{"id":13874,"date":"2017-06-04T12:17:01","date_gmt":"2017-06-04T10:17:01","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=13874"},"modified":"2019-02-13T09:46:07","modified_gmt":"2019-02-13T07:46:07","slug":"nepal-manaslu-trekking-teil2","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/nepal-manaslu-trekking-teil2\/","title":{"rendered":"Nepal: In Motorradstiefeln um den Manaslu (2\/2)"},"content":{"rendered":"
< zum ersten Teil<\/strong><\/a><\/p>\n\n 12. April 2017 \u2013 der neunte Wandertag. „Ab jetzt nur noch Lunch-Camp“, freut sich unser Bergf\u00fchrer Bhim. Damit meint er, dass wir bis zum Ende der Manaslu-Runde jeden Tag nur noch bis mittags unterwegs sind. Das hei\u00dft allerdings auch, dass wir weniger Pausen machen werden. Denn: „Many Pausi, many cold!“, l\u00e4chelt Bhim. 14. April 2017. Happy New Year! Heute beginnt das nepalesische Neujahr 2074. Ich nehme unsere steifgefrorenen Socken von der W\u00e4scheleine und lege sie in die w\u00e4rmende Morgensonne, solange wir fr\u00fchst\u00fccken gehen. Wir f\u00fchlen uns fit und bis mittags steigen wir an einem t\u00fcrkisblauen Gletschersee vorbei nach Samdo auf. Das kleine Tibeterdorf (3.875 m hoch) ist noch sehr urspr\u00fcnglich. Statt knallblauer Wellblechd\u00e4cher decken schwere, dunkelgraue Steinplatten die H\u00e4user ab, in denen die Menschen dicht bei ihren Tieren leben. Nicht alle Bewohner bleiben den strengen Winter \u00fcber im Dorf. Sie kehren erst jetzt im Fr\u00fchjahr mit beladenen Pferden und Maultieren \u00fcber den Larke-Pass aus tieferen Ebenen zur\u00fcck. Am Ostersonntag brechen wir nach Daramshala auf \u2013 ein einfaches Camp auf 4.460 Metern, von dem aus wir \u00fcbermorgen den Larke-Pass angehen. Wir sind heute nur drei Stunden lang unterwegs, aber in dieser H\u00f6he bin ich schnell au\u00dfer Atem. Das Herz boxt regelrecht gegen die Brust , aber es beruhigt sich auch schnell wieder, sobald ich eine kurze Verschnaufpause einlege.
\n<\/strong><\/p>\nSamagaun: Tibeter-Olympiade vor dem wei\u00dfen Riesen<\/h3>\n
\nUm halb zw\u00f6lf haben wir heute bereits Samagaun (3.520 m) erreicht. Der Ort liegt am Ende einer weiten Hochebene. Mit jeder Stunde umh\u00fcllen immer mehr Wolken die Spitze des Manaslus, bis er an diesem Nachmittag ganz und gar hinter einem kalten Nebelvorhang verschwunden ist. Damit wir uns besser an die H\u00f6henluft anpassen, werden wir zwei N\u00e4chte in Samagaun bleiben. Am n\u00e4chsten Tag brechen wir zu einem Ausflug zum Pungen Gompa auf. Das abgeschiedene, tibetische Bergkloster versteckt sich auf 4.120 Metern in Richtung Manaslu und ist umringt von imposanten, schneewei\u00dfen Gebirgsketten. Bhim ist ebenfalls noch nie dort gewesen. Als wir zu dritt an Murmeltieren, Blauschafen und Yaks vorbei \u00fcber das flache Gras einer Hochalm dem Kloster entgegenlaufen, h\u00f6ren wir ein neues deutsches Wort aus Bhims Mund: „Waaaahnsinn!“ Die Ostseite des Manaslus schl\u00e4gt in voller Pracht vor uns auf. Wir sind dem Achttausender so nah, dass der Weg zum Gipfel nicht so weit erscheint \u00ad\u2013 dabei liegt er immer noch 4.000 H\u00f6henmeter \u00fcber uns.
\nAls wir am fr\u00fchen Nachmittag wieder nach Samagaun absteigen, haben sich die Menschen aus den umliegenden D\u00f6rfern auf der Weide zu einem Fest versammelt. Die M\u00e4nner haben ihre stumpfen Fellm\u00e4ntel gegen schimmernde Umh\u00e4nge getauscht und tragen farbenpr\u00e4chtige, schm\u00fcckende G\u00fcrtel und M\u00fctzen. Sie sitzen in einem weiten Kreis auf dem Gras. Ihre Frauen und Kinder sitzen etwas abseits ebenfalls auf der Erde und beobachten die traditionellen Wettk\u00e4mpfe, die gleich starten werden: Bogenschie\u00dfen, Tauziehen und Pferderennen. Wir hocken uns mit an den Rand und m\u00fcssen aufpassen, dass wir nicht zu nah an die Schusslinie der langen Pfeile geraten. Die Sonne ist schon eine Weile im grauen Himmel verschwunden und durchgefroren, noch bevor der wilde Pferdewettlauf losgeht, laufen wir vom Tibeterfest zur Lodge zur\u00fcck.<\/p>\nNeuschnee in Samdo<\/h3>\n
\nBhim besorgt einen Eimer hei\u00dfes Wasser aus der K\u00fcche und Micha und ich nehmen nacheinander im engen, niedrigen Kloh\u00e4uschen eine schnelle „Dusche“ \u00fcber der Hocktoilette. Durch die scheibenlose Fensterluke weht die kalte Luft auf meine nasse Haut und bibbernd rubbel ich mich so schnell es geht trocken. Jetzt noch z\u00fcgig die lange Unterw\u00e4sche \u00fcberstreifen, ohne das etwas ins Hockklo f\u00e4llt, und raus hier.
