{"id":1649,"date":"2008-10-05T21:28:23","date_gmt":"2008-10-05T19:28:23","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=1649"},"modified":"2016-12-16T07:43:43","modified_gmt":"2016-12-16T05:43:43","slug":"nordpakistan-friedliche-doerfer-im-herbst","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/nordpakistan-friedliche-doerfer-im-herbst\/","title":{"rendered":"Nordpakistan: Friedliche D\u00f6rfer im Herbst"},"content":{"rendered":"
Malerisch: Blick aufs Hunzatal, Nordpakistan 2008 \u00a9 emmenreiter.de<\/p><\/div>\n
Wir sind in Hunza \u2013 eine unglaublich sch\u00f6ne Bergregion im Norden Pakistans, in der vor vielen, vielen Jahren das Polospiel erfunden wurde. Das behaupten zumindest die Hunzeraner. Wir bleiben als erstes eine Woche im Zweitausend-Seelen-Dorf Gulmit. Schnell merken wir: Hunza ist wohl die spektakul\u00e4rste Entdeckung unserer Reise. Pakistan bleibt nicht l\u00e4nger nur ein Transitland auf unserem Weg nach Indien, sondern hier werden wir ein Weilchen bleiben.
\nIn Nordpakistan haben sich Menschen unterschiedlichen Ursprungs angesiedelt: Tadschiken, Chinesen, Kirgisen\u2026 Der Einfluss verschiedener Gewohnheiten ist heute unverkennbar: bei der Religion, dem Essen, in der Sprache, in den H\u00e4usern. Die Menschen im Norden haben eine besondere Mentalit\u00e4t. Sie sind neugierig und sehr offenherzig gegen\u00fcber Reisenden entlang des Karakorum-Highways, die ihnen neue Impulse geben. Reden und Ideen austauschen, das eigene Dasein neu betrachten \u2013 Pakistaner in Hunza haben eine positive Einstellung zum Leben.
\nDie Frauen in Gulmit sind kaum verschleiert, sie schlendern fr\u00f6hlich und entspannt durchs Dorf. Jeder hier begr\u00fc\u00dft uns mit einem L\u00e4cheln und auf Englisch \u2013 egal, ob Jung oder Alt. Wir werfen einen gespannten Blick in die moderne Schule. Nazir Ahmed Bulbut, der Direktor der ismaelischen Al-Amyn School, hat erreicht, dass heute die H\u00e4lfte seiner 350 Sch\u00fcler M\u00e4dchen sind. Er l\u00e4sst f\u00fcnf F\u00e4cher in Englisch unterrichten, ein neues Schulmodell in Pakistan. Die moderne Bildung aller Kinder ist seiner Ansicht nach der Schl\u00fcssel f\u00fcr eine offene, tolerante Sichtweise und gute Zukunft in der globalisierten Welt. Wir freuen uns \u00fcber solche Worte und w\u00fcnschen ihm viel Erfolg.
\nIn Gulmit ist bereits Nebensaison, obwohl September und Oktober die sch\u00f6nsten Monate zum Reisen sind: das Laub der B\u00e4ume in den T\u00e4lern f\u00e4rbt sich, das Wetter ist meistens klar und angenehm. Wir sind fast die einzigen G\u00e4ste im kleinen Hotel mit dem gro\u00dfen Namen \u201cGulmit Continental\u201d, das Zahir, erst 22 Jahre alt, geh\u00f6rt. Er hat gen\u00fcgend Zeit, sich aufmerksam um uns zu k\u00fcmmern. Er macht uns das Fr\u00fchst\u00fcck und zeigt uns danach sein Heimatdorf. Zweimal nimmt er uns mit auf eine herausfordernde Tour durch die umliegenden Berge, \u00fcber die beiden gro\u00dfen Gletscher und am Borit-Lake vorbei. Er springt wie eine junge Bergziege \u00fcber die Steine \u2013 unm\u00f6glich f\u00fcr uns Flachtiroler, ihm dicht zu folgen. Stolz zeigt er dabei mit seinem Finger auf die teilweise \u00fcber siebentausend Meter hohen Gipfel, deren Namen wir nicht behalten k\u00f6nnen. Auf den steilen Schiefersteinpfaden bleibt uns die d\u00fcnne Luft weg, da ist Zahir schon nicht mehr zu sehen. Ein echter Bergjunge eben. Zum Abschluss zwingt er uns zu einem fast lebensbedrohlichen Abstieg am felsig-sandigen Talabhang (sozusagen tiefschwarze Piste). Und dann ist da noch der spannende Weg \u00fcber eine Holzbr\u00fccke, die mehr L\u00fccken, als Bretter hat. Nach dieser Tagestour will man nur noch deftig Essen und ins Bett.
