Himalaja – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Thu, 29 Sep 2022 13:33:21 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Himalaja – eMMenreiter 32 32 Nepal: In Motorradstiefeln um den Manaslu (2/2) /nepal-manaslu-trekking-teil2/ Sun, 04 Jun 2017 10:17:01 +0000 /?page_id=13874 < zum ersten Teil

360° Bergpanorama in Shyala auf 3.500 Metern © emmenreiter.de

Samagaun: Tibeter-Olympiade vor dem weißen Riesen

12. April 2017 – der neunte Wandertag. „Ab jetzt nur noch Lunch-Camp“, freut sich unser Bergführer Bhim. Damit meint er, dass wir bis zum Ende der Manaslu-Runde jeden Tag nur noch bis mittags unterwegs sind. Das heißt allerdings auch, dass wir weniger Pausen machen werden. Denn: „Many Pausi, many cold!“, lächelt Bhim.
Um halb zwölf haben wir heute bereits Samagaun (3.520 m) erreicht. Der Ort liegt am Ende einer weiten Hochebene. Mit jeder Stunde umhüllen immer mehr Wolken die Spitze des Manaslus, bis er an diesem Nachmittag ganz und gar hinter einem kalten Nebelvorhang verschwunden ist. Damit wir uns besser an die Höhenluft anpassen, werden wir zwei Nächte in Samagaun bleiben. Am nächsten Tag brechen wir zu einem Ausflug zum Pungen Gompa auf. Das abgeschiedene, tibetische Bergkloster versteckt sich auf 4.120 Metern in Richtung Manaslu und ist umringt von imposanten, schneeweißen Gebirgsketten. Bhim ist ebenfalls noch nie dort gewesen. Als wir zu dritt an Murmeltieren, Blauschafen und Yaks vorbei über das flache Gras einer Hochalm dem Kloster entgegenlaufen, hören wir ein neues deutsches Wort aus Bhims Mund: „Waaaahnsinn!“ Die Ostseite des Manaslus schlägt in voller Pracht vor uns auf. Wir sind dem Achttausender so nah, dass der Weg zum Gipfel nicht so weit erscheint ­– dabei liegt er immer noch 4.000 Höhenmeter über uns.
Als wir am frühen Nachmittag wieder nach Samagaun absteigen, haben sich die Menschen aus den umliegenden Dörfern auf der Weide zu einem Fest versammelt. Die Männer haben ihre stumpfen Fellmäntel gegen schimmernde Umhänge getauscht und tragen farbenprächtige, schmückende Gürtel und Mützen. Sie sitzen in einem weiten Kreis auf dem Gras. Ihre Frauen und Kinder sitzen etwas abseits ebenfalls auf der Erde und beobachten die traditionellen Wettkämpfe, die gleich starten werden: Bogenschießen, Tauziehen und Pferderennen. Wir hocken uns mit an den Rand und müssen aufpassen, dass wir nicht zu nah an die Schusslinie der langen Pfeile geraten. Die Sonne ist schon eine Weile im grauen Himmel verschwunden und durchgefroren, noch bevor der wilde Pferdewettlauf losgeht, laufen wir vom Tibeterfest zur Lodge zurück.

Neuschnee in Samdo

14. April 2017. Happy New Year! Heute beginnt das nepalesische Neujahr 2074. Ich nehme unsere steifgefrorenen Socken von der Wäscheleine und lege sie in die wärmende Morgensonne, solange wir frühstücken gehen. Wir fühlen uns fit und bis mittags steigen wir an einem türkisblauen Gletschersee vorbei nach Samdo auf. Das kleine Tibeterdorf (3.875 m hoch) ist noch sehr ursprünglich. Statt knallblauer Wellblechdächer decken schwere, dunkelgraue Steinplatten die Häuser ab, in denen die Menschen dicht bei ihren Tieren leben. Nicht alle Bewohner bleiben den strengen Winter über im Dorf. Sie kehren erst jetzt im Frühjahr mit beladenen Pferden und Maultieren über den Larke-Pass aus tieferen Ebenen zurück.
Bhim besorgt einen Eimer heißes Wasser aus der Küche und Micha und ich nehmen nacheinander im engen, niedrigen Klohäuschen eine schnelle „Dusche“ über der Hocktoilette. Durch die scheibenlose Fensterluke weht die kalte Luft auf meine nasse Haut und bibbernd rubbel ich mich so schnell es geht trocken. Jetzt noch zügig die lange Unterwäsche überstreifen, ohne das etwas ins Hockklo fällt, und raus hier.
Mir ist nachmittags etwas übel von der Höhe und wir ziehen uns mit einer großen Thermoskanne heißen Zitronentee in die winzige Schlafkammer zurück. Die Nachmittagswolken türmen sich heute viel stärker auf als sonst. Beide Teebecher dampfen und wir beobachten vom Schlafsack aus, wie das Bergwetter vor unserem Fenster immer ungemütlicher wird. Der Wind pustet durch die Ritzen am Holzfensterrahmen herein. Plötzlich klatschen feuchte, dicke Schneeflocken gegen die Scheibe. Das Yak da draußen am Hang sucht weiterhin völlig unbeeindruckt nach Gras, während der Schnee auf sein schwarzes, dickes Fell weht. Meine Nasenspitze ist ganz kalt. Obwohl es in unserer Kammer kaum wärmer ist als draußen, macht sich ein uriges Gefühl von Geborgenheit breit.
Nach dem Abendessen – Bratkartoffeln mit Yakkäse bestreut – huschen wir schnell zurück auf die schmalen Betten und schlafen bald ein. Bhim verbringt den Abend wie immer mit den Bergführern anderer Wanderer, die sich in der Lodge meistens auch ein Zimmer teilen.
Wir müssen diese Nacht viel öfter zum Pinkeln raus, als uns lieb ist – ein ganz normales Phänomen im Hochgebirge. Genau wie die Schlafstörung, unter der Micha jetzt leidet. Er kommt fast gar nicht zur Ruhe und steht fünfmal mit der Taschenlampe auf.
Die aufgehende Sonne schiebt sich endlich langsam über die Berge und bald hebt sich eine strahlend weiße Winterlandschaft vor einem knallblauen Himalajahimmel ab. Ich laufe in Badelatschen durch den angefrorenen Neuschnee zur Toilette. Eiszapfen hängen vom Überdach herunter und sogar auf der Wäscheleine balanciert eine Schicht Schnee. Die schwarzen Yakherden des Dorfes heben sich wunderschön von dieser verwandelten, windstillen Landschaft ab.
Die Bergsonne wird schnell kräftiger und bald tropft es überall von den Steindächern. Bis zum frühen Nachmittag hat sich fast das ganze Weiß in der Sonne aufgelöst. Zusammen mit Ursula und Marc, die genau wie wir erst morgen weiterwandern, setzen wir uns mit einer Schachtel Buntstifte nach draußen und malen gekochte Eier an. Morgen ist Ostersonntag. Und außerdem sind wir dann genau ein Jahr lang im bunten Asien unterwegs.
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Höhenrausch: Im Mondschein zum Larke-Pass

