Abschied von Quetta
Quetta erscheint uns im Vergleich zu allen anderen Städten in Pakistan viel ruhiger und geordneter. Obwohl es hier auch Viertel gibt, in die sich nicht einmal die Polizei traut. Ansonsten sind die Uniformierten mit der Kalaschnikow um die Schulter überall zu sehen. Bei jedem noch so schnellen oder kurzen Gang in die pakistanische Variante des Tante-Emma-Ladens oder ins Restaurant um die Ecke, zum Brotbäcker oder Internetschuppen: Fremde schütteln uns jedes Mal die Hand, wollen zum Tee einladen oder bieten einfach ihre Hilfe an. Einige Rikschafahrer, mit denen wir vorher erst noch eine Weile um einen fairen Fahrpreis verhandelt haben, verweigern uns bei Ankunft am Ziel dann die Bezahlung mit der Begründung, dass sie ebenfalls Christen seien. Auf dem Sonnenschutz hinter ihrer Windschutzscheibe klebt tatsächlich ein glänzend-bunter Jesusaufkleber.
Als wir im Telefonshop versuchen, bei der Zeitung “Daily Khabrain” um eine Kopie des Interviewartikels aus Rahimyar Khan zu bitten, übernimmt Sultan – ein junger Pakistaner, der gerade daneben steht – spontan das Gespräch auf Urdu. Die folgende Einladung zum Abendessen in seiner Wohnung dürfen wir natürlich nicht ausschlagen. Um halb Zehn sitzen wir bei ihm auf dem Teppichboden und lassen uns besonders das Dessert – Vanillepudding mit rotem Gelee – schmecken. Nebenbei erzählen wir ganz offen mit ihm über seine Arbeit bei der UN-Flüchtlingshilfe und die aktuelle, politische Situation in Pakistan. Natürlich will er auch alles über das MZ-Abenteuer wissen. Als wir uns um Mitternacht mit vollem Magen verabschieden, kann unsere ehrliche Dankbarkeit für die nette Einladung seine offensichtliche Freude, uns zu Gast gehabt zu haben, nicht übertreffen. Am nächsten Vormittag fahren wir ungeduldig zum DHL-Büro in Quetta. Die Expresssendung mit den Iranvisa liegt glücklicherweise im Regal. Morgen früh kann uns dann nichts mehr aufhalten: Nur noch 720 Kilometer bis in den Iran. Der Engländer Peter auf seiner Enfield und die beiden Franzosen, die mit der Autorikscha von Kalkutta nachhause tuckern, sind bereits heute früh von hier aus gen Iran vorausgefahren. 13. Mai. Kurz vor Sonnenaufgang. Michas Knöchel ist noch rechtzeitig abgeschwollen und passt wieder in den Wanderschuh. Vorsichtig kickt er die Emme an…Tschüss, Quetta!
Die Emmen im Sandsturm
Viele Reisende, die aus dem Iran nach Pakistan kamen, haben uns vor der schlechten Straße von Quetta nach Dalbandin gewarnt. Wir rechnen mit dem Schlimmsten und stellen zum Glück fest, dass die Bezeichnung “schlechte Straße” sehr relativ ist. Aus dem Iran kommend, ist man scheinbar ziemlich verwöhnt. Die Straße NH 40 schlängelt sich erst durch kahle Berge und geht später kilometerlang geradeaus – durch eine dürre Landschaft und vorbei an vereinzelten, flachen Lehmhüttensiedlungen. Die Temperaturen steigen mit jeder Stunde an. In der Wüstenhitze flirrt die Luft am Horizont und spiegelt den Himmel wie einen See wieder. Auf der Strecke kommen wir an mehreren Passportkontrollen zum Stehen. Die Männer vom Checkpoint hocken in kleinen, schattigen Lehmhäuschen am Straßenrand und spannen das Stahlseil, sobald sie die Emmen sehen. Fast immer folgt eine Einladung zum schwarzen Tee mit Zucker, die wir nicht immer annehmen können.
