerdigung ins Nachbardorf gehen. Aus dem Tempel der Trauerfeier, an dem wir einige Zeit später vorbei kommen, hören wir dumpfe Trommelschläge und tiefes Gemurmel. Wir stiefeln heute über steinige Pfade und Bäche vorbei an einigen Chorten und bunten Gebetsfahnen, die die heiligen Stätten schmücken. Zum ersten Mal laufen uns viele Helambubewohner entgegen, die alle möglichen Dinge in großen Körben auf dem Rücken in die Berge tragen. Einer von ihnen transportiert sogar einen Schrank.
In Sermathang werden wir in der Yangir Lodge herzlich zum Mittag empfangen und treffen Amit wieder. Das Wetter ist wunderbar. Beim Schlendern durchs Dorf auf der Suche nach Keksen sehen wir das alte und langsam zerfallende Rimpoche-Kloster. In dem länglichen Nebengebäude befinden sich zehn kleine Kammern, in denen bis vor kurzer Zeit noch zehn Mönche gleichzeitig drei Jahre und drei Monate meditiert haben. Momentan wirkt alles ausgestorben. Der Wind rüttelt am reparaturbedürftigen Blechdach und macht einen eigenartigen Lärm.
Zur Überraschung packt Amit am späten Nachmittag aus seinem Rucksack ein Kaffeekochset mit Gläsern aus. Auf seinem Benzinkocher köchelt er echten, israelischen Bohnenkaffee für uns und den netten Gastwirt. Die Frauen auf dem Hof staunen über die Miniaturkochstelle. Der Kaffeeduft ist betörend. Als die Gläser leer getrunken sind, inhalieren wir noch das feine Aroma aus der leeren Bohnenkaffeetüte.

Tag 9: Das Beste zum Schluss

Strecke: von Sermathang (2.590 m) nach Melamchipul Bazar (870 m)
Anstieg: 0 Höhenmeter, Abstieg: 1720 Höhenmeter
Marschdauer: 5 Stunden, 30 Minuten
Gefühlslage: endloser Abgang und so was wie Todesangst

Pünktlich um Sieben sind wir bereit zum Abgang. Die letzten Kilometer unseres Helambu-Abenteuers gehen wir zu Dritt mit Amit an. 1720 Höhenmeter nach unten! Am Morgen wissen wir noch nicht, was uns am Ende der Etappe erwartet.
Es ist angenehm kühl als wir losgehen und wir folgen dem kurvigen Jeepweg ins Tal. Wir blicken noch einmal zurück auf die Schneegipfel in der Morgensonne. An einer riesigen, goldenen Buddhastatue, die wir einmal im Uhrzeigersinn umrunden und an der wir unsere Glücksseidenschals aus Melamchigaon opfern, verabschieden wir uns von der beeindruckenden Helamburegion.
Teilweise ist der grobe Weg nach unten ziemlich steil und es wird immer wärmer. Die Siedlungen werden dichter und nach etwa fünfundzwanzig Kilometern Fußmarsch haben wir endlich den Ort Melamchipul Basar erreicht, wo wir überhitzt und müde in den engen Bus nach Kathmandu einsteigen. Als die fünf Ziegen auf dem Busdach verstaut und die Hühner in Pappkartons in die Gepäckablage gestopft sind, poltern wir los. Die guten Wanderstöcke, die uns treu bis hierher begleitet haben, lassen wir am Busstand zurück. Wir sitzen hinten und gucken nach vorne über die Menschen im Bus hinweg auf die schmale, sandige Bergstraße. Die Hoffnung auf eine entspannte Fahrt stirbt schnell mit jeder Note der indischen Popmusik, in deren Rhythmus wir in den durchgesessenen Sitzen auf und ab hoppeln. Der Glaube, dass sich die Straße bald bessern würde, erweist sich als falsch. Im Gegenteil.
Wir befinden uns auf einem zweifelhaften Weg und können nicht fassen, dass sich der heckgetriebene Tata-Bus, in dem wir hocken, auf dieser schmalen steilen Serpentinenstraße durch Zuckersand und Schotter nach oben quält. Plötzlich bleibt das Dieselmonster auch noch im aufgeweichten Schlamm stecken. Hundert Meter vor uns wühlt sich gerade ein Jeep durch die nächste Motterpassage und fährt sich schließlich genauso fest.
Aus dem Schiebefenster gucken wir direkt in den Abgrund raus. Mir wird zum ersten Mal auf der ganzen langen Reise schlecht vor Angst. Der Busfahrer will sein Monster durchbringen und tritt aufs Gaspedal. Zentimeter für Zentimeter kämpfen wir uns nach vorn, während draußen ein paar Männer mit der Schaufel immer wieder trockenen Sand und Steine vor die Antriebsräder schippen. Wenn der Bus zur Seite rutscht, war`s das. Mich überkommt ein Gefühl von Panik und bin kurz davor, aus dem Bus zu steigen. Nach einer Stunde Schlammpartie am Abgrund geht es weiter über die Berge. Abgesicherte Hänge und Wegränder Fehlanzeige. Wir haben keine Energie mehr für Angstgefühle. Nach drei Stunden Rumpelpiste sind wir dankbar, fix und fertig, aber lebendig in Kathmandu zurück zu sein. Das echte Abenteuer kam eben erst zum Schluss.

