{"id":1370,"date":"2008-06-02T13:41:21","date_gmt":"2008-06-02T11:41:21","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=1370"},"modified":"2016-12-16T07:55:07","modified_gmt":"2016-12-16T05:55:07","slug":"rumaenien-stillstand-und-moderne","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/rumaenien-stillstand-und-moderne\/","title":{"rendered":"Rum\u00e4nien: Stillstand und Moderne"},"content":{"rendered":"
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Wir befahren Rum\u00e4nien \u00fcber die ungarische Grenzstadt Chisineu-Chris. Als wir noch einen Tankstopp einlegen, schnappt sich der junge Tankwart sein Handy, um seinen Bruder anzurufen. Pl\u00f6tzlich kommt dieser stolz mit seiner gut gepflegten MZ ETZ 250 um die Ecke. Er guckt sich unsere Umbauten genauestens an und w\u00fcrde am liebsten mitfahren. Wir legen unsere Tagesroute entlang einer Nebenstra\u00dfe \u00fcber Ineu und Sebis fest. Auf den gut ausgebauten Europastra\u00dfen k\u00e4men wir zwar besser voran, aber die Fahrt auf der E68 ist einfach nur schrecklich: ein stinkender, rasender LKW-Korso und etliche Baustellen statt entspannter Fahrt durchs Land. Ich f\u00fchle mich total bedr\u00e4ngt, zumal ich mich immer noch auf das Fahren mit Gep\u00e4ck und \u00dcberbreite gew\u00f6hnen muss. Mit einer H\u00f6chstgeschwindigkeit von 90 kmh stelle ich auf der Fernstra\u00dfe ein Hindernis dar und habe st\u00e4ndig einen Dr\u00e4ngler im R\u00fcckspiegel. Auf den Nebenstra\u00dfen schl\u00e4ngeln wir dagegen gem\u00fctlich durch die rum\u00e4nischen D\u00f6rfer, immer ein konzentrierter Blick auf den Flickenasphalt, damit die Schlagl\u00f6cher uns nicht aus der vertr\u00e4umten Fahrt rei\u00dfen. Die Menschen pfeifen und lachen uns zu. Auf den sonnigen Feldern sind ganze Familien mit Pferdewagen und Hacke bei der Arbeit; die M\u00e4nner mit freiem Oberk\u00f6rper, die Frauen im Kleid und Kopftuch. Mich erinnert das an alte Geschichten meiner Oma. Hier ist \u2013 im Gegensatz zu den St\u00e4dten mit s\u00e4mtlichen deutschen Superm\u00e4rkten \u2013 die Zeit stehen geblieben. Wir als Beobachter genie\u00dfen die Romantik, gleichzeitig ahnend, wie hart das reale Landleben sein muss.
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Es sind 30 Grad und wir sind nach ein paar Stunden im Sattel schon wieder fix und fertig. Als wir durch eine saftgr\u00fcne H\u00fcgellandschaft fahren, \u00fcber die die Bauern gerade ihre K\u00fche zur\u00fcck ins Dorf treiben, halten wir an, um nach einer M\u00f6glichkeit zum Campen zu fragen. Wir sind im kleinen Dorf Avram Iancu angekommen. Georgia, der hier ein S\u00e4gewerk und eine Holzwerkstatt betreibt, guckt erst sch\u00fcchtern \u00fcbers Tor, als wir vor seinem Haus anhalten und weist uns gleich darauf mit seiner Hand und einem L\u00e4cheln den Weg auf sein Geh\u00f6ft. Er l\u00e4dt uns herzlich ein, zu bleiben. Wir sind froh und trinken mit ihm auf seiner selbst gebauten Holzschaukelbank am Fischteich entspannt ein Becks und verst\u00e4ndigen uns mit Gestiken und dem Bildw\u00f6rterbuch. Als wir sein Vertrauen gewonnen haben, zeigt er uns stolz das Gel\u00e4nde und sein gro\u00dfes, frisch renoviertes Wohnhaus mit drei B\u00e4dern, das frisch nach Parkett riecht. Es ist neu m\u00f6bliert, aber unbewohnt; er selbst und seine Frau leben im kleineren Bauernhaus auf der anderen Seite des Firmengel\u00e4ndes. Die beiden T\u00f6chter studieren in Abrud und wohnen nicht mehr zuhause. Wir haben nun also das gro\u00dfe Haus f\u00fcr uns allein und schlafen bereits in der D\u00e4mmerung im Doppelbett gl\u00fccklich ein. Am n\u00e4chsten Morgen bekommen wir noch Besuch von einer Frau aus dem Dorf, die sich ein bisschen mit uns auf Deutsch unterhalten m\u00f6chte. Der Besuch aus Deutschland hat sich herumgesprochen, nachdem wir am Vorabend im Dorfladen (Magazin) Bier und was zu Essen eingekauft hatten. Viele der Rum\u00e4nen, die wir treffen, sprechen unsere Sprache. Ihre Vorfahren geh\u00f6ren zu den deutschen Einsiedlern, von denen der gr\u00f6\u00dfte Teil mit dem Fall der Mauer wieder zur\u00fcck nach Deutschland auswanderte.<\/p>\n
