{"id":10105,"date":"2016-11-21T15:34:21","date_gmt":"2016-11-21T13:34:21","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=10105"},"modified":"2018-02-07T08:48:42","modified_gmt":"2018-02-07T06:48:42","slug":"nordpakistan-nagar-wagah-2016","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/nordpakistan-nagar-wagah-2016\/","title":{"rendered":"Nordpakistan: Von Nagar bis Wagah"},"content":{"rendered":"
\"Spaziergang

Im Nagar-Dorf Chalt: Spaziergang mit Nilo \u00a9 emmenreiter.de<\/p><\/div>\n

Rakaposhi: Eine Nacht vor der gl\u00e4nzenden Wand<\/h3>\n

Wir sind bereit. Motiviert, morgens, in Minapin \u2013 Ausgangspunkt unserer Tageswanderung zum Basislager des Rakaposhis. Von dort k\u00f6nnen wir ungehindert auf die wei\u00dfe, gewaltige Nordostwand dieses breiten Berges gucken. \u201eGl\u00e4nzende Wand\u201c haben ihn die Menschen in Hunza und Nagar in ihrer Sprache Burushaski getauft.
\nObwohl es noch fr\u00fch am Morgen ist, wird uns ziemlich schnell warm, als wir in Wanderschuhen bzw. Motorradstiefeln die ersten Schritte durch das Nagar-Dorf Minapin machen. Da ist Anne, die Athletin, die stundenlang \u00fcber Gott und die Welt reden kann. Und Yui aus Japan, die seit fast f\u00fcnf Jahren mit dem Rucksack umherzieht und heute Geburtstag hat. Mit Natalia aus Kolumbien, eine temperamentvolle Frau, die gerne fr\u00fch aufsteht, teile ich den selben Humor. Der wichtigste in unserer kleinen Gruppe ist allerdings Micha \u2013 derjenige mit dem gr\u00f6\u00dften Rucksack, in dem er ohne Murren die Campingausr\u00fcstung f\u00fcr uns alle schleppt. Seppo, der junge Typ von der Rezeption aus unserem Hotel in Karimabad, wird uns wegweisend begleiten \u2013 in Jeans, Turnschuhen, schwarzer Lederjacke und mit einer Plastikt\u00fcte in der Hand. Er ist sehr zur\u00fcckhaltend und sch\u00fcchtern. Aber wir werden ihn noch aus der Reserve locken.
\nGleich hinter dem Dorf beginnt der grob geschotterte Track, auf dem zwei Leute bequem nebeneinander laufen k\u00f6nnen. Von jetzt an geht es stundenlang ziemlich straff nach oben. In meinem Tagesrucksack quetschen sich sechs gro\u00dfe Flaschen Wasser, die wie Steine an meinem R\u00fccken h\u00e4ngen. Ein winziges Kalb, das erst seit kurzem auf der Welt ist, folgt uns auf seinen hohen, d\u00fcnnen Beinchen. Es m\u00f6chte in seinem angeborenen Herdentrieb unbedingt bei uns mitlaufen und l\u00e4sst sich nicht absch\u00fctteln. Seppo muss es ins Dorf zur\u00fccktragen und schnell von ihm davonlaufen.
\nDer Wanderweg windet sich in Serpentinen nach oben und wir k\u00f6nnen bald tief atmend auf Minapin hinunterschauen. Zweimal k\u00fcrzt Seppo den steilen Weg durch einen noch steileren ab. Dann m\u00fcssen wir am Hang zwischen Sand und Steinen mit weichen Knien entlang krabbeln. Sobald B\u00fcsche oder Felsen etwas Schatten spenden, halten wir kurz an und verschnaufen. Die T-Shirts sind staubig und verschwitzt. „Wie lange noch, Seppo?“ frage ich nach etwa drei Stunden. „In zehn Minuten k\u00f6nnt ihr Tee trinken an einer H\u00fctte,“ verspricht er uns l\u00e4chelnd. Eine Teeh\u00fctte? In dieser Gegend? In meiner Fantasie blitzt sofort ein schattiges Pl\u00e4tzchen zum Verweilen auf \u2013 mit kleinen Snacks und k\u00fchlen Getr\u00e4nken. Allerdings ziehen sich Seppos zehn Minuten in die L\u00e4nge. Unsere Truppe l\u00e4uft, schwitzt und l\u00e4uft. Jeder fragt sich, ob Seppo einen Witz gemacht hat. Irgendwann erblicken wir dann endlich die alte Sch\u00e4ferh\u00fctte aus Feldsteinen mit einem provisorischen Dach aus roter Plane. Zwei junge M\u00e4nner haben hier tats\u00e4chlich eine kleine Kochstelle eingerichtet und bringen uns ein Tablett mit s\u00fc\u00dfem Tschai nach drau\u00dfen. Ich lasse mich auf den Rasen plumpsen und lausche der kleinen Quelle, aus der frisches Bergwasser sprudelt. Mein Bauch tut weh und meine Beine sind schwer. Micha und Anne f\u00fcllen unsere Wasserflaschen auf \u2013 es ist die letzte Gelegenheit daf\u00fcr.