350 Kilometer und acht Stunden später erreichen wir mit trockenen Mündern das Wüstenkaff Dalbandin, das ein unerwartet gutes Hotel hat. Wir tanken erstmals geschmuggeltes Benzin aus dem Iran, das aus Kanistern am Straßenrand erhältlich ist. Andere Quellen außer dem Schwarzmarkt gibt es nicht. Nach einer schwülwarmen Nacht in Dalbandin brechen wir im Morgengrauen auf zur Grenze. Müde meistern wir das erste Drittel der Etappe. Plötzlich sind wir hellwach: Ein kräftiger Sandsturm von links zwingt die Mopeds in die Schräglage. Und es kommt noch schlimmer – der Wüstenwind dreht auf frontal.
Mit den großen Alukoffern haben die Motorräder eine Aerodynamik wie eine Schrankwand. Der Gegenwind bremst die Motoren bis auf den dritten Gang aus. Nach vorn gebeugt, drehen wir wütend den Gasgriff bis zum Abschlag und schaffen trotzdem nur 55 km/h. Der feine Wüstensand kriecht unter den Helm bis ins Ohr und Verwehungen auf der Straße bringen die Emmen ab und an ins Schleudern. Die Fahrt von Dalbandin nach Taftan wird zu einer der schlimmsten Etappen auf der Reise. Wir schaffen es bis zum Mittag an die Grenzstation in Taftan. Der Sturm ist in einen Wind abgeflaut. Die Pakistaner im Zollhaus sind bis zur letzten Sekunde liebenswürdig und verabschieden sich mit kalten Getränken, Tee und Keksen. “Ab da drüben musst Du immer ein Kopftuch tragen!”, lautet der letzte Satz, bevor wir durchs iranische Grenztor fahren.
Ankunft im Iran: Eskorte per Anhalter
Im iranischen Passagiergebäude herrscht reges Treiben. Iraner und Pakistaner hieven hunderte Taschen und Säcke durch die Gepäckkontrolle. Am Passportschalter zieht der Beamte unsere Pässe ein und lässt nur das Wort “Escort” fallen. Hier spricht fast niemand Englisch – daran müssen wir uns erst wieder gewöhnen. Und auch an den Rechtsverkehr. Wir warten etwa eine Stunde auf den so genannten Bodygard: ein 19-jähriger, schmächtiger Soldat – ohne Waffe, ohne Funkgerät und ohne Ahnung. Er will auf Michas MZ aufsteigen und uns die 85 Kilometer nach Zahedan begleiten. Ansonsten könnten wir auch sein Taxi bezahlen. Spinnt der? Kommt gar nicht in Frage!
Wir erledigen die Zollangelegenheiten und wollen ohne Eskorte abhauen, aber keine Chance. Es startet ein Nerven aufreibendes Hin und Her -am Ende fährt der Typ, der uns vor Schmugglern und Entführern schützen soll, doch tatsächlich per Anhalter voraus und verschwindet aus dem Blickfeld. Wir sind den Iranern auf der Straße wohl zu langsam. Beim Eskortenwechsel auf halber Strecke dasselbe Theater zum zweiten Mal. Der letzte Soldat der Eskorte sitzt zwischen Schafen auf einem klapprigen Pickup, als wir hinter ihm her Stunden später in Zahedan einfahren.
In Zahedan löst die lokale Polizei die Begleitung ab – immerhin mit eigenen Fahrzeugen – und wechselt leidlich etwa alle fünfhundert Meter. Wir sind genervt, ausgetrocknet und müde. Von der Grenzstation bis zur Ankunft im Amin Hotel sind sechseinhalb Stunden vergangen. Bevor wir wie Steine ins Bett fallen, belohnen wir uns mit einem halben Kilogramm weichen Fetakäse auf frischem Fladenbrot. Die erste Malzeit des Tages und die Rettung des Abends.
Tahereh – kurzer Lichtblick in Zahedan
Morgens wartet schon wieder die Polizei vorm Hotel, als wir aus Zahedan fliehen wollen. Auf der Suche nach einer Tankstelle wollen uns die Herren Benzin für das Achtfache auf dem Schwarzmarkt andrehen. Doch das Schicksal meint es gut und schickt Tahereh. Die Iranerin fährt zufällig im Auto vorbei, erkennt uns und hält an. Wir hatten sie und ihren Mann von Quetta aus per E-Mail kontaktiert, um sie nach einem billigen Gasthaus zu fragen. In Zahedan sind Ausländer nämlich nur in den teuren Hotels erlaubt. In dem gestrigen Desaster hatten wir total vergessen, uns bei den Beiden wie verabredet zu melden, sobald wir in der Stadt angekommen sind. Verschämt begrüßen wir Tahereh und dank ihrer Hilfe tanken wir umgehend Benzin zum subventionierten Preis – fünfundvierzig Liter für umgerechnet drei Euro. Eine kurze, aber unglaublich nette Begegnung! Schade, dass wir es gestern Abend vermasselt haben. Die Eskorte drängelt und will weiter. Sie wird uns noch bis Bam “beschützen”. Auf nach Bam…
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Dobre Djen Martin,
wir haben schon auf Deinen Kommentar gewartet. Und in diesem Moment ist er da 🙂
Dein letzter Hinweis zum Thema neue Fotostrecke ist natürlich berechtigt. Jetzt, wo das Internet wieder upload-freundlicher ist, überlegen wir uns was.