Am Ende unserer Wanderung halten wir noch einen Rekord fest:
Ich bin wahrscheinlich die Erste, die das Helambu in Motorradstiefeln durchlaufen hat – Goretex Endurostiefel von HeinGericke, Testurteil: durchaus auch für den Himalaja geeignet.

Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Nepal: Durchs Terai nach Kathmandu /nepal-terai-kathmandu/ /nepal-terai-kathmandu/#comments Sat, 04 Apr 2009 15:28:08 +0000 /?page_id=2626 Sadhus in Kathmandu, Nepal (c) emmenreiter.de

Offene Schranken in Karkabitta?

15. März, acht Uhr morgens. Trotz öffentlicher Streiks in Nepal rollen wir von Darjeeling aus bergrunter an die Grenze zum kleinen Nachbarland mit den großen Bergen. Die warmen Klamotten kommen, zurück auf Meeresspiegelniveau, wieder in die Alukoffer. Schweißränder auf dem T-Shirt sind angesagt. Das Abenteuer Indien wollen wir heute nach vier unvergesslichen Monaten hinter uns lassen und mit neuen Erwartungen ins Land des Mount Everests weiterreisen. Ob wir als Touristen trotz Streikblockaden problemlos in Nepal einfahren dürfen, wissen wir nicht. Die Auskünfte der Reiseagenturen vor Ort waren leider gegensätzlich. Wir sind zuversichtlich und wagen den Versuch. Für den Fall, dass wir im bestreikten Terai auf leere oder versperrte Zapfsäulen stoßen, machen wir auf indischer Seite noch die Tanks voll und füllen zehn Liter Reserve in den Benzinkanister. Den indischen Grenzposten haben wir zügig erledigt: In der alten Baracke neben dem provisorischen Fallbaum stempelt der Beamte unsere Pässe und die netten Herren im staubigen Zollgebäude gegenüber die Carnet de Passages korrekt ab. Micha beantwortet ihnen solange die üblichen Fragen – woher wir kommen, wohin wir wollen, wozu wir die großen Alukoffer brauchen und wie teuer und schnell die Motorräder sind. Im Gegenzug teilt man uns freudig mit: „Ihr habt Glück, in Nepal ist der Streik seit heute beendet! Die Schranken sind offen.” Dankbar über das schicksalhaft gute Timing nehmen wir Abschied von den Indern und fahren fünfhundert Meter auf einer Brücke übers ausgedörrte Flussbett auf die nepalesische Seite nach Karkabitta. Im Grenzgebiet herrscht ein unüberschaubares Durcheinander – wie auf einem Basar. Nepalesen wie Inder, die jeweils ohne Visa in beide Länder einreisen dürfen, lassen sich und ihre vollgestopften Plastikbeutel und abgenutzten Sporttaschen von Fahrradrikschas von einer Seite auf die andere kutschieren. Dazwischen hektische Jeeps, Laster und Busse. Die Bambusrohr-Grenzschranke im Grenzdorf Karkabitta erkennen wir kaum – ein Beamter zieht sie am Tau mal hoch und runter, als versuche er, den Verkehr damit zu regeln. Trotzdem kann er nicht verhindern, dass ein rasanter Minibusfahrer eine Fahrradrikscha streift und ihren Fahrgast vor unseren Augen auf die Straße schleudert.
In den dunklen, muffigen Gebäuden des ostnepalesischen Immigrations- und Zollamtes bringen wir auch hier, diesmal bei einer Begrüßungstasse Tee, den Papierkram schnell hinter uns. Auf eine Durchsuchung unserer rund sechzig Kilogramm Gepäck pro Emme – egal ob auf indischer oder nepalesischer Seite – hatte wieder mal kein Beamter Lust. Unkompliziert und für vierzig Dollar plus 200 Rupien pro Person klebt man uns die Nepalvisa in die Pässe. Wir sind zufrieden! Der Ankunft im Terai steht nichts mehr im Wege…