Am Ostersonntag brechen wir nach Daramshala auf – ein einfaches Camp auf 4.460 Metern, von dem aus wir übermorgen den Larke-Pass angehen. Wir sind heute nur drei Stunden lang unterwegs, aber in dieser Höhe bin ich schnell außer Atem. Das Herz boxt regelrecht gegen die Brust , aber es beruhigt sich auch schnell wieder, sobald ich eine kurze Verschnaufpause einlege.
In Daramshala haben wir die Wahl, im Zelt oder in einer Felssteinkammer zu übernachten, die einem kleinen Viehstall gleicht, in den man drei Pritschen gestellt hat. Wir entscheiden uns für letzteres. Ich muss wieder einmal gegen Übelkeit ankämpfen, bis sich mein Körper an die neue Höhe gewöhnt hat. Wir überbrücken die Zeit bis zum Abend mit Würfelspielen. Andere Wanderer, die mit uns im Camp sind, sitzen mit Büchern in der Sonne oder laufen derweil zur besseren Akklimatisierung auf die umliegenden Hügel hinauf. Irgendwann fühle ich mich besser. Gleichzeitig steigt die Aufregung. Heute Nacht um drei Uhr wird der Wecker klingeln. Um vier laufen wir los, hat Bhim gesagt. Hoffentlich spielt das Wetter mit und wir haben einen freien Blick auf die Berge, wenn wir am Pass ankommen.
Es ist duster und arschkalt, als wir aufstehen müssen. Unsere Köpfe sind sofort wach, aber unsere Körper wollen noch schlafen und wir spüren beide ein flaues Gefühl im Bauch. Im Licht der Taschenlampe packen wir die Sachen zusammen, versuchen dann, noch etwas zu frühstücken und los geht’s. Ein paar Wanderer sind schon vorgegangen und ihre Stirnlampen bewegen sich in der Dunkelheit langsam aufwärts. Wir knipsen ebenfalls die Lampen an und sind froh, dass der Mond zusätzlich etwas Licht spendet.
Bhim hat diesmal seine Winterjacke, Winterhose und Halbstiefel angezogen. Motiviert läuft er voraus. Etwas zu schnell, wie ich finde. Der Anstieg hat es anfangs in sich und mir bleibt sofort die Puste weg. Man sagt, ein Berg erscheint Menschen dann besonders steil, wenn sie müde sind, einen schweren Rucksack tragen oder Angst haben.
Hinter uns ändert der Himmel allmählich seine Farbe von schwarz zu blau. Das ist ein schöner Anblick und ein schönes Gefühl. Bald wird die Sonne aufgehen. Wir laufen weiter und kommen langsam in den richtigen Rhythmus. Micha fühlt sich gut. Mir dagegen ist schwindelig und ich fühle mich betrunken. Wir laufen über mehrere Schneefelder, aber die Steigung und der Weg sind jetzt angenehmer. Beim Larke-Pass handelt es sich nämlich nicht um eine Spitze, sondern um eine Ebene, der man stetig entgegenläuft. Es ist etwa halb acht, als wir auf einmal an Gebetsfahnen vorbeikommen. Sind wir oben? Bhim, der vorangegangen ist, hat seinen Rucksack abgesetzt und winkt uns entgegen. „Wir sind am Pass – da steht das Schild!“ sage ich erleichtert zu Micha. Die Sonne scheint längst grell und präsentiert die schneeweißen Himalajagipfel ringsum in perfektem Licht. Eisige Windböen zerren an den bunten Gebetsfahnen. Wir drei schießen unsere verdienten „Gipfelfotos“ und nehmen einen köstlichen Schluck von dem einheimischen Rum, den Bhim aus seiner Jackentasche hervorgezaubert hat. Mir ist immer noch etwas schwindelig, aber jetzt fühlt es sich gut an. „Let`s go!“ fordert uns Bhim zum Abstieg auf – und der hat es in sich.
Ein steiler, steiniger Pfad schlängelt sich weit nach unten. Schnee und Eis machen die Sache stellenweise sehr rutschig. Mir ist nicht wohl dabei und ich muss an die leichten Steigeisen denken, nach denen uns Madan in Kathmandu gefragt hatte. Aus dem Tal steigt heute außerdem eine Karawane zum Pass auf. Der Trampelpfad ist schmal und wir müssen zusehen, dass wir den beladenen Pferden rechtzeitig Platz machen. Eines der Pferde fängt trotzdem an zu scheuen und flüchtet vor uns auf den verschneiten Berghang. Bhim wird hektisch und fordert uns auf, weiter zu klettern. Er hat Angst, das Pferd könnte jeden Moment an uns vorbei abstürzen.
Irgendwann haben wir den rutschigen Teil des Abstiegs geschafft. Danach laufen wir stundenlang über steinige Wege nach unten. Am frühen Nachmittag, als meine kraftlosen Beine vom endlosen Bergab nur noch dahin stolpern, erblicken wir endlich die Dächer von Bhimtang. Wir lassen an der ersten Lodge, die wir passieren, unsere Rucksäcke fallen. Marc und Ursula sind kurz vor uns eingetroffen und nun sitzen wir gemeinsam da und genießen das zufriedene Gefühl, es geschafft zu haben. Ich zerre an meinen Stiefeln und Socken und befreie endlich meine Füße. Nach einer fließenden, heißen – ja, einer heißen – Dusche fallen wir gelähmt in einen wenig erholsamen Mittagsschlaf. Wir sind heute etwa 1.500 Höhenmeter abwärts gelaufen und an diesen Unterschied muss sich der Körper auch erst zurück gewöhnen. Nachts haben wir glücklicherweise den besten Schlaf, den man sich vorstellen kann, und nach dem Frühstück setzen wir die Manaslu-Runde munter fort. Ab jetzt geht es nur noch bergab.
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In ein paar Stunden ist Frühling