\nDer Ramadan ist jetzt beendet. Jeder im Dorf feiert diesen Tag. Zahir nimmt uns auf schmalen Staubwegen und an Felssteinmauern entlang mit in sein Elternhaus weiter oben im Dorf. Hier ist er geboren und aufgewachsen. Die Familie wohnt, isst und schl\u00e4ft in nur einem Raum. Fenster gibt es nicht. Der starke Sonnenstrahl f\u00e4llt durch zwei Dachluken in die Raummitte, dort wo der kleine Blechofen qualmt. Zahirs zierliche, liebe Mutter backt auf dem Ofen Graal f\u00fcr uns: warme Fladenbrote aus Vollkornmehl, die vor dem Verzehr mit aromatischem Aprikosen\u00f6l und Maulbeer-Sirup bestrichen werden. Unheimlich lecker und sehr s\u00e4ttigend.
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Am Samstag, den 4. Oktober geht es 45 Kilometer weiter s\u00fcdlich, nach Karimabad. Die alte Hauptstadt von Hunza war 750 Jahre lang bis ins letzte Jahrhundert hinein der Sitz der regionalen K\u00f6nigsfamilie. In diesem Ort stimmt einfach alles, angefangen von der Lage mit k\u00f6niglichem Blick auf Tal und Berge bis zur sonnigen Unterkunft und den netten, unkomplizierten Bewohnern. Es gibt gem\u00fctliche Essstuben, kleine L\u00e4den und sogar ein Caf\u00e9. Zugang zum WorldWideWeb erh\u00e4lt Karimabad direkt \u00fcber Satellit. Auf der Stra\u00dfe trifft man andere Abenteurer. Aus der Dusche kommt grau gef\u00e4rbtes Gletscherwasser. Es ist ein kleines Paradies. Ein Basislager, von dem aus wir t\u00e4glich neu entscheiden k\u00f6nnen, worauf wir als n\u00e4chstes Lust haben. Die Tage hier sind kein Abenteuer, endlich machen wir mal richtig Urlaub. Wir schlafen uns aus, spazieren herum und treffen die Leute, stillen unseren Kommunikationsdurst im bestgelegenen Internetcafe der Welt, freuen uns auf das h\u00e4usliche Abendessen um acht. Micha macht Fotos, bl\u00e4ttert durch die deutsche Koran-Version und nascht Kekse vom Hunza-B\u00e4cker. Ich schreibe Geschichten, erkundige mich \u00fcber n\u00e4chste Reiseschritte und genie\u00dfe guten Cappuccino mit richtigem Milchschaum. Nordpakistan hat so viele einmalige Orte und landschaftliche H\u00f6hepunkte im wahrsten Wortsinn, dass es schwer f\u00e4llt zu entscheiden, was wir bis zu unserer Einreise nach Indien noch unbedingt sehen m\u00f6chten.<\/p>\n
Unsere erholsame und friedliche Stimmung wird eines Abends durch eine Nachricht im Fernsehen ersch\u00fcttert. Das kleine kirgisische Bergdorf Nura, in dem wir vor zwei Wochen noch bei einer Familie \u00fcbernachtet haben, bevor wir nach China ausgereist sind, ist durch das Erdbeben am 6. Oktober v\u00f6llig zerst\u00f6rt, hei\u00dft es da. Das Epizentrum lag etwa 60 Kilometer s\u00fcd\u00f6stlich von Sary-Tasch. Die Meldung schockt uns und wir fragen uns, was mit den Menschen passiert ist. Wir kommen ins Gr\u00fcbeln dar\u00fcber, dass wir auf unserer Reise nat\u00fcrlich neuen Gefahren ein ganzes St\u00fcck n\u00e4her sind. Allerdings, ob in Deutschland oder woanders in der Welt: Bei Risiken, denen wir allein durch unseren Verstand nicht aus dem Weg gehen k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir auf unserem Schicksal vertrauen. Das intensivere Lebensgef\u00fchl auf dieser Reise ist eine gro\u00dfe Erfahrung f\u00fcr uns. Die Tage beginnen mit Spannung und Ungewissheit und enden oft mit einmaligen Erlebnissen.<\/p>\n
Wir besuchen Baltit Fort, den \u00fcber siebenhundert Jahre alten Hunza-K\u00f6nigsitz weit oben im Dorf, der damals noch nach tibetanischem Stil errichtet und durch mehrere Herrschergenerationen erweitert und ver\u00e4ndert wurde. In den Siebziger Jahren hat Pakistan alle K\u00f6nige abdanken lassen. Der k\u00f6nigliche Nachfahre in Hunza \u2013 Mir Muhammad Jamal Khan II \u2013 lebt heute in seinem alten Palasthaus in Karimabad und besitzt hier ein gr\u00f6\u00dferes Hotel. Sein \u00e4ltester Sohn \u2013 Prinz Sha Salim Khan IV \u2013 lebt mit seiner Frau Sadia in Islamabad. In den Neunziger Jahren hat man die heute \u00f6ffentliche Burg aufwendig und originalgetreu restauriert. \u00c4hnlichkeiten mit dem Pottala-Palast in Lhasa sind unverkennbar. Edles Ambiente und Luxus finden sich hier nicht. Der K\u00f6nig wohnte in der Festung eher bescheiden, nur die Lage und Aussicht sind unbezahlbar.<\/p>\n