Neues Land, gemischte Gefühle

Bevor wir in die einsame, beeindruckende Bergwelt Nepals eintauchen können, liegen noch ein paar hundert Kilometer Motorradfahrt durchs Terai – dem südlichen und recht dicht besiedelten Tiefland – vor uns. Auf der einzigen Landstraße gen Westen müssen wir ab und zu gefällten Bäumen, Sandsäcken und Felssteinen auf dem Asphalt ausweichen – Überreste der Straßenblockaden vom Streik. In diesem Teil Nepals ist landschaftlich und bei den Menschen kein wesentlicher Unterschied zu Indien erkennbar. Allerdings sehen die Behausungen in den Siedlungen, oft Stroh- und Lehmhütten und zum Teil auf Stelzen gebaut, noch einfacher und viele Kinder verwahrlost aus. Die nepalesischen LKW stoßen eine unschlagbar dreckige Abgaswolke aus und dieseln damit die ganze Umgebung ein.
Wir wollen die erste Nacht in Dharan verbringen, etwa 120 Kilometer von der Grenze entfernt. Weiter nördlich der Stadt hatten die einst rebellischen Maoisten ihre Basis. Das nepalesische Volk hat sie bei der Wahl vor einem Jahr an die Macht gebracht, in der Hoffnung auf eine bessere Entwicklung ihres Landes. Auf der Fahrt nach Dharan ist Micha nach ein paar knappen Überholmanövern aus meinem Rückspiegel verschwunden. In solchen Momenten bleibt einem manchmal kurz das Herz stehen. Ich lenke mit weichen Knien und der Hoffnung, dass es nicht gekracht hat, um und fahre zurück. Ein paar hundert Meter weiter hinten sieht sie Micha am Straßenrand stehen. Seine Emme ging aus, weil sich ein Kabel vom Sicherungskasten gelöst hat. Dem Herzklopfen folgt die Erleichterung und in ein paar Minuten sind wir beide wieder auf der Straße und wenig später vor einem ungemütlichen Hotel in der eher uncharmanten Kleinstadt Dharan.
Als wir mit müden Gliedern im harten Bett liegen, machen sich gemischte Gefühle breit. Wir sind froh, in Nepal zu sein. Vom ersten Eindruck bei der Ankunft von Osten aus sind wir allerdings irgendwie enttäuscht. Wir haben die Menschen und Kultur in den Bergen vor Augen, die Nepal für uns so reizvoll machen…Darauf freuen wir uns. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Auf dem Mahendra-Highway westwärts

Von Dharan aus wollen wir in drei, vier Tagen auf dem Mahendra-Highway gen Westen bis nach Hetauda und dann nach Kathmandu knattern. Die Tankstelle in Itahari hat zum Glück Benzin in der Säule und wir nutzen die Gelegenheit, um noch mal nachzutanken.
Der Mahendra-Highway ist eine breite und meist passabel asphaltierte Landstraße, die sich durch die Getreide- und Maisfelder des Tieflandes bahnt und unzählige Flussbetten kreuzt. Für die Bevölkerung des Terais ist der Highway eine Lebensader. Hier tummeln sich die Menschen, transportieren Berge von Gegenständen auf Ochsenkarren oder klapprigen Fahrrädern in den nächsten Ort. Die Busse sind bis aufs Dach überladen – oben auf Stapeln von Gepäck sitzen die Nepalesen und schaukeln im riskanten Zickzackkurs der Busfahrer hin und her. Über die beiden Buswracks am Straßenrand, die wir passieren, wundern wir uns nicht. Hoch konzentriert schlängeln wir an unserem zweiten Tag in Nepal ein paar Stunden zwischen allen Hindernissen und möglichst schnell an rußigen Abgaswolken vorbei weiter Richtung Westen – nach Janakpur.
Irgendwann auf der Strecke nach Janakpur endet die Straße auf einmal in der Wüste. Wir durchfahren das zu dieser Jahreszeit ausgetrocknete Koshi-Flussgebiet, das durch heftige Monsunregenfälle im letzten Jahr bei einem Dammbruch über Nacht verheerend überschwemmt wurde. Dörfer sind verschwunden. Viele Menschen haben alles verloren. Am Straßenrand sehen wir im weiß versandeten Feld eine provisorische Zeltstadt, in der immer noch Opfer leben. Der Koshi, ein Nebenfluss des Ganges, der unter anderem Wasser aus der Mount Everest Region abführt, hat sich nach mehreren Überschwemmungen immer wieder ein neues Flussbett gesucht und sich dabei über die Zeit mehr als hundert Kilometer nach Westen verlagert. Die Straße durchs Überschwemmungsgebiet ist ebenfalls zerstört worden. Der Verkehr sucht sich heute einen Weg durch die übrig geblieben Sand bzw. Schlickhaufen.