Mit jeder Stunde, die wir talwärts laufen, wird es frühlingshafter. Sträucher haben jetzt Knospen. Dann kleine Blüten. Bald kommen wir durch urwüchsige Wälder, in denen prachtvolle Rhododendronbäume in voller Blüte stehen: weiß, pink und rot. Der Weg bis Surki (2.700 m) ist ein entspannter Spaziergang durch eine wunderschöne Berglandschaft, durch die ein von Gletschersedimenten milchig gefärbter Fluss strömt. Langurenaffen klettern an den Hängen umher.
Kurz vor Dharapani (1.963 m), wo die Manaslu-Runde auf die Annapurna-Runde trifft, wird gerade eine neue Jeepstraße in die Berge gesprengt. Sie soll irgendwann Bhimtang erreichen. Was den abgelegenen Bergdörfern eine Hilfe ist, wird vielen Wanderern allerdings nicht gefallen. Mit jeder Straße geht erfahrungsgemäß bald auch die besondere Ursprünglichkeit einer Region verloren, die den Wandertourismus überhaupt erst reizvoll macht.
In Dharapani steigen wir in einen Jeep um – eine Rüttelto(rt)ur der schlimmsten Sorte. „Do you like Nepali Highway?“, lacht uns Bhim während der Fahrt von der Rückbank zu. Die Räder des Wagens poltern im ersten Gang über unglaubliches Geröll. Die Reifen sind soweit abgefahren, dass bereits die Karkasse durchschimmert. Micha und ich halten uns irgendwo fest, so gut es geht. Trotzdem stößt mein Ellenbogen und Bein immer wieder ruckartig gegen die Jeeptür. Das gibt blaue Flecken. Nach fünf Stunden steigen wir genauso erschöpft wie nach einer langen Tageswanderung in Besisahar (760 m) aus. Wir sind zurück im Hochsommer und nur noch eine elfstündige „Deluxe“-Busfahrt von Kathmandu entfernt. Dort warten schon ein privates Badezimmer, ein leckeres Restaurant und ein weiches Bett auf uns.

Unsere Manaslu-Umrundung in Zahlen

Höhenprofil Manaslu-Trek

  • Anreise von Kathmandu bis Arughat (608 m): 7,5 Stunden nepalesische Busfahrt
  • Arughat (1) bis Pokhori (Bhims Heimatdorf, ca. 1.500 m): 7,25 Stunden
  • Pokhori (2) über Armala und Dorba bis Lapubesi (884 m) : 9,25 Stunden
  • Lapubesi (3) bis Khorlabesi (970 m): 5 Stunden
  • Khorlabesi (4) bis Jagat (1.340 m): 7,25 Stunden
  • Jagat (5) bis Pewa (1.800 m): 7,5 Stunden
  • Pewa (6) bis Namrung (2.630 m): 9 Stunden – mit Pausentag in Namrung
  • Namrung (7) bis Lho (3.180 m): 4 Stunden
  • Lho (8) bis Samagaun (3.520 m): 3,5 Stunden – mit extra Tag in Samagaun für Tagestripp zum Pungen Gompa (4.120 m): 5,5 Stunden
  • Samagaun (9) bis Samdo (3.875 m): 4,25 Stunden – mit Pausentag in Samdo
  • Samdo (10) bis Dharamsala (4.460 m): 3 Stunden
  • Dharamsala (11) über Larke Pass (5.106 m) bis Bhimthang (3.590 m): 8,75 Stunden
  • Bhimthang (12) bis Surki/Kharche (2.700 m): 4 Stunden
  • Surki/Kharche (13) bis Dharapani (1.963 m): 4 Stunden
  • Dharapani (14) bis Besisahar (760 m): 5 Stunden Rüttelfahrt im Jeep
  • Besisahar (15) bis Kathmandu (1.355 m): 9,5 Stunden im nepalesischen „Deluxe“-Bus
Unsere Zeitangaben beruhen auf einem eher gemächlichen Tempo mit Pausen zum Luftholen, Abschwitzen, Trinken, Mittagessen, Staunen und Fotografieren. Alle Genehmigungen (Permits) und unseren Begleiter Bhim haben wir über Madan Neupane (Touch The Himalaya Treks and Expedition) in Kathmandu (Thamel) arrangiert – können wir zu 100% weiterempfehlen! Bei der Auswahl und Vorbereitung hat uns die gemeinnützige Info-Website zu diesem Trek sehr geholfen.

