{"id":2816,"date":"2009-08-15T21:27:18","date_gmt":"2009-08-15T19:27:18","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=2816"},"modified":"2016-12-16T07:52:46","modified_gmt":"2016-12-16T05:52:46","slug":"kulturschock-deutschland","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/kulturschock-deutschland\/","title":{"rendered":"Kulturschock Deutschland: Nachwirkungen einer Auszeit"},"content":{"rendered":"

\"verrueckt\"<\/p>\n

Achtung \u2013 Einsturzgefahr!<\/h3>\n

26. Juli 2009. Die erste Nacht ist \u00fcberstanden. In der letzten Zeit hatten wir uns an unz\u00e4hligen Orten in so viele verschiedene Schlafst\u00e4tten gelegt. Eher selten reinlich und bequem. Einfach nur pragmatisch. Und nun ist selbst das Bett in der Heimat irgendwie eines von vielen geworden. Jedenfalls in den ersten Tagen. Das Gef\u00fchl, am Ziel oder wieder zuhause zu sein, stellt sich noch nicht ein. Vierzehn eing\u00e4ngige Monate in einer anderen Welt hinterlassen Spuren. Wann geht\u2019s weiter?
\nWir hatten uns von unterwegs aus vorgenommen, die ersten Wochen langsam anzugehen: Familie und Freunde besuchen, Grillabende, Ausfl\u00fcge zum See\u2026 Eine romantische Idee, die nicht funktioniert. Nach der Wiedersehenseuphorie st\u00fcrzt das deutsche Leben auf uns ein. Das Handy wird reanimiert. Wochentage werden wieder wichtig, ohne Terminkalender verlieren wir den \u00dcberblick. Die Liste wird immer l\u00e4nger: Zollamt, Krankenkasse, Arbeitsamt, Versicherungen, liegen gebliebene Briefe und Papierkram, Einkommensteuererkl\u00e4rung, Arztbesuche, tausende Reisefotos sortieren, E-Mails aus aller Welt beantworten, die Pakistan-Spendenaktion abschlie\u00dfen, vielleicht ein Buchprojekt starten, wo wohnen und arbeiten? Die Aufz\u00e4hlung k\u00f6nnten wir noch ein paar Zeilen lang fortf\u00fchren – ein chaotischer Neustart ins neue alte Leben mit gef\u00e4hrlicher Geschwindigkeits\u00fcberschreitung.
\nWas daneben an uns vorbeirauscht, ist schwer zu verarbeiten: \u00dcberfluss! Zu viele Informationen, zu viele Produkte, zu viel Krimskrams. Am liebsten m\u00f6chten wir uns von allem Nutzlosen befreien. Physisch und psychisch. Ein erster Schritt in Richtung geordnete Bahnen. Der Drang zum Ausmisten ist gro\u00df – au\u00dfer beim Reisegep\u00e4ck, dass wir einfach nicht auspacken wollen. Wir sind von allem \u00fcberw\u00e4ltigt. Die Gef\u00fchle sind schwer zu fassen. Tausend Ideen und Stresshormone rasen durch die Blutbahn. Schlaflose N\u00e4chte. Ankommen ist schwerer als losfahren! Wir genie\u00dfen trotzdem sch\u00f6ne Momente mit Familie und Freunden, lassen uns Nutella schmecken und verw\u00f6hnen den Darm mit anderen bakterienfreien K\u00f6stlichkeiten. Der Gang zum Kleiderschrank ist auch herrlich, nachdem wir lange pragmatisch gekleidet waren. Wir entdecken die bunten alten Sachen neu. Wir h\u00f6ren Musik und holen auf, was wir verpasst haben: neue Alben von MIA und Peter Fox zum Beispiel. Wir laufen die sch\u00f6ne alte Waldstrecke ab und fahren an einem sonnigen Morgen hoch aufs Windrad. Da verschaffen wir uns wenigstens einen r\u00e4umlichen \u00dcberblick. Es riecht nach Sommer in der Prignitz.<\/p>\n

Leere Alukisten: Der endg\u00fcltige Abschied<\/h3>\n

3. Oktober 2009. Ein bedeutsamer Tag. Nach \u00fcber zwei Monaten bringen wir es heute endlich \u00fcbers Herz, die Motorr\u00e4der und Reisetaschen auszupacken. Die t\u00e4glichen Klamotten werden schon lange nicht mehr der wasser- und staubdichten Ortliebtasche, sondern dem Kleiderschrank im Schlafzimmer entnommen. Unsere Nahrungsvorr\u00e4te kramen wir nicht mehr aus dem Alukoffer, wir machen einfach den K\u00fchlschrank auf. Salate und Fleischgerichte verursachen keine Darmkr\u00e4mpfe mehr. Daf\u00fcr tut der Kopf weh vom vielen Nachdenken. Beim Duschen k\u00f6nnen die Badelatschen wegbleiben und das hei\u00dfe Wasser nimmt kein erschreckendes Ende. Seitdem wir zur\u00fcck sind, wachen wir morgens auf und gucken in den Terminkalender statt auf die Landkarte oder ins Reisebuch. Ja, unser geliebtes Reisedasein ist zu Ende. Und das Auspacken der Motorradkoffer der endg\u00fcltige Abschied.
\nWehm\u00fctig surfen wir auf den Reiseblogs von Freunden, die wir unterwegs kennengelernt haben und die immer noch das Abenteuerleben genie\u00dfen. Oft blitzen Gef\u00fchle und Gedanken durch den K\u00f6rper, die uns an die bewegende Zeit auf der Emme erinnern. Das Reisefieber hat uns erwischt. Eine gef\u00e4hrliche Krankheit, die in Sch\u00fcben kommt.<\/p>\n