Staubiger Abzweig nach Janakpur

Nach unserem kurzen Ausflug in die „Koshi-Wüste” nehmen wir bald den Abzweig nach Janakpur. Die Stadt liegt im Süden an der Grenze zu Indien und soll wichtiger Pilgerort für viele Hindus sein. Die Straße dorthin ist auf der Karte als asphaltierte Hauptstraße markiert. Der Zwanzig-Kilometer-Abzweig entpuppt sich aber schnell als grob schotterige, zerfressene und dazu noch viel befahrene Endlosstrecke, auf der Traktoren und LKW durch die Schlaglöcher poltern. Bis in alle Ritzen eingestaubt kommen wir nach über einer Stunde endlich in Janakpur an – ein chaotischer Ort mit verwinkelten und heruntergekommenen Gassen. In einem Hinterhof versteckt sich zu unserer Erleichterung ein recht ordentliches, wenn auch nicht überfreundliches Hotel. Wir nehmen erstmal eine belohnende Dusche und waschen Schweiß, Staub und Stress des heutigen Tages ab. Als die Lebensgeister zurück sind, sehen wir uns noch ein bisschen im Viertel um.
Die vielen heiligen Stätten von Janakpur schaffen es nicht, dass wir noch einen Tag länger hier bleiben wollen. Am nächsten Morgen geht’s also gleich zurück auf den Mahendra-Highway und nach Hetauda. Wir kurven vorher noch eine ganze Stunde in dem unübersichtlichen Ort umher und klappern sämtliche, rostige Tanksäulen ab. Im ganzen Ort gibt es kein Benzin. Auf die überteuerten Plastikflaschen des Schwarzmarktverkäufers sind wir zum Glück noch nicht angewiesen und wir fahren auf der Rumpelpiste zurück zum Highway.
Im nächsten größeren Ort erbetteln wir vom Tankwart statt zwei jeweils drei Liter des rationierten Sprits. Mit der zehn Liter Reserve im Kanister kann eigentlich nichts schief gehen, aber trotzdem müssen wir jede Möglichkeit nutzen, wie uns die Einheimischen geraten haben. Wie wir feststellen, liegen etliche Tankstellen in Nepal tatsächlich auf dem Trockenen.

Daman: Kleiner Vorgeschmack auf die Berge

Nach einer Übernachtung im Hotel Avocado in Hetauda, in dem es keine Avocados, dafür aber das beste Chowmien unserer Reise gibt, kommen wir dem Bergleben Nepals schon näher. Von hier aus sind es noch hundertdreißig Kilometer bis nach Kathmandu, wenn man die Bergstraße Tribhuwan Rajpath nimmt, die über den Ort Daman nach Norden führt. In Daman soll bei guter Wetterlage eventuell ein Blick auf den Mount Everest möglich sein. Zur Frage über Straßenzustand, Entfernung und Fahrtdauer bei drei verschiedenen Leuten in Hetauda bekommen wir wieder mal drei völlig verschiedene Versionen zu hören. Am Ende kurven wir etwa fünfzig Kilometer und zwei Stunden mit den Mopeds bergauf nach Daman auf 2587 Meter Höhe. Die Straße ist schmal, aber im guten Zustand. Es ist kaum Verkehr unterwegs und die Fahrt macht richtig Spaß. Die Landschaft ringsum ist vom trockenen Winter zwar ziemlich ausgedörrt, aber der weite Ausblick und die rotblühenden Rhododendren wirken sehr entspannend.
Das Bergdorf Daman besteht nur aus wenigen Häusern an der Straße. Die runden, rotbäckigen Gesichter der Menschen sehen endlich nepalesisch aus. Es ist herrlich ruhig und sonnig. Der höchste Berg der Erde lässt sich allerdings nicht erblicken. Vorbei an lächelnde Rotznasen halten wir am kleinen Hotel von Manshu Sherpa an. Die ältere Frau gibt uns für 200 Rupien ein einfaches Kämmerchen im sonst leer stehenden, alten Haus. Wir fühlen uns in der rustikalen Unterkunft ohne fließendes Wasser und mit Klohäuschen draußen sofort wohl – eine authentische Bleibe. Wir öffnen die Holzfensterluken, lassen die Strahlen der Nachmittagssonne ins Zimmer und richten uns ein.
Manshus Sohn hat ein paar Minuten Fußweg entfernt eine Gaststube. Er serviert uns und einer Gruppe tibetischer Mönche das nepalesische Nationalgericht Dhal Bhat. Der Teller mit Reis, Kartoffel-Senfkraut und Linsensuppe ist in Nepal fast überall tägliches Hauptgericht. Während die Mönche ihr Mahl mit der rechten Hand gekonnt in die Münder stopfen, dürfen wir mit dem Löffel arbeiten. Zwar sind wir beim Essen mit Fingern auch schon ganz gut dabei, aber die Einheimischen sind mindestens doppelt so schnell. Abends wird der Esstisch für Manshus Enkelkinder mit einer Decke zum Sofa umfunktioniert und die Kleinen starren verträumt auf den Bollywoodfilm im Fernseher.
Wir verbringen eine gute Nacht allein im urigen Haus und beobachten nach dem Aufwachen aus dem Fenster heraus, wie zierliche Frauen bereits am frühen Morgen Riesenkörbe mit Laub und Feuerholz zu Fuß ins Dorf buckeln.Nach unserem Lieblingsfrühstück – Omelett mit oder ohne Brot – kicken wir schon wieder unsere Motorräder an und düsen abwärts ins Kathmandu-Tal davon. Vorbei an ein paar kleinen Siedlungen fahren wir gegen Mittag in die Hauptstadt des Landes ein. Die Großstadt hat uns wieder…