Heute haben wir beim Schneider \u201cAbbas\u201d im Nachbardorf Aliabad unsere pakistanischen Kleider abgeholt. Ein Pakistani-Outfit inklusive Stoff und Ma\u00dfschneidern kostet maximal eintausend Rupi, also nicht mal zehn Euro. Die M\u00e4nner in der Schneiderei haben breit gegrinst, als wir die traditionellen Sachen sofort an uns zur Schau gestellt haben. Die Herren tragen in Pakistan gedeckte Farben: grau, wei\u00df, hellblau, beige oder braun. Den Frauen stehen traumhaft viele Farben und Muster zur Auswahl. Das Pakistani-Outfit, bestehend aus einer etwas weiter geschnittenen Hose und einem knielangen Hemd, ist extrem bequem. In Hunza tragen M\u00e4nner au\u00dferdem eine Wollkappe in wei\u00df oder braun.<\/p>\n
12. Oktober. Wir verabschieden uns morgen Vormittag aus Karimabad. Leider! Die Tage hier waren einfach sch\u00f6n. Zum Abschied wandern wir noch elf Kilometer nach oben zum Aussichtspunkt bei Duikar \u2013 dem h\u00f6chsten Dorf in Hunza. Von hier aus k\u00f6nnen wir das ganze Tal mit den D\u00f6rfern Garnish, Karimabad und Altit \u00fcberblicken. Wir sehen die Schlucht des Hunza Rivers, die teilweise schon abgeernteten Feldterassen der Bauern und nat\u00fcrlich die unwirklichen siebentausender Gipfel Diran und Rakaposhi. Solange der Herbst mit milden Temperaturen und klarem Himmel aufwartet, genie\u00dfen wir jetzt noch an ein paar anderen Stellen im n\u00f6rdlichen Pakistan die stille Gebirgsnatur. Bevor wir Ende Oktober nahe Lahore \u00fcber die indische Grenze knattern, g\u00f6nnen wir uns bei Fairy Meadow noch einen Blick auf den wei\u00dfen Nanga Parbat, dem 8125-Meter-Bergriesen, auf dem einige deutsche Bergsteiger beim ehrgeizigen Versuch eines Aufstiegs ihr Leben lassen mussten. Von dort aus geht es auf dem Karakorum-Highway z\u00fcgig weiter nach S\u00fcden, vorbei an Islamabad nach Lahore mit \u00dcbernachtungsstopps in Besham, Abottabad und Rawalpindi. In diesen Orten ist es besser, wenn wir nach dem Absteigen von unseren Motorr\u00e4dern jedesmal in die traditionelle Kleidung schl\u00fcpfen und ich meinen Kopf bedecke. Nicht nur eine Frage des Respekts, sondern auch der Lebensart. Die (neu)gierigen Blicke der M\u00e4nner auf mich sind damit etwas angenehmer.
\nAuf unsere Zeit in Indien und Nepal sind wir schon sehr, sehr gespannt! Wir haben gestern Olga und Monica \u2013 zwei viel gereiste Spanierinnen – getroffen, die beide L\u00e4nder schon lange kennen und uns einige Tipps gaben.<\/p>\n
Reise-Abenteuer: Von der Haust\u00fcr zum Himalaja und zur\u00fcck Gulmit: Entspannte Menschen und spannende Br\u00fccken Wir sind in Hunza \u2013 eine unglaublich sch\u00f6ne Bergregion im Norden Pakistans, in der vor vielen, vielen Jahren das Polospiel erfunden wurde. Das behaupten zumindest die Hunzeraner. Wir bleiben als erstes eine Woche im Zweitausend-Seelen-Dorf Gulmit. Schnell merken wir: Hunza ist wohl die spektakul\u00e4rste Entdeckung unserer Reise. Pakistan bleibt…<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":271,"parent":0,"menu_order":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","template":"","meta":{"ngg_post_thumbnail":0,"_links_to":"","_links_to_target":""},"tags":[365],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/1649"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=1649"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/1649\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/271"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=1649"}],"wp:term":[{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=1649"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}
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