\nMir ist nachmittags etwas \u00fcbel von der H\u00f6he und wir ziehen uns mit einer gro\u00dfen Thermoskanne hei\u00dfen Zitronentee in die winzige Schlafkammer zur\u00fcck. Die Nachmittagswolken t\u00fcrmen sich heute viel st\u00e4rker auf als sonst. Beide Teebecher dampfen und wir beobachten vom Schlafsack aus, wie das Bergwetter vor unserem Fenster immer ungem\u00fctlicher wird. Der Wind pustet durch die Ritzen am Holzfensterrahmen herein. Pl\u00f6tzlich klatschen feuchte, dicke Schneeflocken gegen die Scheibe. Das Yak da drau\u00dfen am Hang sucht weiterhin v\u00f6llig unbeeindruckt nach Gras, w\u00e4hrend der Schnee auf sein schwarzes, dickes Fell weht. Meine Nasenspitze ist ganz kalt. Obwohl es in unserer Kammer kaum w\u00e4rmer ist als drau\u00dfen, macht sich ein uriges Gef\u00fchl von Geborgenheit breit.
\nNach dem Abendessen \u2013 Bratkartoffeln mit Yakk\u00e4se bestreut \u2013 huschen wir schnell zur\u00fcck auf die schmalen Betten und schlafen bald ein. Bhim verbringt den Abend wie immer mit den Bergf\u00fchrern anderer Wanderer, die sich in der Lodge meistens auch ein Zimmer teilen.
\nWir m\u00fcssen diese Nacht viel \u00f6fter zum Pinkeln raus, als uns lieb ist \u2013 ein ganz normales Ph\u00e4nomen im Hochgebirge. Genau wie die Schlafst\u00f6rung, unter der Micha jetzt leidet. Er kommt fast gar nicht zur Ruhe und steht f\u00fcnfmal mit der Taschenlampe auf.
\nDie aufgehende Sonne schiebt sich endlich langsam \u00fcber die Berge und bald hebt sich eine strahlend wei\u00dfe Winterlandschaft vor einem knallblauen Himalajahimmel ab. Ich laufe in Badelatschen durch den angefrorenen Neuschnee zur Toilette. Eiszapfen h\u00e4ngen vom \u00dcberdach herunter und sogar auf der W\u00e4scheleine balanciert eine Schicht Schnee. Die schwarzen Yakherden des Dorfes heben sich wundersch\u00f6n von dieser verwandelten, windstillen Landschaft ab.
\nDie Bergsonne wird schnell kr\u00e4ftiger und bald tropft es \u00fcberall von den Steind\u00e4chern. Bis zum fr\u00fchen Nachmittag hat sich fast das ganze Wei\u00df in der Sonne aufgel\u00f6st. Zusammen mit Ursula und Marc, die genau wie wir erst morgen weiterwandern, setzen wir uns mit einer Schachtel Buntstifte nach drau\u00dfen und malen gekochte Eier an. Morgen ist Ostersonntag. Und au\u00dferdem sind wir dann genau ein Jahr lang<\/a> im bunten Asien unterwegs.
\n\nH\u00f6henrausch: Im Mondschein zum Larke-Pass<\/h3>\n
\nIn Daramshala haben wir die Wahl, im Zelt oder in einer Felssteinkammer zu \u00fcbernachten, die einem kleinen Viehstall gleicht, in den man drei Pritschen gestellt hat. Wir entscheiden uns f\u00fcr letzteres. Ich muss wieder einmal gegen \u00dcbelkeit ank\u00e4mpfen, bis sich mein K\u00f6rper an die neue H\u00f6he gew\u00f6hnt hat. Wir \u00fcberbr\u00fccken die Zeit bis zum Abend mit W\u00fcrfelspielen. Andere Wanderer, die mit uns im Camp sind, sitzen mit B\u00fcchern in der Sonne oder laufen derweil zur besseren Akklimatisierung auf die umliegenden H\u00fcgel hinauf. Irgendwann f\u00fchle ich mich besser. Gleichzeitig steigt die Aufregung. Heute Nacht um drei Uhr wird der Wecker klingeln. Um vier laufen wir los, hat Bhim gesagt. Hoffentlich spielt das Wetter mit und wir haben einen freien Blick auf die Berge, wenn wir am Pass ankommen.