Basislager Kathmandu

Die Straßen Kathmandus wirken an diesem Tag irgendwie leer gefegt. Nur an den wenigen Tankstellen drängeln sich Horden von Mopedfahrern. In der Stadt wird wiedermal gestreikt – für uns ein großer Vorteil, denn wir kommen dadurch zügig an unser Ziel: das Touristenviertel Thamel, etwas nördlich vom Zentrum. In den engen und mit tausend Reklameschildern zugepflasterten Gassen Thamels landen wir bald am populären Kathmandu Guest House. Von hier aus müssen wir uns erstmal in der Unübersichtlichkeit des bunten Viertels zurechtfinden. Am nächsten Morgen ziehen wir ein paar Ecken weiter in ein kleineres Hotel mit weitaus besserem Preis-Leistungs-Verhältnis um.
Thamel ist mit Allem auf Touristen eingestellt: viele „verwestlichte“ Restaurants, sogar Bäckereien – Schilder mit „German Bakery“, Internetshops, Trekkingläden, Wäscheservices, kleine Supermärkte mit importierten Süßigkeiten aus Deutschland und Europa… Man muss nur die besten Preise suchen, denn Nepal wird für Touristen von Jahr zu Jahr teurer.
Von Kathmandu aus wollen wir in den nächsten Tagen unsere bald anstehende Rückreise über den Iran arrangieren. Wir müssen uns um Visa kümmern und die genaue Route festlegen. Solange die Visa in Arbeit sind, haben wir dann Zeit für eine mehrtägige Trekkingtour – unterwegs im Himalaja.
E-Mails und Recherchen im Internet sind leider nicht jederzeit möglich, da Kathmandu jeden Tag mehrere Stunden Stromsperre hat. Wenn wir uns nicht um organisatorische Dinge kümmern, setzen wir uns zur Entspannung mit Kuchen und Tee auf den Balkon und erleben seit Ewigkeiten mal wieder einen kräftigen Gewitterschauer. Abends wird es recht kühl in den Gassen. Obwohl wir ein stilles Zimmer haben, finden wir aus irgendwelchen Gründen keinen ruhigen Schlaf. Vielleicht sind es schon wieder die vielen Eindrücke, die regelrecht auf uns einprasseln. Kathmandu ist nämlich eine Stadt mit einer unglaublichen Vielfalt an kulturell-religiösen Schätzen – und das allein schon in der nahen Umgebung von Thamel.
Nach einer Woche im Basislager Kathmandu machen wir uns am 25. März 2009 mit jeweils einem Zwölf-Kilogramm-Rucksack auf dem Buckel auf den Weg in den Helambu nordöstlich des Kathmandu-Tals. Vor uns liegen neun Tage Bergwanderung und wir haben keine Ahnung, wie es uns dabei ergehen wird. Seit Monaten haben wir weder unsere Ausdauer trainiert noch Zeit in der Kälte und Höhe verbracht. Die Motorräder lassen wir allein am Hotel zurück. Neugierig, mit einer Landkarte, einem groben Routenplan und Müsliriegeln in der Tasche starten wir ins Trekkingabenteuer. Himalaja, wir kommen!

Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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