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Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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Nepal: In Motorradstiefeln um den Manaslu (1/2) /nepal-manaslu-trekking-teil1/ /nepal-manaslu-trekking-teil1/#comments Fri, 05 May 2017 11:33:24 +0000 /?page_id=12990 MANASLU von Osten

Blick auf den Himalaja-Bergriesen MANASLU von Osten, Nepal 2017 © emmenreiter.de

Aufwachen in Kathmandu

31. März 2017. „Guten Morgen Kathmandu!“ Wir sind gestern erst spät abends hier angekommen und hatten uns schon auf diesen Moment gefreut: Die erwachende Stadt breitet sich vor unserem kleinen Balkon im Avalon Guesthouse aus. Das Meer aus schmalen und vorwiegend maroden Häusern reicht bis an die Berge. Ein schlanker Hund liegt unten an der Kette und winselt herzzerreißend. Lichtblick ist der saftiggrüne Gemüsegarten – in Nachbarschaft zu unserem kleinen Hotel. Wir sind jetzt schon zum dritten Mal in Nepal und immer wieder erschüttert und gleichzeitig fasziniert von dieser unverwechselbaren, fremden Welt.
Kambodscha rückt genauso schnell in den Hintergrund wie uns das Flugzeug an den Himalaja gebracht hat. Es war öde, in der Troposphäre zu reisen. Flughäfen sehen doch alle gleich aus. Aber nun sind wir im Land der Gipfel und Götter, die Temperaturen sind sehr angenehm und wir können unser nächstes Abenteuer anpacken.
Das wahre Nepal erreicht man nur zu Fuß. Und wir haben uns diesmal vorgenommen, den Manaslu zu umrunden – mit 8.163 Metern der achthöchste Berg der Erde. Diese Route ist noch nicht so populär und kommerzialisiert wie die quasi nebenan verlaufende Annapurna-Runde. Erst seit ein paar Jahren braucht man dafür keine Zeltausrüstung mehr. Man startet im suptropischen Tiefland und läuft über eine alte Handelsroute in zwei bis drei Wochen gegen den Uhrzeigersinn um den Bergriesen herum. Die ersten Tage geht es durch eine gewaltige Schlucht am Budi Gandaki Fluss entlang nach und nach bergauf. Gegen Ende der Wanderung muss der eingeschneite Larke-Pass überwunden werden. Wie hoch der Pass ist, scheint keiner genau zu wissen. Die Angaben liegen irgendwo zwischen 5.100 und 5.200 Metern. Noch nie sind wir so lange und so hoch gewandert.
Am dritten Tag in Kathmandu sitzen wir im winzigen, fensterlosen Büro von Madan inmitten des Touristenviertels Thamel. Wir treffen Madan zum allerersten mal. Er hat eine unglaublich freundliche Ausstrahlung und empfängt uns wie einen Freund. Wir hatten ihn im Vorfeld übers Internet damit beauftragt, alle Genehmigungen zu besorgen, die wir für die Manaslu-Wanderung vorweisen müssen. Außerdem hat er den gesetzlich vorgeschriebenen Bergführer für uns engagiert. „Lasst uns zusammen Tschai trinken!“ lädt er uns herzlich ein. Bis die heißen Tassen auf seinem Schreibtisch stehen, erzählen wir ihm vorfreudig, dass wir unsere Rucksäcke, die wir in Thamel ausgeliehen haben, bereits gepackt haben. Ob wir auch „crampons“ dabei hätten, will Madan wissen. Er meint leichte Steigeisen. „Äh… nein.“ So eine spezielle Ausrüstung kam uns nicht in den Sinn. „Aber wir haben gestern unsere Motorradstiefel beim Schuhputzer aufpimpen lassen.“, sage ich. „Um diese Zeit wird es auch ohne Steigeisen gehen.“, schiebt Madan schnell hinterher. Falls nicht, wisse unser Bergführer an Ort und Stelle ganz sicher eine Lösung. „Wie ist denn derzeit das Wetter am Manaslu?“ frage ich etwas verunsichert. Bisher sei es ungewöhnlich schlecht gewesen. „Die meisten Leute mussten umkehren.“, erzählt Madan. Erst vor ein paar Tagen seien die ersten Wanderer über den Pass gekommen. „Macht Euch keine Sorgen. Ihr werdet Glück mit dem Wetter haben!“ verabschiedet uns Madan, als die Teetassen leergetrunken sind. Und aus seinem Munde glauben wir es sogar.
Morgen früh um 7:15 Uhr wird uns also Bergführer Bhim am Hotel abholen. Bhim Gurung – in Nepal trägt man seine Volksgruppe als Nachnamen. Wir hatten ihn schon kurz bei Madan im Büro getroffen. Er ist 27 Jahre alt, stammt aus einem Bergdorf am Anfang der Manaslu-Runde und wird uns die nächsten 19 Tage als zertifizierter Trekkingguide begleiten. Außerdem wird er einen Großteil meines Gepäcks tragen, etwa zehn Kilogramm. Mein Tagesrucksack wiegt dann nur etwa fünf, sechs Kilo – je nachdem, wie viel Wasser gerade in unseren Trinkflaschen ist. Micha trägt einen Rucksack, der etwa doppelt so schwer ist wie meiner.