\nVon der H\u00fctte sind es noch zwei, drei Stunden bis zum Basislager. Wer wei\u00df das schon genau. Seppo nimmt mir zum Gl\u00fcck meinen Rucksack ab. „Was ist da drin?!“ wundert er sich \u00fcber das Gewicht. Ich bin echt erleichtert, denn ab jetzt ist der Weg schmal und noch steiler. Unsere Karawane, die sichtlich erm\u00fcdet noch zwei Stunden daher stapft, erwacht pl\u00f6tzlich, als wir oben an einem langen Bergkamm auf die andere Seite hinab schauen. Vor uns breitet sich ein gewaltiger, eisgespickter Gletscher aus. Der Anblick nimmt einem die Luft weg.
\nDie Sonne steht schon tief und k\u00fchler Wind hat unsere T-Shirts trocken geblasen. Alle frieren und ziehen schnell ihre Jacken und M\u00fctzen \u00fcber. Auf dem letzten St\u00fcck bis zur Ankunft am Basislager ist der Trampelpfad entlang am Berg so schmal, dass mir unweigerlich der Gedanke kommt, wie nah wir der Gefahr sind, f\u00fcr immer am Rakaposhi zu verschwinden. Das ist n\u00e4mlich das wahre Risiko Pakistans: ein kurzer Fehltritt und das war`s. Allerdings wirkt keiner aus der Truppe, die Seppo im G\u00e4nsemarsch folgt, z\u00f6gerlich. Bin ich echt die einzige, die gerade die Trekkinghosen voll hat? Ohne etwas zu sagen gehe ich vorsichtig und dem\u00fctig hinterher. Ich glaube, alle von uns m\u00f6chten ihren Rucksack einfach nur noch auf die abgegraste Weidefl\u00e4che des 3.200 Meter hoch gelegenen Basislagers fallen lassen, etwas warmes essen und in den Schlafsack krabbeln. Nach sieben Stunden bauen wir endlich unsere Zelte auf.
\nAls alle im Schlafsack liegen, scheint der runde Mond wie eine Laterne auf unser Camp und auf die „Gl\u00e4nzende Wand“. Drau\u00dfen rascheln K\u00fche auf der Suche nach Essensresten um die Zelte herum. Micha bekommt nichts davon mit. Meine Nacht ist dagegen sehr bescheiden. Mein Bauch ist immer noch verkrampft und ich will einfach nicht m\u00fcde werden, trotz der anstrengenden Wanderung. Das muss an der H\u00f6he liegen. „Guten Morgen, seid ihr wach?“ h\u00f6re ich Anne fr\u00fch um f\u00fcnf von drau\u00dfen durch unsere Zeltwand fl\u00fcstern. Wir hatten am Abend verabredet, alle gemeinsam den Sonnenaufgang zu beobachten. In s\u00e4mtliche verf\u00fcgbare Klamotten eingemummelt geht’s nun im Dunkeln auf den kleinen Bergkamm hinauf, der das Basislager vom Gletscher trennt. Nach einer Weile beginnt das Naturschauspiel: Die versteckte Morgensonne, die wir hinter den Bergen nur erahnen k\u00f6nnen, l\u00e4sst pl\u00f6tzlich die Spitze des schneebedeckten Rakaposhis in kr\u00e4ftigem Gelb aufleuchten. In wenigen Augenblicken schiebt sich das warme Licht wie eine Decke \u00fcber den Bergriesen. Ich reibe meine eiskalten H\u00e4nde und hauche meinen Atem in die klare Luft. Bald schaffen es die Strahlen der Sonne \u00fcber die Berge und w\u00e4rmen unsere immer noch verschlafenen Gesichter. Wir erleben hautnah, wie der weite Gletscher nach und nach aus dem Schatten auftaucht. Sein Eis knackt und das Ger\u00e4usch breitet sich in der Bergwelt aus. Oben am Gipfel des Rakaposhis bricht im Sonnenlicht eine gewaltige Lawine herunter und wirbelt den Schnee wie feines Puder auf. Guten Morgen in Nordpakistan!<\/p>\n\n\n\n \t\t\n\t\t\t\t