{"id":2805,"date":"2009-07-19T21:20:35","date_gmt":"2009-07-19T19:20:35","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=2805"},"modified":"2016-12-16T07:36:57","modified_gmt":"2016-12-16T05:36:57","slug":"ukraine-karpaten-2009","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/ukraine-karpaten-2009\/","title":{"rendered":"Ukraine: Strastwuitje, R\u00f6ckchen und Kompott"},"content":{"rendered":"
\"Ukraine\"

Willkommen in der Ukraine \u00a9 emmenreiter.de<\/p><\/div>\n

Liebe Ukraine!<\/h3>\n

Strastwuitje, liebe Ukraine! Du hast es geschafft, die letzten Tage unserer Reise tats\u00e4chlich zu vers\u00fc\u00dfen. Und das nicht nur mit deinem erfischenden Erdbeerkompott.
\nAls wir am 30. Juni vom rum\u00e4nischen Donaudelta kommend das Eingangsschild der ukrainischen Kleinstadt Ismail passieren, wollen wir nur kurz tanken und dann irgendwo an einem der Seen in der N\u00e4he unser Zelt aufschlagen. Wir sind ganz sch\u00f6n geschlaucht und die gro\u00dfe Werbetafel des VIP Hotels ist auf einmal sehr verlockend. \u201eLass uns wenigstens mal gucken!\u201d Und schon sind wir drin. Die Chefin des kleinen Hauses empf\u00e4ngt uns wie eine Mama: \u201eTrinkt erst mal einen Kaffee, poschalsta!\u201d Sie spricht Ukrainisch oder Russisch \u2013 irgendwas k\u00f6nnen wir immer raush\u00f6ren und verstehen. Mit jedem Wort Russisch, das wir antworten, ernten wir ein Strahlen auf ihrem Gesicht. Die Zimmer des gem\u00fctlichen Hotels sind die modernsten und gleichzeitig h\u00e4uslichsten auf der ganzen Reise. Daf\u00fcr knappen wir gerne drei\u00dfig Euro von dem noch \u00fcbrig gebliebenen Geld ab. Zum Abendbrot im Garten serviert uns \u201eMama\u201d erntefrische Gurken und Pfirsiche aus ihrem Garten. Unten im kleinen Innenhof lernen wir ein Team von OSZE kennen, die ebenfalls gerade angekommen sind. Vier Ukrainer und zwei Bayern, die tags\u00fcber einheimischen Grenzbeamten Seminare \u00fcber Diplomatie und Sicherheit geben. Eine sehr unterhaltsame und entspannte Runde, die wir nicht nur einmal treffen. Ich komme den n\u00e4chsten Tag \u00fcber kaum aus dem Zimmer. Irgendwas hat mich eingefangen, aber das kann die Laune nicht tr\u00fcben. Wir bleiben einfach noch eine Nacht l\u00e4nger in Ismail, bevor es in die Hafenstadt Odessa geht.<\/p>\n