Wir \u00fcbernachten am 28. Mai auf dem Zeltplatz auf einem H\u00fcgel am kleinen Salzsee bei Sibiu (Hermannstadt). Das Gel\u00e4nde sieht von hier oben wie eine mit Bierg\u00e4rten belagerte Baggerlandschaft aus. Wir ziehen die schwere Motorradkluft aus und machen uns unter den Freiluftduschen frisch. Jeder der Bierg\u00e4rten spielt laut die eigene, nervige Musik, obwohl kaum G\u00e4ste da sind. Als wir nach ein paar Zeilen aus den mitgenommenen Motorradzeitschriftberichten endlich eingeschlafen sind, werden wir in der Nacht durch das Gebell der obdachlosen Hunde geweckt, das mindestens eine halbe Stunde ununterbrochen \u00fcber den See hallt. Am n\u00e4chsten Morgen begr\u00fc\u00dfen uns andere Reisende aus Kalifornien und Ulm, mit denen wir uns kurz unterhalten.<\/p>\n
Kilometerstand 3113 km (Start: 1111 km). Etwa 200 Kilometer vor Bulgarien g\u00f6nnen wir uns endlich zwei, drei Tage ohne Sachenpacken und Weiterfahren. Auf dem fast leeren Darste Campingplatz in Bra\u0219ov mieten wir uns am Mittwochabend nach 6 Stunden Fahrt und geschafften 200 Kilometern einschlie\u00dflich Serpentinen durch die Berge und einer Irrfahrt durch die Stadt f\u00fcr 15 Euro pro Nacht eine Finnh\u00fctte. Den n\u00e4chsten Tag nehmen wir uns Zeit zum W\u00e4schewaschen, f\u00fcr die Motorradwartung (Michas MZ verbraucht zu viel Sprit), zum Bloggen und nat\u00fcrlich f\u00fcr die Stadt. Hier sitzen wir drau\u00dfen im Stra\u00dfenrestaurant in der Innenstadt und nutzen wieder mal freien WLAN-Zugang.
\nAls wir in Rum\u00e4nien sind, steht das Land kurz vor den Kommunalwahlen am 1. Juni. Die Parteien in gr\u00fcn, gelb und orange geben noch mal alles und fahren hei\u00dfe Gesch\u00fctze auf: In Brasov f\u00e4hrt ein Techno-LKW mit tanzenden, hei\u00dfen M\u00e4dels auf der offenen Ladefl\u00e4che vor uns durch die Stra\u00dfen. In der Altstadt beschallt die Gegenpartei mit Clubmusik aus Riesenboxen den kompletten Marktplatz. Die Sonne scheint und wir gucken am\u00fcsiert den alten Leuten in Shirts ihrer Partei zu, die \u00fcberhaupt nicht zum jungen Sound passen, aber v\u00f6llig entspannt auf dem Platz zusammengekommen sind. Die ganze Stadt ist in den Farben ihrer Partei unterwegs und alle machen Wahlkampf in den letzten Z\u00fcgen.<\/p>\n
Beim Fr\u00fchst\u00fcck stellen wir fest, dass sich bei uns Beiden immer noch keine innere Ruhe eingestellt hat. Der Luxusgedanke, dass uns ein ganzes Jahr Auszeit bevorsteht, ist immer noch nicht richtig durchgedrungen. Vielleicht, wenn wir in ein paar Tagen Istanbul erreicht und dort pausiert haben, bevor wir Europa hinter uns lassen? Immerhin hat sich so langsam eine Art Arbeitsteilung bei allen Dingen eingestellt. Mit den MZ kommen wir auch gut zurecht. Wir telefonieren noch jeden Tag nach Deutschland, um unseren neuen Standpunkt durchzugeben. Das Garmin-GPS haben wir \u00fcbrigens immer noch nicht (und auch keine Lust mehr auf bl\u00f6de Ausreden am Telefon). F\u00fcr gute Fotos und den richtigen Umgang mit der Kamera hatten wir bisher leider kaum Zeit. Den Kocher lassen wir auch meistens noch im Koffer, weil wir abends zu m\u00fcde\/faul zum Essen machen sind. Die Schlafausr\u00fcstung bew\u00e4hrt sich bestens. Andere Gegenst\u00e4nde befinden sich nat\u00fcrlich noch im Test.<\/p>\n