Danke! Te\u015fekk\u00fcrler! \u0421\u043f\u0430\u0441\u0438\u0431\u043e! Schukria! Dhanyabad! ...<\/div>
Wir danken unserer Familie und Freunden<\/strong> f\u00fcr ihr Vertrauen, ihre Motivation und Unterst\u00fctzung vor, w\u00e4hrend und nach der Reise. Au\u00dferdem danken wir all denen, die uns \u00fcbers Internet treu \u00fcberall hin begleitet, mitgelacht, mitgestaunt und mitgelitten haben. Und nat\u00fcrlich danken wir aus ganzem Herzen all den Menschen<\/strong>, die uns unterwegs<\/strong> an der Stra\u00dfe gr\u00fc\u00dften und anlachten, uns nach nur einem kurzen Augenblick vertrauten, einluden, uns versorgten und selbstlos weiterhalfen. Wir danken auch unseren Unterst\u00fctzern<\/strong> \u2013 J\u00fcrgen Grieschat (www.mottouren.de) und Martin Ritz (www.ritz-service.de) aus Hamburg f\u00fcr die wertvollen Ratschl\u00e4ge und guten Kontakte, Ute und Andreas (www.heart-of-silkroad.de) f\u00fcr viele Tipps noch kurz vor Abreise, der Werkstatt Dumkow in Pritzwalk sowie Peter Schumann und Torsten Kirschner f\u00fcr die geduldige Hilfe beim Aufbau der MZ-Motorr\u00e4der, G\u00dcSI Motorradteile f\u00fcr kostenlose Ersatzteile w\u00e4hrend der Tour (www.mzsimson.de), GRAVIS (www.gravis.de) in Berlin f\u00fcr das 1a-Produktsponsoring, Ventus f\u00fcr die Visabeschaffung sowie Christian und Liane f\u00fcr den Webspace. Am Ende danken wir auch unserem eigenen Geist<\/strong>, der den Entschluss zu dieser Reise fasste und sagen Danke an die gl\u00fccklichen Umst\u00e4nde, die uns die Freiheit<\/strong> und M\u00f6glichkeit gaben, \u00fcberhaupt auf Reisen zu gehen.<\/div><\/div>\n

Aus der Tageszeitung sch\u00fctteln wir einen Stapel Supermarktwerbung. \u00dcberfl\u00fcssiger Konsum! Mit Kartoffeln, Zwiebeln, Tomaten, Eiern, Joghurt, Bananen, Milch, Wasser und Saft sind wir in letzter Zeit doch bestens ausgekommen. Im Kleiderschrank h\u00e4ngen auch zu viele Klamotten. Die landen jetzt im Altkleidersack. Je weniger wir haben, desto erleichterter sind wir. Das trifft allerdings nicht auf die wertvolle Zeit zu. Das alte Zeitgef\u00fchl hat uns wieder im Griff. Sch\u00f6ne Momente genie\u00dfen wir jetzt allerdings bewusster. Hoffentlich halten diese Erkenntnisse an.
\nZur\u00fcck in Deutschland \u00fcberfordern uns die Medien mit dem Bundestagswahlkampf. Bei \u201eAnne Will\u201d und \u201eHart aber Fair\u201d verdrehen uns die Versprechen der Politiker, die Warnungen der Experten und die Kommentare der Journalisten den Kopf. Frau Merkel will Bundeskanzlerin bleiben. Eine Frau an der Spitze, die sich im Ausland einen Namen gemacht hat. \u201eWe are from Germany.\u201d \u2013 Dieser unz\u00e4hlig ausgesprochene Satz hatte auf unserer Reise meistens Bewunderung ausgel\u00f6st. Deutsche gelten als stark, mutig und reich. Wir machen uns Gedanken \u00fcber unser Land und wer wir wirklich sind.
\nVier Monate nach unserer Heimkehr zieht es uns mitten in den Hauptstadtdschungel. Hier beginnen wir den n\u00e4chsten Lebensabschnitt mit neuen Jobs, einer neuen Wohnung und einer Garage, in der beide MZ-Motorr\u00e4der viel zu lange auf eine Ausfahrt warten.<\/p>\n

\"Mitbringsel\"<\/a>

Erinnerungsst\u00fccke<\/p><\/div>\n

Das war er also \u2013 der letzte Beitrag unserer ersten gro\u00dfen Reise.
\n<\/strong><\/span>Danke f\u00fcr Eure Neugier und Begleitung bis zur letzten Zeile!<\/strong><\/span>
\n

\n< zur\u00fcck zur Karte<\/a><\/strong><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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