Pokhori: Bhim nimmt uns mit in sein Heimatdorf

3. April 2017. Heute soll es losgehen. Beim Aufwachen grummelt es verdächtig in meinem Bauch. „Das kann nicht wahr sein!“ fluche ich. Vor uns liegen acht Stunden Busfahrt und ich renne dank Durchfall gleich mehrmals zum Klo. Die nächste Toilette, die ich heute morgen aufsuchen muss, ist der öffentliche Notdurft-Verschlag am Busbahnhof – eine dunkle, stinkende Hütte in einer modrigen Ecke hinter den parkenden Bussen. Dieses Örtchen hat sogar meinen Darm davon abgehalten, sich nochmals zu melden.
Unser Langstreckenbus ist außen der Länge nach mit einem großen Flugzeug bemalt. Das verspricht eine rasante Fahrt. Aufkleber an der Heckscheibe versprechen außerdem Komfortsitze, ABS, Wifi und LED-TV. Nichts davon ist wahr. Wir steigen ein und lassen uns in die ausgesessenen Sitze plumpsen – gar nicht mal so unbequem. Die Fensterscheibe lässt sich aufschieben, falls einem schlecht wird. Am Stadtrand von Kathmandu, an dem wir über eine Stunde später angekommen sind, ist unser Bus vollgepackt mit Menschen und Gepäck. Micha und ich bleiben die einzigen Touristen.
Je näher wir unserem Ziel entgegenfahren, desto kurviger und spannender wird die Route und immer mehr Plastiktütchen für Kotze werden verteilt. Die fliegen während der Fahrt, sobald sie voll sind, im hohen Bogen durch die offene Bustür nach draußen. Zum Glück haben Micha und ich eine Reisetablette geschluckt, die außerdem schön schläfrig macht. Am späten Nachmittag hält der Bus endlich in Arughat an. Unsere Körper sind schlaff, wir stolpern aus dem Bus und wanken Bhim hinterher zur ersten Unterkunft.
Am nächsten Morgen um 7:45 Uhr sind wir Drei ausgeruht und startklar für die Manaslu-Umrundung. Der kleine Ort Arughat liegt niedriger als Kathmandua, auf etwa 550 Metern, und das Wetter ist hier hochsommerlich warm. Wir tragen leichte T-Shirts und haben die Hosenbeine unserer Wanderhosen am Kniereißverschluss abgetrennt. Nach einer halben Stunde auf ebener Strecke biegen wir im nächsten Ort Arket nach oben auf die Berge westlich des Budhi Gandaki Flusses ab. Hier liegt der Gorkha-Distrikt, von dem sich auch der Name der berühmten Gurkha-Soldaten ableitet.
Bhim zeigt auf ein entferntes Dorf in der Höhe: „Das ist Pokhori. Und dort ist mein Haus!“ Das sieht nicht unbedingt weit aus. Von jetzt an geht es allerdings stundenlang etwa 900 Höhenmeter bergauf – über Steintreppen und schmale Pfade. Wir kommen alle schnell ins Schwitzen. Bhim legt zum Glück immer wieder eine „Trinken-Pausi“ ein. Und ab und zu auch eine „Pippi-Pausi“. Er mag unsere Sprache und hat von anderen deutschen Wandertouristen ein paar Wörter aufgeschnappt.
Die winzigen Dörfer, die wir auf dem Weg bis zu Bhims Zuhause passieren, sind durch das landesweite Erdbeben im April 2014 komplett zusammengefallen. Provisorische Behausungen mit dünnen, blauen Wellblechplatten als Dach haben die traditionellen Stein- und Lehmhäuser ersetzt. „Diese Dörfer waren vorher sehr schön!“ sagt Bhim. Genau wie sein Dorf Pokhori – das Epizentrum des Bebens lag nur einen kurzen Spaziergang von dort entfernt.
Bhim hat seine Frau und seinen vierjährigen Sohn seit einem Monat nicht gesehen. Je näher wir seinem Dorf kommen, desto gelöster wirkt er. Als wir in Pokhori einlaufen, bringt er uns zu einer kleinen Hütte, in der Micha und ich übernachten dürfen. Dann stellt er uns einen Kanister Quellwasser vor die Tür, damit wir uns nach dem schweißtreibenden Anmarsch in Ruhe frisch machen können. Bhims junge Frau Kopila bringt kurze Zeit später einen Teller frisch gekochte Pellkartoffeln und schwarzen Tee zur Stärkung vorbei. Sie spricht ebenfalls etwas Englisch und so können wir ein paar Worte austauschen.
Als uns Bhim durch sein Dorf führt, folgt uns eine fröhlich kichernde Kinderschar. Ihre dunkelbraunen Augen funkeln vor Neugier. In ihren Badelatschen hüpfen sie wie Bergziegen über Stock und Stein.
Eine Gruppe Männer häutet und zerlegt gerade einen gewaltigen, geschlachteten Wasserbüffel auf einer Plastikplane auf dem Gras. Heute ist ein hinduistischer Festtag und das Fleisch wird unter den Dorfbewohnern aufgeteilt. Kopila hat ebenfalls etwas für das Abendessen abgeholt. Mit Reis, Linsensuppe und Büffelgulasch im Bauch legen wir uns später dankbar in unserer kleinen Lehmhütte schlafen. Nachts poltern die Ratten über das Wellblechdach. Jetzt leuchtet uns auch ein, warum Bhim auf das traditionelle Strohdach schwört.
Morgens steht Bhims kleine Nichte Alisa vor der Tür und wartet gespannt darauf, dass wir endlich aufstehen. Sein Sohn hat sich traurig in Kopilas Schoß zurückgezogen – er möchte nicht, dass Papa schon wieder geht.
Nach einem kräftigen Frühstück mit Bratkartoffeln, Omelette und Brot verabschieden wir uns von der Familie und den Kindern, zeigen uns erkenntlich und freuen uns auf einen weniger anstrengenden Wandertag als gestern. Noch merken wir keinen Muskelkater in den steifen Waden, aber ich ahne, dass der noch kommen wird.