„Ahhh! Emm Se!“ … Wir hatten es vermutet und merken schon nach zwei Wochen unserer Reise: Mit den alten MZ-Motorr\u00e4dern haben wir die Sympathie auf unserer Seite. Ob bei der Verabschiedung in unserer Heimat, beim Zwischenstopp in Tchechien, bei den Slowaken, in Ungarn, den rum\u00e4nischen Karpaten oder an der Schwarzmeerk\u00fcste in Bulgarien: die Emmen erregen Aufsehen. Oft sprechen uns junge und alte M\u00e4nner direkt auf die Motorr\u00e4der an und so finden wir \u00fcber nur zwei Buchstaben schnell Kontakt zu den Leuten: \u201eEmm Se (MZ), good Maschina!\u201c Als (Motorrad)Reisende wird uns w\u00e4hrend der Fahrt oft zugewunken, zugelacht, gehupt oder alles gleichzeitig. In Brasov in Rum\u00e4nien werden wir sogar gefilmt.
\nOft bemerken die Leute erst beim zweiten Hingucken, dass es sich um ein Motorrad handelt, dass sie selbst noch aus alten Zeiten kennen, in denen ihr Heimatland und die DDR noch sozialistische Bruderstaaten waren. Bei der Abreise vom Restauranthof in Ungarn kam der eher reservierte Gastwirt regelrecht herausgest\u00fcrmt, als er die vertrauten Kl\u00e4nge (oder war es doch der Geruch) h\u00f6rte. Er strahlte uns aus der blauen Dunstwolke an wie ein kleiner Junge, hielt beide Daumen nach oben und w\u00fcnschte uns im Vorbeifahren eine gute Reise.
\nAuch Vasili vom Zeltplatz nahe Sibiu hatte fr\u00fcher selbst eine MZ 175er ES. Leider war die Ersatzteilversorgung in Rum\u00e4nien bescheiden und so wurde oft improvisiert. Bei seinem Zschopauer Eisenschwein musste bspw. ein Trabikolben als Ersatzteil herhalten \u2013 mit dem Nebeneffekt, dass seine MZ nun mehr 300 ccm Hubraum hatte, erz\u00e4hlte er uns grinsend. Ein paar hundert Kilometer weiter in Ploiestri hielt ein roter VW neben uns. Der Fahrer guckt auf die beladenen Emmen und fragt erstaunt: \u201eYou are Globetrotter?\u201c Als wir beide nicken, erz\u00e4hlt er uns, dass er selbst Motorrad f\u00e4hrt, heute eine Yamaha, und als Mechaniker arbeitet. Aus Zeitgr\u00fcnden sei er leider nur ein \u201eSunday Biker\u201c. Als wir unsere geplante Reiseroute zeigten, konnte er es kaum glauben: \u201eI have no words!\u201c Nach kurzem Fachsimpeln mit H\u00e4nden, F\u00fc\u00dfen und ein paar Brocken Englisch verabschieden wir uns. F\u00fcr den Fall, dass wir Hilfe brauchen, dr\u00fcckt er uns noch schnell einen Zettel mit seiner Adresse und Telefonnummer in die Hand.<\/p>\n
Reise-Abenteuer: Von der Haust\u00fcr zum Himalaja und zur\u00fcck Blo\u00df nicht die E68 Wir befahren Rum\u00e4nien \u00fcber die ungarische Grenzstadt Chisineu-Chris. Als wir noch einen Tankstopp einlegen, schnappt sich der junge Tankwart sein Handy, um seinen Bruder anzurufen. Pl\u00f6tzlich kommt dieser stolz mit seiner gut gepflegten MZ ETZ 250 um die Ecke. Er guckt sich unsere Umbauten genauestens an und w\u00fcrde am liebsten mitfahren.…<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":3636,"parent":0,"menu_order":0,"comment_status":"closed","ping_status":"open","template":"","meta":{"ngg_post_thumbnail":0,"_links_to":"","_links_to_target":""},"tags":[383],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/1370"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=1370"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/1370\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/3636"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=1370"}],"wp:term":[{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=1370"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}
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