Sind gerade in Bulgarien am Sonnenstrand und ´ne Menge der Leute, die hier im knappen Urlaubsdress rumlaufen, wären auch eine Fotostrecke wert 🙂 Wir sind nicht prüde, aber an soviel nackte Hautoberfläche muss sich unser Auge nach der anständigen Verhüllung in den anderen Ländern erstmal wieder gewöhnen.
Wir schicken Euch gutes Wetter: 28°C, Sonne und leichte Meeresbrise
Die näherkommenden Emmenreiter
Willkommen zurück in Europa!
Seht mal zu, dass ihr auf den weiteren Kilometern nicht mehr Federn lasst, als ein paar gebrochene Speichen, Nippel oder ähnliche Kleinigkeiten.
Wenn man sich in Hamburg derzeit schwerpunktmäßig draußen aufhält, kommt es einem vor, als habe man fast noch das ganze Jahr vor sich: Bestes Aprilwetter.
Streichelt die Emmen und reitet mit Vorsicht 😉
In der Ruhe liegt die Kraft!
Martin
Hallo Leute,
Danke fuer Eure Kommentare, die wir jedesmal gespannt verfolgen. Michas Daumen ist noch immer eingegipst. Inzwischen hat er sich so ans Fahren mit vier Fingern gewoehnt, dass es wahrscheinlich schwer fallen wird, wieder mit allen Fuenfen zu fahren :-).
Bis bald – Micha und Suse
Hallo Ihr 2 Emmen-Rauscher, viele Grüße vom Feuerreitter aus Borna! Das Jahr ist um und wie beim Kiesel in der Werkstatt versprochen melde ich mich nun mit Freude und Hochachtung um Eure „Heimreise“ zu begleiten. Alles bisher durch Euch erfahrene und hier gelesene finde ich einfach fantastisch-haltet durch und viel Glück auf den Weg auch weiterhin! Solltet Ihr Borna auch auf Eurer Rückreise eine Besuch abstatten wollen, seid Ihr hier bei uns in Ktzscher natürlich auch herzlich eingeladen!
Bis dahin schön schrottfrei bleiben und weiterhin nur positive Erfahrungen mit den uniformierten Repräsentanten Eurer Reiseländer (in Bulgarien heist Nicken „Nein“).
Die linke Hand zum Gruße vom Feuerreitter
Na, zumindest das mit dem Daumen hoch scheint ja zu klappen!
Das mit euren Gegenwind-Erfahrungen erinnert mich an die Antwort des Landrover-Verkäufers auf die Frage an nach dem cW-Wert des alten 109er: „Nun ja, er liegt geringfügig unter dem des Buckingham-Palastes!“
Ich wünsche euch jedenfalls heute mal was ganz Spezielles: Weiter solche Kraftstoffpreise! 😉
Beste Grüße aus dem gewittrigen Hamburg
Martin
Hallo Michael, Du Unglücksrabe, hallo Susanne,
Schoen, wieder von Euch zu lesen. Jetzt mal etwas vorsichtiger, dass dem lädierten Daumen nichts passiert.
Seit den ersten Berichten staune ich, mit welcher Sorgfalt Ihr die Berichte erstellt. RESPEKT und Danke für´s Miterleben dürfen.
Ich wünsche Euch eine schöne Zeit im Iran und jetzt auch mal viel Glück und weiter freundliche Menschen. Übrigens: Beim Schah gab es dort drei, vier Grossbrennereien. Seit Chomeini gibt es drei- bis viertausend Kleinstbrennereien.
Glückliche Reise!
Gruss janus