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„Gehn` ma langsam!“

Heute geht es nach Lapubesi, das wir in vier, fünf Stunden über einen Pfad mit eher sanftem Auf und Ab erreichen – hätte nicht vor ein paar Tagen ein gewaltiger Erdrutsch den Weg blockiert. Das erfahren wir aber erst im übernächsten Dorf. Dort findet Bhim außerdem heraus, dass wir einen langen Umweg gehen müssen: Erst ganz runter zum Fluss, auf der anderen Seite wieder mehrere hundert Höhenmeter herauf, später wieder steil zum Fluss hinab und nochmal auf der anderen Seite nach oben. Meine Beine fühlen sich zwischendurch wie Gummi an. Wir sind unterwegs so durchgeschwitzt und durstig, dass wir kaum noch den Chlorgeschmack wahrnehmen, den die Wassertabletten in unseren Trinkflaschen hinterlassen.
Als wir vor der zweiten langen Hängebrücke des Budhi Gandaki Flusses stehen und hinüber auf die andere Uferseite mit den allerletzten, unerbittlich steilen Höhenmetern blicken, ist mir nicht klar, wie wir dort am Berg hinauf gelangen sollen. „Wo ist denn der Pfad nach oben?“ frage ich Bhim, noch bevor ich die Brücke betrete. Bhim weiß es auch nicht so genau und deutet mit dem Zeigefinger eine grobe Zickzacklinie an. Der Berghang ist unwegsam und viel zu steil. „Wenn das der Weg nach Lapubesi sein soll, dann kehre ich an dieser Stelle um!“ sage ich zu Micha. Bhim und er laufen los über die Brücke. Ich folge ihnen zögerlich. Auf der anderen Seite sehen wir erleichtert, dass rechter Hand ein schmaler, steiniger Pfad abzweigt. Der ist immer noch schwierig und ich keuche vor mich hin, aber wir sind alle drei froh, dass wir es fast ans Tagesziel geschafft haben.
Nach insgesamt über neun Stunden Berg-auf-Berg-ab beziehen wir eine hübsche einfache Lodge in Lapubesi (970 Meter). Kurz darauf braut sich ein erfrischend kühles Gewitter über uns zusammen. Die Anstrengung des Tages hat nicht nur unsere Körper, sondern auch unseren Geist erschöpft und grinsend wie Betrunkene genießen wir unseren wohlverdienten Feierabend.
Am nächsten Morgen ist es dann soweit: Fieser Muskelkater hat unsere Waden im Griff und nach dem Aufstehen laufe ich wie eine alte, kranke Frau zum Klohäuschen. Nach Omelette und einer Schale Haferbrei, die mir nur beim Wandern in Nepal schmeckt, fordert uns Bhim mit dem deutschen Satz „Gehn` ma langsam!“ munter zur dritten Etappe auf. Aua, die ersten Schritte schmerzen.
Und wieder ist es ein herrlich sonniger Tag. Mehrere bepackte Muli-Karawanen kommen uns auf dem schmalen Weg entgegen. Sobald man die Glöckchen des Leittieres hört, heißt es, schnell auf die Bergseite auszuweichen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Tiere jemanden versehentlich den Abhang hinunterschubsen. Etwa tausend Mulis gibt es in der Gorkha-Region, die überwiegend den Warentransport in die Dörfer übernehmen. Trotzdem begegnen wir noch so einigen Männern und auch Frauen, die riesige Lasten nach oben buckeln: zusammengerollte Wellblechplatten, türgroße Spanplatten, Bretter, Metallgefäße… nichts scheint ihnen zu sperrig zu sein.
Die Route führt heute ein Stück durch das halbtrockene Flussbett. Zweimal müssen wir durch das eiskalte Schmelzwasser des Manaslus waten. Den Füßen, die stundenlang in den Stiefeln stecken, tut es gut. Um halb zwei haben wir bereits das Tagesziel erreicht: Kholabesi. Nach dem Wäschewaschen am Fluss haben wir kaum noch Lust, uns zu bewegen.
Auf der vierten Tagesetappe nach Jagat – ein hübsches Steinhausdorf auf 1.340 Metern – quälen uns die Waden immer noch. Der frühe Morgen ist wie der Abend mittlerweile ziemlich frisch und die Fleecepullis werden aus dem Rucksack gekramt. Das Leder meiner Schuhe ist an manchen Stellen rissig und ich fette sie wenigstens mit etwas Sonnencreme ein. Geduldig laufen wir dem Manaslu entgegen – noch drei Tagesetappen, bis wir ihn das erste Mal erblicken können.
Unsere nächste Schlafstätte, Pewa (1.800 Meter), liegt mitten in einer dicht bewaldeten Schlucht. Unten rauscht der Fluss. Ein Felsbrocken stürzt vor unseren Augen vom Abhang ins Wasser und der Aufprall kommt einer kleinen Explosion gleich.
Unsere heutige Schlafkammer in der Lodge riecht wunderbar nach Holz. Die breiten Dielen knarren und von unten steigt etwas Feuerrauch durch die Ritzen zu uns hoch. Durch die Spalten der Holzbretterwände schimmert das schwächer werdende Tageslicht. Die Unterkunft ist spärlich, aber urgemütlich. Nach einer heißen Dusche aus dem Eimer über dem Hockklo serviert uns der Koch der Lodge das beste Dal Bhat, das wir je gegessen haben. Auch Bhim ist sehr glücklich darüber. Wie bei vielen seiner Landsleute landet das hiesige Nationalgericht täglich mit den Fingern der rechten Hand in seinem Mund. „Nur wenn ich Dal Bhat esse, habe ich Energie!“, schwärmt er.
11. April 2017. Bhim hat sich trotz des guten Essens leider etwas erkältet. Er lässt sich nichts anmerken und trägt den Rucksack tapfer über die Berge. „Heute haben wir noch mal einen langen Weg vor uns.“ sagt er. Kurz hinter Pewa beobachten wir eine große Gruppe Languren, die am Berghang herumklettert und sich in der wärmenden Morgensonne gegenseitig laust. Hier und dort stürzen rauschende Wasserfälle in den wilden Fluss. Obwohl wir heute neun Stunden unterwegs sind, begegnen wir nur ganz wenigen Mulis und fast gar keinen anderen Leuten. Allerdings entdecken wir zum ersten Mal ein Blauschaf, das eigentlich eine große Ziege ist. Es ist unglaublich, welche Felswände diese Himalaja-Vierbeiner ruckzuck hinaufklettern können.