Odessa \u2013 ein Sommerkleid<\/h3>\n

Kein Wunder, das ber\u00fchmte Dichter und K\u00fcnstler, die nach Odessa kamen, sich in diese Stadt verliebten. Odessa ist einfach nur inspirierend, sch\u00f6n und angenehm \u2013 wie ein Sommerkleid und die frische Brise vom Schwarzen Meer. In den antiken Stra\u00dfen mit ihren maroden und renovierten Prachtaltbauten, auf den sch\u00f6nen Pl\u00e4tzen und in den kleinen Parks der Stadtmitte scheint es, als w\u00e4ren wir auf einem Fest gelandet. Die Frauen und M\u00e4dchen \u00fcbertrumpfen sich in der Auswahl ihrer auffallenden Kleider und bunten High Heels. Die Odessiten strahlen eine ansteckende Fr\u00f6hlichkeit und Gelassenheit aus. Die Hauptstadt des Lachens, sagt man.
\nWir setzen uns in ein nettes Stra\u00dfencaf\u00e9 auf die Deribasivska. Die ber\u00fchmte Fu\u00dfg\u00e4ngermeile ist das Herz der Stadt und Laufsteg ukrainischer Modep\u00fcppchen. Von hier aus k\u00f6nnen wir beide bei einem frischen Kompott wunderbar beobachten, hinter welchen au\u00dfergew\u00f6hnlichen Varianten von Stoff die Damen einen Teil ihrer wohlgeformten K\u00f6rper verstecken.
\nWir wohnen im Stadtteil Luzanovka \u2013 eine Viertelstunde Fahrt mit dem Minibus 146, 170, 240, 242 oder 270 vom Zentrum entfernt \u2013 direkt am Meeresufer. Hier sind wir durch Zufall in einer kleinen Container-Feriensiedlung gelandet, in der au\u00dfer uns nur ukrainische Familien Strandurlaub machen. Ferien im Container \u2013 gar nicht mal so schlecht. Nach dem morgendlichen Badengehen und einem Campingfr\u00fchst\u00fcck auf der Holzbretterterrasse machen wir von hier aus unsere t\u00e4glichen Ausfl\u00fcge \u201ein die Stadt\u201d. Streifen dort mehrmals durch die schattigen Stra\u00dfen, um eines der sch\u00f6nsten Opernh\u00e4user der Welt herum und \u00fcber den gr\u00fcnen Primorsky-Boulevard zur geschichtstr\u00e4chtigen Potemkinschen Treppe. Odessas Innenstadt ist an vielen Stellen liebevoll restauriert und wir k\u00f6nnen nicht oft genug dort spazieren gehen.
\nDas zweihundert Jahre alte Opernhaus ist leider saisonbedingt geschlossen. Wir k\u00f6nnen uns also nicht selbst davon \u00fcberzeugen, ob dank der einzigartigen Akustik des Geb\u00e4udes ein Fl\u00fcstern auf der B\u00fchne wirklich bis zur letzten Zuschauerreihe zu verstehen ist. Daf\u00fcr geben vier singende, alte Damen mit knallrot geschminktem Mund und hochgesteckten Haaren ein spontanes Konzert auf der Parkbank.
\nAm Samstag treffen wir Sergej vom OSZE-Team wieder, das gerade in Odessa ihre Seminarreihe fortsetzt. Sergej, IT-Profi und Musiker aus Kiew, zeigt uns zusammen mit seiner Freundin Tanja einen Nachmittag lang die interessantesten Pl\u00e4tze der Stadt. Wir schlendern mit ihnen zum Yachthafen und \u00fcber die schwingende Schwiegermutter-Br\u00fccke, an denen frisch Verheiratete Schl\u00f6sser als Zeichen ewiger Liebe aufh\u00e4ngen. Wir werfen ein paar Blicke in die goldverzierten, orthodoxen Kirchen und in die Innenh\u00f6fe der Altbauten mit ihren stuckverzierten Fassaden. Zwischendurch kosten wir originalen Borschtsch nach Hausfrauenart \u2013 \u00fcberall in Odessa gibt es neue, h\u00fcbsche Restaurants und Caf\u00e9s, in denen sich Touristen und ukrainische Besserverdiener einen Espresso nach dem Essen g\u00f6nnen.
\nAm 8. Juli st\u00f6\u00dft Micha bei einem Streifzug am Hafen in der N\u00e4he der Potemkinschen Treppe auf eine Stechschrittparade junger Burschen und M\u00e4dchen in Matrosenuniform. Wir vermuten, dass sie der Besatzung des Panzerkreuzers Potemkin gedenken. Viele der Potemkin-Matrosen wurden n\u00e4mlich am 8. Juli 1905, also zw\u00f6lf Tage nach Beginn der ber\u00fchmten Schiffsmeuterei, der russischen Regierung \u00fcbergeben mit der Folge von Todesstrafe und Zwangsarbeit.
\nEines Nachmittags schleichen wir durch die Halle und Flure des wohl spannendsten Hotels Odessas: das alte, feine Londonskaja. Das Personal h\u00e4lt uns doch tats\u00e4chlich f\u00fcr G\u00e4ste trotz unserer bescheidenen Reisegarderobe. Wir lassen sie in dem Glauben und genie\u00dfen ihre h\u00f6fliche Aufmerksamkeit. Vor fast jedem Zimmer h\u00e4ngt das Portr\u00e4t eines der ber\u00fchmten Stammg\u00e4ste, die hier seit Ewigkeiten n\u00e4chtigten \u2013 Schriftsteller, K\u00fcnstler, Premierminister und Pr\u00e4sidenten. Eine sch\u00f6ne Bleibe haben sich unsere beiden Bayern Heinz und Peter da ausgesucht. Die wohnen hier n\u00e4mlich solange bis ihre Seminarreihe beendet ist. Wir verabreden uns mit den beiden abends zu einem echten Hefeweizen in einer Brauereigastst\u00e4tte, die ihre komplette Brauanlage und die Braukunst aus M\u00fcnchen importiert hat. Das Preu\u00dfen-Bayern-Quartett versteht sich wirklich pr\u00e4chtig und vor so viel guter Laune und Leichtigkeit denken wir fast gar nicht mehr daran, dass unser Abenteuer fast zu Ende ist. Nach einer Woche im Container verlassen wir Odessa. Hier k\u00f6nnten wir noch vieeel l\u00e4nger rumlungern, aber unser Heimweg \u00fcber die Karpaten soll nicht in Stress ausarten. \n\n\n \t\t\n\t\t\t\t