\nEs ist duster und arschkalt, als wir aufstehen m\u00fcssen. Unsere K\u00f6pfe sind sofort wach, aber unsere K\u00f6rper wollen noch schlafen und wir sp\u00fcren beide ein flaues Gef\u00fchl im Bauch. Im Licht der Taschenlampe packen wir die Sachen zusammen, versuchen dann, noch etwas zu fr\u00fchst\u00fccken und los geht\u2019s. Ein paar Wanderer sind schon vorgegangen und ihre Stirnlampen bewegen sich in der Dunkelheit langsam aufw\u00e4rts. Wir knipsen ebenfalls die Lampen an und sind froh, dass der Mond zus\u00e4tzlich etwas Licht spendet.
\nBhim hat diesmal seine Winterjacke, Winterhose und Halbstiefel angezogen. Motiviert l\u00e4uft er voraus. Etwas zu schnell, wie ich finde. Der Anstieg hat es anfangs in sich und mir bleibt sofort die Puste weg. Man sagt, ein Berg erscheint Menschen dann besonders steil, wenn sie m\u00fcde sind, einen schweren Rucksack tragen oder Angst haben.
\nHinter uns \u00e4ndert der Himmel allm\u00e4hlich seine Farbe von schwarz zu blau. Das ist ein sch\u00f6ner Anblick und ein sch\u00f6nes Gef\u00fchl. Bald wird die Sonne aufgehen. Wir laufen weiter und kommen langsam in den richtigen Rhythmus. Micha f\u00fchlt sich gut. Mir dagegen ist schwindelig und ich f\u00fchle mich betrunken. Wir laufen \u00fcber mehrere Schneefelder, aber die Steigung und der Weg sind jetzt angenehmer. Beim Larke-Pass handelt es sich n\u00e4mlich nicht um eine Spitze, sondern um eine Ebene, der man stetig entgegenl\u00e4uft. Es ist etwa halb acht, als wir auf einmal an Gebetsfahnen vorbeikommen. Sind wir oben? Bhim, der vorangegangen ist, hat seinen Rucksack abgesetzt und winkt uns entgegen. \u201eWir sind am Pass \u2013 da steht das Schild!\u201c sage ich erleichtert zu Micha. Die Sonne scheint l\u00e4ngst grell und pr\u00e4sentiert die schneewei\u00dfen Himalajagipfel ringsum in perfektem Licht. Eisige Windb\u00f6en zerren an den bunten Gebetsfahnen. Wir drei schie\u00dfen unsere verdienten \u201eGipfelfotos\u201c und nehmen einen k\u00f6stlichen Schluck von dem einheimischen Rum, den Bhim aus seiner Jackentasche hervorgezaubert hat. Mir ist immer noch etwas schwindelig, aber jetzt f\u00fchlt es sich gut an. \u201eLet`s go!\u201c fordert uns Bhim zum Abstieg auf \u2013 und der hat es in sich.
\nEin steiler, steiniger Pfad schl\u00e4ngelt sich weit nach unten. Schnee und Eis machen die Sache stellenweise sehr rutschig. Mir ist nicht wohl dabei und ich muss an die leichten Steigeisen denken, nach denen uns Madan in Kathmandu gefragt hatte. Aus dem Tal steigt heute au\u00dferdem eine Karawane zum Pass auf. Der Trampelpfad ist schmal und wir m\u00fcssen zusehen, dass wir den beladenen Pferden rechtzeitig Platz machen. Eines der Pferde f\u00e4ngt trotzdem an zu scheuen und fl\u00fcchtet vor uns auf den verschneiten Berghang. Bhim wird hektisch und fordert uns auf, weiter zu klettern. Er hat Angst, das Pferd k\u00f6nnte jeden Moment an uns vorbei abst\u00fcrzen.
\nIrgendwann haben wir den rutschigen Teil des Abstiegs geschafft. Danach laufen wir stundenlang \u00fcber steinige Wege nach unten. Am fr\u00fchen Nachmittag, als meine kraftlosen Beine vom endlosen Bergab nur noch dahin stolpern, erblicken wir endlich die D\u00e4cher von Bhimtang. Wir lassen an der ersten Lodge, die wir passieren, unsere Rucks\u00e4cke fallen. Marc und Ursula sind kurz vor uns eingetroffen und nun sitzen wir gemeinsam da und genie\u00dfen das zufriedene Gef\u00fchl, es geschafft zu haben. Ich zerre an meinen Stiefeln und Socken und befreie endlich meine F\u00fc\u00dfe. Nach einer flie\u00dfenden, hei\u00dfen \u2013 ja, einer hei\u00dfen \u2013 Dusche fallen wir gel\u00e4hmt in einen wenig erholsamen Mittagsschlaf. Wir sind heute etwa 1.500 H\u00f6henmeter abw\u00e4rts gelaufen und an diesen Unterschied muss sich der K\u00f6rper auch erst zur\u00fcck gew\u00f6hnen. Nachts haben wir gl\u00fccklicherweise den besten Schlaf, den man sich vorstellen kann, und nach dem Fr\u00fchst\u00fcck setzen wir die Manaslu-Runde munter fort. Ab jetzt geht es nur noch bergab.
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