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Namrung: Ein Dorf, wie aus der Zeit gefallen

Namrung (2.630 Meter) ist das erste tibetisch geprägte Dorf auf unserer Manaslu-Umrundung, dessen Dächer wir gegen halb fünf erleichtert erblicken. Mit jedem Tag gehen wir weiter zurück in die Vergangenheit. Namrung erscheint uns wie eine lebendige Kulisse aus dem Mittelalter. Die Familien leben in einfachen Felssteinhäusern in einem großen Raum zusammen. Das Herzstück ist die Feuerstelle. Unten im Haus befindet sich der Stall fürs Vieh. Wasser gibt es nur außerhalb. So leben die Menschen hier schon seit Ewigkeiten.
Wir legen einen wohlverdienten Pausentag ein und spazieren am nächsten Tag durch Namrung. An der buddhistischen Gebetsmauer hält ein älteres Ehepaar gerade eine kleine Zeremonie ab. Dabei verbrennen sie Wacholderzweige. Der dichte Rauch soll böse Geister beschwichtigen. Wir begegnen einem Großvater im traditionellen Wintermantel. Er deutet uns an, ihm zu folgen. Neugierig laufen wir hinterher. Er öffnet ein Holztor. Dahinter liegt der alte Gompa des Dorfes – ein kleiner, tibetischer Tempel. Immer noch wortlos kramt der Alte einen großen Schlüssel hervor, öffnet damit die bunt verzierte Tür des Gompas und bittet uns hinein. Ein großer Sonnenstrahl fällt durch ein eingestaubtes Fenster in den dunklen Raum. Die Staubkörner tanzen in seinem Licht. Es riecht nach einer Mischung aus Räucherstäbchen und antikem Kleiderschrank. Der geschmückte Buddha-Altar, die Holzbänke der Mönche, die länglichen Gebetsbücher in den Regalen, die große Ledertrommel, die verblassten Malereien an Decke und Holzwänden – alles wirkt mystisch und hunderte Jahre alt.
Als wir unseren Spaziergang fortsetzen, laufen wir an einer Tibeterin vorbei, die vor dem Haus im Schneidersitz mit ihren kräftigen, bloßen Händen Schafwolle zu einem Faden spinnt. Wir folgen einer jungen Frau, die mit einem geflochtenen Korb auf dem Rücken zügig zwischen den steingrauen Häusern dorfabwärts läuft. In einer kleinen Wassermühle sitzt ein Mann und röstet Maiskörner über einem Feuer, bevor er sie von den drehenden Mühlsteinen zermahlen lässt.
Auf einer Ebene etwas oberhalb des Dorfes sind Familien gerade dabei, mit Hilfe ihrer starken Bergrinder die dunkelbraunen Terrassenfelder zu pflügen und neuen Mais auszusähen. Der Wind weht die ausgetrocknete Erde hinter den altertümlichen Holzflügen in die Luft. Der düngende Viehmist wird in Körben auf die Felder getragen. Die Bauern und ihre Kinder freuen sich, als wir sie auf dem Feld besuchen.
Am späten Nachmittag treffen wir Lakpa. Er hat 16 Jahre lang als erfolgreicher Geschäftsmann in Singapur gearbeitet und kehrte nach mehreren Jahrzehnten in sein Heimatdorf zurück. Er war erschrocken, wie arm die Menschen in Namrung noch immer leben. Nichts habe sich geändert, seitdem er als verarmter Junge sein Zuhause verließ. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, der Region zu helfen, stärker vom Berg- und Wandertourismus zu profitieren. Gleichzeitig möchte er den Spagat schaffen, die besondere Kultur und Identität zu bewahren. Nach dem zerstörerischen Erdbeben vor zwei Jahren fiel der historische Dorfkern von Namrung, in dem vor etwa 700 Jahren das Oberhaupt des Hochtals lebte und regierte, in sich zusammen. Lakpa hat die Geschichte des königähnlichen Herrschers rekonstruiert, viele noch erhaltene Gegenstände aus dieser Zeit in der Region zusammengetragen und den „Königspalast“ mit seinem Geld wieder mühsam aufgebaut. In einem halben Jahr wird dieser Teil des Dorfes als Museum eröffnet.
Wir stehen jetzt mit Lakpa in der damaligen Wohnstätte des Königs – ein bescheidenes Steinhaus wie alle anderen, an dem nichts prunkvolles erkennbar ist. Der flache, fensterlose Raum ist voller Schätze, die Lakpa hier noch unter einer Plane und in Holzregalen aufbewahrt. Plötzlich halte ich die Filzschuhe des damaligen Königs in meiner Hand. Dann eine verzierte Silberkanne. Eine 2000 Jahre alte Teekanne aus Stein. Jetzt bloß nichts fallen lassen! Zwischen der Sammlung liegt außerdem ein Teil der Ausrüstung von der Erstbesteigung des Manaslus vor über 60 Jahren. Das müsse erst noch alles restauriert werden, sagt Lakpa, der in seinem Projekt, von dem bald alle Bewohner profitieren sollen, unermüdlich ist. Woher haben Leute wie Lakpa diese unglaubliche Energie? Neben dem Dorfmuseum errichtet er außerdem gerade ein kleines, stilvolles Ressort. Die Bauarbeiten sind in vollem Gange. Damit möchte er Touristen, die sich für die Region interessieren und auf Komfort nicht verzichten wollen, nach Namrung locken. Wahrscheinlich hat Lakpa einen guten Weg für seine Heimat gefunden. Er liebt dieses Dorf, hat eine klare Vision und konnte auch die skeptischen Bewohner davon überzeugen.

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Welcome to Manaslu – der Berg des Geistes

Als wir uns am nächsten Morgen auf den Weg nach Lho (3.520 Meter) machen, hat Micha ein Dauergrinsen im Gesicht. Wir haben riesiges Glück mit dem Wetter und durchwandern diese fantastischen Landschaften und Bergdörfer – entlang an tibetischen Gebetsmauern und durch reich verzierte Chörten. Wir sehen den Menschen bei ihrem so anderen Alltag zu. Die raue Trockenheit und scharfe Sonne hat Spuren in ihren freundlichen, tibetischen Gesichtern hinterlassen.
Und dann taucht er vor unseren Augen auf: Der perfekt geformte „Berg des Geistes“. Der Manaslu mit seinen zwei Gipfelspitzen ist komplett verschneit und sein strahlendes Weiß zeichnet sich wie ein Scherenschnitt vom tiefblauen Himmel ab. Von unserer Lodge in Lho können wir direkt auf diesen Berg gucken – sogar vom Bett aus. Und Tibet ist von hier aus auch ganz nah, nur zwei Kilometer entfernt.
Im Zimmer nebenan haben Marc und Ursula ihre Wanderrucksäcke abgestellt. Sie sitzen jetzt mit einer Kanne Tee auf dem Holzbalkon in der warmen Nachmittagssonne und genießen diesen besonderen Ausblick. Wir kommen schnell ins Gespräch und von nun an werden wir uns bis zum Ende dieser spannenden Wanderung immer wieder begegnen.

Der Morgen ist kalt in Lho. Ich krabbel nur sehr ungern aus meinem warmen Schlafsack. In der langen Merinounterwäsche haben sich ein paar kleine Daunen verfangen. Ich ziehe mich schnell an und schnappe mir meine kalten, steifen Stiefel. Es ist, als würde man in Skischuhe steigen. Meine Augen tränen von der kalten Luft. Meine ausgetrocknete Haut ist faltig, rau und schuppig. Zum Frühstück bestelle ich mal wieder Bratkartoffeln – die Kartoffeln stammen von den Feldern ringsum. Sie schmecken köstlich und geben mir Energie. Micha genießt wieder einen Haferbrei und Bhim wartet bereits auf unseren Startschuss: Gehn` ma langsam!

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Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück /emmenreiter-reise-2008-2009/ /emmenreiter-reise-2008-2009/#comments Sat, 01 Aug 2009 19:19:28 +0000 /?p=1149
  • Sherpajungen in Nepal (c) emmenreiter.de
    Sherpajungen, Nepal 2009 © emmenreiter.de


Sonntagmorgen, am 18. Mai 2008, kickten wir im Norden Brandenburgs zwei alte MZ-Motorräder, die sog. Emmen, mit zitternden Knien an. 14 Monate später, am 25. Juli 2009, kehrten wir mit einer Zweitaktwolke vom gewagten Emmenritt zurück. Unterwegs erlebten wir ein neues Lebens- und Zeitgefühl und das gesuchte Abenteuer. Zurück aus den Wohnzimmern fremder Kulturen erinnern wir uns immer noch oft an die Begegnungen mit einzigartigen Menschen, Landschaften und Kulturen in Osteuropa, im Orient, in Zentralasien und im Himalaja. Der Blick hinter fremde Haustüren hatte uns am meisten gereizt – und die standen uns nahezu überall offen.

Anhand der groben Route in der Landkarte könnt Ihr unsere Asien-Reise nachverfolgen und die verlinkten Reisegeschichten durchstöbern. Darin erzählen wir das, woran wir uns selbst immer wieder erinnern wollen. Beim Lesen könnt Ihr vielleicht den Auspuffqualm der alten MZ-Motorräder riechen, wenn sie mit uns über die Riesengebirge Asiens knattern. Lernt die Menschen kennen, die uns unterwegs die Hand gereicht haben und bekommt hier und da vielleicht dieselbe Gänsehaut – vor Freude, Sehnsucht, Spannung oder Betroffenheit. Und wenn Ihr zuende gelesen habt, plant Eure nächste Reise!

Alle Reisegeschichten entlang der Route

    Große Asienreise 2008/09 – alle Bilder

    Das eMMenreiter-Abenteuer 2008 in Zahlen

    Reisezeit: 14 Monate (Mai 2008 – Juli 2009) • 33.859 km auf zwei alten MZ ETZ 250 • 8 Länder in Europa, 12 in Asien • 65 Std. Wartezeit an 22 bewachten Grenzübergängen • 3.502 Liter verfahrenes Benzin • 88 Liter zugemischtes (Zweitakt-)Öl • 4.700 m höchster befahrener Punkt • 144 Tage längster Landesaufenthalt (Indien) • 4 min. kürzester Landesaufenthalt (Moldawien) • 13 Regentage • 1 sehr kleiner Diebstahl • 1 gebrochener Daumen • zig Durchfälle • ca. 720 Std. am Laptop für 60 Blogbeiträge von unterwegs

    Geschichten einer neuen langen Reise –
    2016/2017 sind wir nochmal auf den Emmen durch Asien getourt.

    Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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